Die erste Internet-Verbindung
Im Oktober 1969 testete Dr. Leonard Kleinrock am Massachussetts Institute for Technology (MIT) die erste funktionierende Internetverbindung.
Na ja, sie funktionierte ein bisschen.
Das Wort “Login” sollte von einem Rechner per Telefonverbindung zu einem mehrere hundert Kilometer entfernten Rechner übertragen werden.
Die Gegenstelle bestätigte telefonisch, das “L” sei angekommen, ebenfalls das “O”.
Dann stürzte das System ab.
Trotzdem war dieser Versuch der Durchbruch in die Welt der digitalen Vernetzung, wie wir sie heute kennen.
Kleinrock hatte in den Jahren 1960-1962 als Doktorand des MIT an den mathematischen Grundlagen für die paket-basierte Datenübertragung geforscht. Nachdem er seinen Doktor gemacht hatte erhielt er eine Professur für Informatik an der Universität von California Los Angeles (UCLA).
Dort baute Kleinrock einen Excellenz-Cluster auf, aus dem später andere Universitäten und Einrichtungen Experten rekrutieren konnten.
US Militär treibende Kraft
Die weitere Entwicklung des Netzes wurde vor allem durch die militärische Einrichtung ARPA vorangetrieben (Advanced Research Projects Agency).
Das Militär hatte die Vorteile einer Kommunikation erkannt, die fehlertolerant war. Darin bestand das Revolutionäre. Die in der Basistechnik TCP/IP integrierten Kontrollmechanismen ermöglichen ein wiederholtes Senden von Informationsbestandteilen, falls unterwegs etwas verloren gehen sollte. Damit war der größte Nachteil des Fernmeldekabels aufgehoben: War das einmal durchtrennt, gabt es keine Kommunikation mehr.
Bei ARPA und dem von ihm entwicklten ARPA-NET – bei dessen Begründung wiederum Leonard Kleinrock beteiligt war – handelte es sich um ein von der Öffentlichkeit weitgehend abgeschottetes Netz. Nur militärische Dienststellen, ausgesuchte universitäte Einrichtungen und wenige andere Institute waren angeschlossen.
Anfangs war dieses Netz sehr klein. Aber Kleinrock und andere erkannten das Potential, das diese Technologie auch dem zivilen Bereich zu bieten hatte.
Al Gore erfand das Internet
1988 ging Kleinrock mit seinem Konzept auf einen Gruppe von Politikern zu, denen er seine Ideen vorstellte.
Der Chairman dieser Gruppe war der demokratische Senator Al Gore. Gore war sofort begeistert.
Schon im Mai 1989 brachte er einen ersten detaillierten Gesetzentwurf im Repräsentantenhaus ein, um diese neue Technik auf mehreren Gebieten zu fördern.
Hält man sich vor Augen, dass es “das Internet” damals noch gar nicht gab, sondern nur ein militärisch ausgerichtetes und recht kleines Arpanet, muß man die Initiative Al Gores als mutig und visionär bezeichnen. Gore schrieb:
Fortschritte in der Informatik und Technologie sind entscheidend für den Wohlstand der Nation, die nationale und wirtschaftliche Sicherheit, die industrielle Produktion, das Ingenieurwesen und den wissenschaftlichen Fortschritt [….]
Ein solches Programm würde amerikanischen Forschern und Lehrkräften die Computer- und Informationsressourcen zur Verfügung stellen die sie benötigen.
Es würde zeigen wie fortschrittliche Computer, leistungsstarke und schnelle Netzwerke und elektronische Datenbanken die nationale Informationsinfrastruktur für alle Amerikaner verbessern können. [….]
[Dazu ist ] in Grundlagenforschung und Bildung zu investieren und die Einbeziehung von Hochleistungscomputern in Bildungseinrichtungen auf allen Ebenen zu fördern;
Der Entwurf von Al Gore wurde schließlich im “Gore Bill or the High Performance Computing Act of 1991” angenommen und von Präsident George H.W. Bush (sen.) unterzeichnet.
Damit fand in den USA eine enorme Befeuerung der Entwicklung des Internets statt, ohne die wir heute nicht wären wo wir sind.
Gore wurde später Vizepräsident unter Bill Clinton.
Hier ein Protokoll von 1993 von einem Treffen hochrangiger Vertreter aus Industrie, Politik, Wissenschaft und Verwaltung in der Library of Congress ( US Kongressbibliothek, Auszug)
Rund 45 führende Persönlichkeiten aus Regierung, Privatwirtschaft, Bibliotheken und Wissenschaft trafen sich am 14. Juli in der Bibliothek [des US Kongresses], um die Möglichkeiten zur Verbesserung der Bereitstellung elektronischer Informationen zu erkunden.
