Unzureichende medizinische Versorgung
Auch im medizinischen Bereich kann die UNRWA keine ausreichende Versorgung gewährleisten. Die Zahl der von UNRWA in libanesischen Kliniken angemieteten Betten ist vollkommen unzureichend (ein Bett für ca. 4 – 5.000 Personen).
Zur Lage der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon
1948 bis heute
Ein Gastbeitrag von Ingrid Rumpf
(Teil 3 und Schluß)
Bei Krankenhausaufenthalten werden nur die Bettenkosten übernommen, Untersuchungs- und Behandlungskosten muss der Patient selbst übernehmen.
Auch die Zahl und Ausbildung der Ärzte in den medizinischen UNRWA-Zentren ist unzureichend. Ein Arzt muss ca. 80 Patienten am Tag behandeln. Neben der UNRWA versorgt auch der Palästinensische Rote Halbmond die Flüchtlinge medizinisch.
Er ist die letzte der von der PLO bezahlten Einrichtungen für die Flüchtlinge. Er wird vom Internationalen Roten Kreuz mitgetragen. Dennoch sind Ausstattung und Qualität der Behandlung ungenügend.
Die Zahl der Beschäftigten betrug 1992 noch über Tausend und musste bereits bis zum Jahr 1996 auf 350 Mitarbeiter reduziert werden. 25% der Behandlungskosten müssen auch beim Halbmond von den Patienten übernommen werden, während die Behandlung früher kostenfrei war.
Neben der UNRWA und dem Palästinensischen Roten Halbmond versuchen eine Reihe von Nichtregierungsorganisationen, die Not in den Lagern zu lindern. 17 unabhängige palästinensische Basisorganisationen, die in den Bereichen soziale Betreuung, Kindergärten, Gesundheitsversorgung, Frauenarbeit und Berufsbildung tätig sind, haben sich 1994 zu einem Koordinationsforum zusammengeschlossen. Ohne die Arbeit dieser Organisationen wäre der soziale Zusammenhalt in den Flüchtlingslagern lange bedroht. Da sie selbst ein Teil der palästinensischen Gemeinschaft sind, können sie den Bedürfnissen, Rechten und Hoffnungen dieser Menschen am besten gerecht werden.
Fatah genießt kein Vertrauen mehr
Da weder die UNRWA für die palästinensischen Flüchtlinge sprechen kann und will und auch die früheren politischen Parteien, allen voran die Fatah, bei den Flüchtlingen in Misskredit gefallen sind, versteht sich das Koordinationsforum auch als notwendiges Sprachrohr gegenüber der libanesischen Regierung.
Palästinensische Flüchtlinge fallen nicht unter die Genfer Flüchltingskonvention
Da die palästinensischen Flüchtlinge aus der Genfer Flüchtlingskonvention ausgenommen sind (Art. 1D), fehlt ihnen ein international anerkannter Fürsprecher wie der Hohe Flüchtlingskommissar, der für ihren Schutz und ihre Rechte auf politischer Ebene eintreten könnte.
Die Zukunftsperspektiven für die palästinensischen Flüchtlinge sind vor allem seit den Autonomie-Verhandlungen zwischen Israel und der PLO deprimierend, da dort die 1948er Flüchtlinge nicht vorgesehen waren.
Verraten, verdrängt, vergessen
So fühlten sie sich von Arafat verraten, von der libanesischen Politik und Gesellschaft an den Rand gedrängt und von der Welt vergessen.
Der Einfluss fundamentalistischer Gruppierungen ist deshalb deutlich gewachsen. Resignation und Verzweiflung, aber auch Wut und Gewalt nehmen in den Lagern zu und belasten auch zukünftige Friedensverhandlungen. Umso wichtiger ist es, von hier aus dazu beizutragen, die in den Flüchtlingslagern bestehenden sozialen Netze zu erhalten und zu stärken und gleichzeitig auf politischer Ebene das Bewusstsein für dieses Konfliktfeld des Nahen Ostens zu schärfen.
