Weisser Phosphor und Schrapnel-Granaten
Israel kämpft in Gaza und das Entsetzen im Westen ist groß. Das ist nachvollziehbar, denn der israelische Einsatz von kriegsvölkerrechtswidrigen Mitteln wie Weissem Phosphor oder Flechettes konterkarieren das Selbstbild Israels, die moralischste Armee der Welt zu haben. Die härtesten Formulierungen zum Gaza-Krieg sind anscheinend für Israel reserviert.
Manche Kommentatoren im Westen unterliegen angesichts der israelischen Bombardements von Gaza der Versuchung, die Hamas ideologisch zu überhöhen. Demnach führt Hamas den patriotischen Befreiungskampf der Palästinenser. Ist das so? Eher nicht.
Wer wie die Hamas behauptet den Befreiungskampf der Palästinenser zu führen, sagt zweierlei:
(1) es geht nur um die Befreiung und
(2) man vertritt die Sache der Palästinenser.
Beides ist mit Blick auf Hamas fragwürdig.
Geht es nur um Befreiung? Nein. Ein Blick in die Charta der Bewegung klärt darüber auf.
Charta der Hamas
Sie erklärt unumwunden und umfangreich den gewaltsamen Kampf gegen Israel und die Juden als das zentrale Anliegen. Dabei ist der Feind nicht nur der Staat, sondern auch die Individuen:
Der Gesandte Gottes … sagt: ´Die Stunde (der Auferstehung) wird nicht kommen, bis die Muslime gegen die Juden kämpfen. Die Muslime werden sie töten, bis sich der Jude hinter Stein und Baum verbirgt, und Stein und Baum dann sagen: ?Muslim, Oh Diener Gottes! Da ist ein Jude hinter mir. Komm und töte ihn
Diese dezidierte Tötungsabsicht, die man unter Art. 3c der Völkermordkonvention “Aufstachelung zum Völkermord” subsumieren kann, sollte für westliche Ohren schwer erträglich sein. Dennoch wird dieser Aspekt oft ignoriert, weil man in den Aktionen der Hamas einen gerechtfertigten Widerstand gegen die höchst kritisierbare Besatzungspolitik Israel sehen will. Paradoxerweise ist es oft die “Linke”, die sich dieser Haltung hingibt. Paradox deswegen, weil sich dieselbe Linke zumeist auch im Kampf gegen den Faschismus sieht.
Just bei der Hamas findet man mühelos mehrere Attribute des Faschismus:
- eine populistische Herrschaftsform mit ausgepägten Führerkult (vgl. Scheich Yasin)
- Ästhetisierung von Politik (Massenveranstaltungen, Embleme, Fahnen, Spektakel)
- voluntaristischer Zug (Ideologie vor Rationalität)
- Verherrlichung von Gewalt (siehe Charta: Heiliger Krieg)
- Expansionsbestreben (siehe Charta: ganz Palästina und Ausdehnung bis nach Jordanien)
Man kann zurecht annehmen, dass es Hamas um mehr geht als nur um Befreiung. Es geht ihr zweifellos um die Vernichtung Israels und, nimmt man sie wörtlich, vielleicht sogar um einen Vernichtungskampf gegen die Juden Palästinas. Im Umgang mit so einem Gegner ist größte Vorsicht geboten.
Vertritt Hamas die Sache der Palästinenser?
Hamas ist nicht der legitime Vertreter der palästinensischen Sache. Sie wurde nicht “demokratisch” gewählt, sondern nur “mehrheitlich”. Oh! Das hört sich nach einer hintersinnigen Verdrehung der Tatsachen an, nicht wahr? Denn immerhin wurde Hamas in einer Wahl, die sogar westliche Beobachter als fair angesehen haben, mit Mehrheit gewählt. Also demokratisch. Darf man das umdeuten? Vielleicht ja.
Was ist “die palästinensische Sache” und warum wird sie nicht durch die Hamas vertreten?
Die “palästinensische Sache” besteht verkürzt dargestellt im natürlichen Recht auf Selbstbestimmung, so wie es längst durch die Vereinten Nationen festgestellt wurde. Sie besteht in einem Anrecht auf eine selbstbestimmte Gestaltung des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens, das durch eine fortgesetzte und immer wieder neue israelische Blockadepolitik weder im Gazastreifen verwirklicht werden kann, noch in der Westbank, da die dort widerrechtlich befindlichen Siedler in Verbund mit ihrem militärischen Schutz in vielfacher repressiver Weise tief in den Alltag der Palästinenser eingreifen.
Historisch betrachtet ist die palästinensisch-levantinische Gesellschaft seit langen Jahrzehnten durch eine gemäßigte, man kann sagen weltoffene islamische Kultur gepägt.
Hamas hingegen steht für eine fundamentalistisch-islamistische Umformung dieser Kultur.
Dafür hat sie kein Mandat. Sie nutzt ihren Wahlsieg natürlich, um diese Politik zu verfolgen.
Gewählt wurde sie nicht – oder nur zum kleinen Teil – wegen ihrer Radikalisierungsabsichten in Religionsfragen, sondern aus zwei Gründen: Sie hat sich der Bevölkerung gegenüber mit Erfolg als diejenige Kraft positioniert, die sich nachhaltiger als Fatah gegen die israelische Unterdrückung wendet.
Und sie hat sich jahrzehntelang durch umfangreiche karitative Leistungen als hilfsbereiter Samariter gezeigt, eine Methode, deren Erfolg schon in der Gründungszeit der Muslimischen Bruderschaft zu sehen ist.
In der Beurteilung der Hamas ist man gut beraten – auch angesichts der brutalen Gangart Israels in Gaza – zu unterscheiden zwischen den Gründen, aus denen sie zur Macht gelangt ist und den Handlungen, die sie seitdem aufgrund ihrer zentralen Motive vornimmt.
— Schlesinger
PS 1: Sari Nusseibeh, der palästinensische Präsident der Al-Kuds-Universität in Jerusalem, beschrieb die Charta der Hamas als “direkt aus dem Stürmer entsprungen“. Ein wahres Wort.
PS 2.: Macht das Gesagte die Fatah besser oder ändert es etwas an deren jahre- und jehrzehntelanger Korrumption? Nein, aber um die Fatah ging es hier nicht. Um es simpel zu formulieren: Nur weil die Palästinenser in Gaza innenpolitisch aus dem Regen gekommen sind, gibt es für uns keinen Grund, die Traufe zu bejubeln.
Leseempfehlungen:
Israel will Hamas ausmerzen
Israelische Armee kämpft in Gaza Stadt
Spiegelfechter: Das hässliche Gesicht Israels