Dr. Billington leitete die ganztägige Sitzung, Vizepräsident Albert Gore war Ehrenvorsitzender.
Die Teilnahme des Vizepräsidenten ging jedoch weit über die traditionelle “Ehrenrolle” hinaus, da er in der ersten Sitzung der Sitzung eine sehr aktive Rolle spielte.
Er wurde zitiert, dass er irgendwann sehen möchte, dass jedes Schulkind in der Lage ist sich mit der Kongressbibliothek “zu verbinden”.
Herr Gore sagte, die Regierung werde eine angemessene Rolle spielen beim Aufbau der Netzgrundlagen [des Backbone], bei der Festlegung der Standards, [und sicherstellen] , dass die Öffentlichkeit den Nutzen einer landesweiten Informations-Infrastruktur erhält […]
Republikanische Angriffe gegen Al Gore
Trotz dieser unbestreitbar enormen politischen Leistung Gores gelang es den Republikanern, ihn in den Schmutz zu ziehen.
Die Verdrehung hält sich zum Teil bis heute und wird auch hierzulande in Foren nachgeplappert. Wie kommt das?
In einem Interview, das Gore etwa ein halbes Jahr vor den Präsidentschaftswahlen von 2000 gab – in denen ihm bekanntlich George W. Bush den Sieg stahl – sagte er in einer nicht ganz glücklichen Formulierung
I took the initiative in creating the Internet.
Für die Gegner war das ein gefundenes Fressen. Sie wußten natürlich, dass es genügend Spielräume für diesen Satz gibt: “to create” kann je nach Kontext bedeuten: anlegen, erschaffen, erzeugen, schöpfen, ins Leben rufen.
Den Satzteil “I took the initiative” kehrte man unter den Teppich, um die Aussage besser pointieren zu können: “Al Gore invented the Internet. Hehe!”
Natürlich wußten sie, dass Gore zentralen Anteil an der Förderung des Internets hatte und hat. Aber hey, es war Wahlkampf, und Objektivität hat da wenig zu suchen.
Der Spin, Gore sei größenwahnsinnig und tue so, als sei er der technische Erschaffer des Internets, zeigte beim Publikum die gewünschte Wirkung.
Die damaligen Koryphäen aus dem Bereich der Informatik wußten es freilich besser.
Im Jahr 2000 schrieben Dr. Bob Kahn und Dr. Vint Cerf (s. Bild rechts), zwei der tatsächlichen Erfinder des Internet, einen Beitrag um die Rolle Al Gores dazulegen:
Date: Thu, 28 Sep 2000 17:43:58 -0400
From: vinton g. cerf <vcerf@MCI.NET>
To: Declan McCullaugh <declan@well.com>, farber@cis.upenn.edu
Cc: rkahn@cnri.reston.va.us
Subject: Al Gore and the Internet
Dave and Declan,
I am taking the liberty of sending to you both a brief summary of Al Gore’s Internet involvement, prepared by Bob Kahn and me.
As you know, there have been a seemingly unending series of jokes chiding the vice president for his assertion that he “took the initiative in creating the Internet.
Bob and I believe that the vice president deserves significant credit for his early recognition of the importance of what has become the Internet.
I thought you might find this short summary of sufficient interest to share it with Politech and the IP lists, respectively.
Al Gore was the first political leader to recognize the importance of the Internet and to promote and support its development. […]
As far back as the 1970s Congressman Gore promoted the idea of high speed telecommunications as an engine for both economic growth and the improvement of our educational system.
He was the first elected official to grasp the potential of computer communications to have a broader impact than just improving the conduct of science and scholarship.
Though easily forgotten, now, at the time this was an unproven and controversial concept.
No one in public life has been more intellectually engaged in helping to create the climate for a thriving Internet than the Vice President.“*
An der Stanford University wurde zum Thema “Spin gegen Al Gore” eine wissenschaftliche Arbeit vorgelegt, die den beiden Verfassern Professorentitel eintrug:
Chip Heath & Jonathan Bendor:
When Truth Doesn’t Win in the Marketplace of Ideas: Entrapping Schemas, Gore, and the Internet
we study an example where Al Gore was falsely attributed with saying that he “invented the internet.”
We show that the false version of Gore’s statement dominated the true one in mainstream political discourse by a wide margin.
Genau so verhält es sich mit der Schwarmintelligenz: Lieber ein höhnischer Lacher als eine kluge Einsicht.
— Schlesinger
* aus Copyright-Gründen mehr auf: Politechbot
Grafik Arpanet: Wikipedia CC Lizenz
Photo Al Gore: Wikimedia Public Domain
Photo Vinc Cerf: Guido van Nisten, Flickr CC
Photo: CrazyBanana Flickr CC Lizenz