Seit Sommer 2000 hat sich die Lage in den palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon aus außen- und innenpolitischen Gründen weiter zugespitzt. Zunächst hat das Scheitern des Camp-David-Gipfels neue Hoffnungen geweckt, da das lange Zeit vernachlässigte Recht auf Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge plötzlich auf der Tagesordnung stand. Gleichzeitig hat der Abzug der israelischen Armee aus dem Südlibanon (Rückzug der israelischen Armee in die Sicherheitszone: Juni 1985, vollständiger Abzug in 2000, Anm. MK) den palästinensischen Kindern und Jugendlichen nach einem knappen Viertel Jahrhundert Besatzungszeit den ersten Blick auf das Heimatland ihrer Eltern und Großeltern ermöglicht. Das Recht auf Rückkehr hat damit eine neue erfahrbare Dimension bekommen.
Da kurz nach dem Rückzug der Israelis auch Begegnungen am libanesisch-israelischen Grenzzaun zwischen Palästinensern diesseits und jenseits der Grenze stattfinden konnten, hat sich auch die Verbundenheit untereinander vertieft, die während des israelisch-palästinensischen Friedensprozess gelitten hatte.
Der Aufstand in den Autonomiegebieten seit Oktober 2000 [Beginn der Zweiten Intifada ab 28.09.2000 durch die provokative Visite von Ariel Scharon auf dem Tempelberg, Anm. MK], die unverhältnismäßige Reaktion Israels und die Haltung der Vereinigten Staaten und Europas auf die Entwicklung haben dann aber alle Hoffnungen erneut zerstört.
Der Irakkrieg und der massive militärische Angriff Israels auf den Libanon im Sommer 2006 tragen zu einer weiteren Radikalisierung auch in den Flüchtlingslagern bei.
Zunehmende Rechtlosigkeit im Libanon
Innenpolitisch hat ein im Frühjahr 2001 verabschiedetes libanesisches Gesetz die soziale und wirtschaftliche Situation der Flüchtlinge weiter verschlechtert und sie zusätzlichem Vertreibungsdruck ausgesetzt.
Auf der Basis eines Gesetzes, das im Frühjahr vom Parlament verabschiedet wurde, wird ihnen das Recht auf Immobilienbesitz entzogen. Außerdem können diejenigen von ihnen, die schon im Besitz von Immobilien sind, diese nicht an ihre Erben weitergeben. Damit wird den Palästinensern ihre letzte Existenzgrundlage entzogen. Das libanesische Parlament hat dieses Gesetz unter dem Vorwand verabschiedet, man wolle das Recht der Palästinenser auf Rückkehr in ihre Heimat schützen.
Kein libanesisches Interesse an Integration
Tatsächlich fürchtet die libanesische Regierung die internationalen Bestrebungen, die palästinensischen Flüchtlinge im Rahmen einer Lösung des Nahost-Konflikts in den arabischen Ländern anzusiedeln.
Der Libanon sieht sein nach dem Bürgerkrieg mühsam ausgehandeltes politisches Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Religionsgruppen durch die Aufnahme von 400.000 überwiegend sunnitischen Palästinensern (11% der Bevölkerung) aufs Äußerste gefährdet. Berechtigte politische Forderungen werden so aber auf dem Rücken der Schwächsten durchgesetzt.
Die Diskriminierung und totale Ausgrenzung der palästinensischen Flüchtlinge aus der libanesischen Gesellschaft widerspricht internationalem Recht. Erste hoffnungsvolle Gespräche zwischen der libanesischen Regierung und Vertretern der Palästinenser, die bereits zu gewissen Arbeitserleichterungen führten, sind nach dem Krieg im Sommer 2006 wieder zum Erliegen gekommen.
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Bitte ziehen Sie eine Mitgliedschaft oder Einzelspende für die “Flüchtlingskinder in Libanon e.V.” in Erwägung und besuchen Sie die Webseite (PS: sie wird demnächst überarbeitet). Schirmfrau des Vereins ist die israelische Menschenrechtsanwältin Felicia Langer, die 1990 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde.
– MK
(Photo: TerryWha)