Einmal hätte genug sein müssen.
Vergangenes Jahr hat das Bundesverfassungsgericht den Passus im Luftsicherheitsgesetz kassiert, in dem Ihr Vorgänger Otto Schily als Bedingung für einen Passagierflugzeug-Abschuss festschreiben ließen: “wenn davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll und sie das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist”. Schon damals ist Innenminister Schäuble übers Ziel hinaus geschossen. Daher stellte Karlsruhe im Februar 2006 klar, dass dieser Paragraf gegen das Grundrecht auf Leben und gegen die Menschenwürde verstoße. Er wurde für verfassungswidrig erklärt und damit hinfällig.
Nun möchte Schäuble nachbessern, oder sollte man sagen: nachschlechtern?
Bevor es wieder so weit ist, dass ein Gesetz oder Passagen daraus für null und nichtig erklärt werden,
hat sich – ein ungewöhnlicher Vorgang – der Präsident des Verfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, im SPIEGEL zu Wort gemeldet und den Innenminister zur Ordnung gerufen.
Dabei wandte sich Papier auch strikt gegen die zuletzt geäußerte Absicht Schäubles, den vermeintlichen Feinden der Rechtsordnung ihre Grundrechte [im voraus] zu entziehen.
So viel steht fest: Damit wird der Rechtsstaat auf den Kopf gestellt. Genau dies war die Vorgehensweise der USA auf Guantanamo und anderen Internierungslagern. Zuerst kam die Verurteilung, damit verbunden der Rechtsentzug und schließlich das Vertrauen darauf, die vermeintlichen Terroristen dingfest machen zu können. Genau das hat sich bei den mutmaßlichen Top-Terroristen auf Guantanamo als fürchterlicher Schlag ins Wasser erwiesen. Sie sind es ganz überwiegend nicht, aber als Unschuldige oder naive Mitläufer furchtbar ins Räderwerk der Geschichte geraten.
Nun heult der Minister angesichts der klaren Worte der Verfassungsrichters laut auf, verbietet sich die Auslassungen Papiers. Der habe seine Kompetenzen überschritten, so Schäuble. Seine Kompetenzen? Mein lieber Herr Minister, Sie sind kraft Amt für die Sicherheit unseres Staates und die Wahrung der Gesetze, insbesondere des Grundgesetz zuständig. Darin ist die freie Meinungsäußerung festgezurrt. Davon hat der oberste Verfassungsrichter Gebrauch gemacht. Was Papier nicht getan hat – und daher zielt die Kritik des Ministers ins Leere – ist politische Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Damit h ä t t e sich Papier in die Belange eines anderen Verfassungsorgans “eingemischt”. Der Richter beschränkte sich jedoch darauf, ein bestehendes Vorhaben zu bewerten. Das ist ungewöhnlich, und es ist nolens volens auch “politisch”. Aber es ist legitim, keine Frage. Schäuble möchte ihm das am liebsten verbieten.
Wohin möchten der Herr Innenminister? Er entfernt sich vom Geist unseres Grundgesetzes. Dahin wird ihm nur eine bestimmte Spezies folgen.
Unsere Frau Bundeskanzler, die doch die Richtlinien der Politik zu bestimmen hat, hält sich wie stets dezent zurück.
Stellen Sie sich vor, man machte eine Umfrage mit der von Ihnen kürzlich geäußerten Forderung:
“Alle grundrechtlich geschützten Bereiche enden irgendwo” und wollte wissen, von wem der Satz stammt. Lösungsangebote:
(a) Udo Voigt (NPD-Vorsitzender)
(b) Peter Gauweiler (CSU-Politiker, der zu den Anfangszeiten von AIDS die Kranken in Internierungslager verbringen lassen wollte)
(c) Wolfgang Schäuble
Falls es Minister Schäuble ein Trost ist: Sein Name würde nicht zu oft genannt.
Lieber Herr Heimatschutzminister Schäuble (der Titel Ihres US Kollegen würde Ihnen gut stehen), grüßen Sie doch Michael Chertoff und Dick Cheney ganz herzlich, wenn Sie sich demnächst wieder Ihre guten Tipps holen.
— Mark
(Photo: Bundesverfassungsgericht)