Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit ihrer jüngsten Regierungserklärung einen geradezu spektakulären Strategiewechsel für den Nahen Osten vollzogen.
Zeitgleich mit der Erklärung der Bundeskanzlerin haben der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy und der britische Premierminister Gordon Brown ähnlich lautende Erklärungen abgegeben.
Präsident Barack Obama sowie der iranische Präsident Ahmadinedschad wenden sich morgen mit einer Rede an ihre Nationen. Der israelische Ministerpräsident, Palästinenserpräsident Abbas sowie Hamas-Führer Hanija haben ebenfalls Erklärungen angekündigt.
Dieses Ergebnis überrascht in der kompakten Präsentation, kommt aber nicht völlig unerwartet, da hinter den Kulissen seit Wochen rege Aktivitäten stattfanden.
Wie gut informierte Medien zuletzt berichteten, haben zahlreiche diskrete Verhandlungen zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier einerseits, sowie hochrangigen Emissären aus London, Paris, Washington, dem Büro des UN Generalsekretärs sowie des NATO-Generalsekretärs andererseits stattgefunden. Auch von intensiver Pendeldiplomatie des US Gesandten George Mitchell sowie von Außenministerin Clinton war die Rede.
In den wenigen anschliessenden Erklärungen war stets nur die Rede davon, man wolle mit “mutigen, neuen Schritten” zu einer Lösung des Nahostkonflikts gelangen.
Aus vertraulichen Hintergrundgesprächen deutete sich jedoch an, dass die Westmächte Sicherheitsgarantien nicht nur für Israel aussprechen wollten, sondern auch für die Palästinenser und den Iran.
Obama hat die Voraussetzungen geschaffen
Die Voraussetzungen für diese vollkommen neue Nahostpolitik hat US Präsident Barack Obama geschaffen, indem er nicht nur im Wahlkampf, sondern ab Übernahme seines Amtes klar gemacht hat, eine neue Politik der Verständigung und der Kooperation betreiben zu wollen.
Während sich Präsident Obama zu Beginn des Gazakrieges zum Thema Naher Osten noch bedeckt gezeigt hatte – er hatte zu diesem Zeitpunkt das Amt noch nicht inne -, wurden nach seinem Amtsantritt mehr und mehr Signale deutlich, die auf einen zwar taktisch behutsamen, aber inhaltlich unverkennbaren Kurswechsel schliessen ließen.
Schon vor dem erwarteten Wahlsieg der Rechten in Israel und dem folgenden Auftrag von Staatspräsident Schimon Peres an Likud-Chef Benjamin Netanjahu, eine neue Regierung zu bilden, wurde ersichtlich, dass Washington die Beziehung zu Jerusalem auf eine neue, nüchterne Basis gestellt hat.
In dieser Phase gingen weitere Signale der Entspannung an Teheran, die seitens Präsident Ahmadinedschad nicht nur angenommen wurden, sondern in unerwartet kurzer Zeit in multilaterale Gespräche mündeten.
Daraus dürfte das zeitlich unbegrenzte Waffenstillstandsangebot der Hamas rühren, das unlängst ausgesprochen, aber von Israel noch nicht angenommen wurde.
Steinmeier formulierte die neue Agenda
Präsident Obama machte dabei klar, dass die Sicherheitsgarantien der USA für Israel nach wie vor Bestand hätten. Ergänzend stellte er aber die Frage in den Raum, wer adäquate Garantien für die Palästinenser und den Iran bieten könnte.
Wie der SPIEGEL berichtet, war es Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der diese Fragestellung Obamas aufgegriffen und daraus das neue strategische Konzept für den Nahen Osten geformt hat.
Die zentrale Aussage der Strategie lautet gleichermaßen einfach wie umwälzend: Gleiche Sicherheiten für alle Beteiligten.
Wie der SPIEGEL weiter berichtet, wurden Rußland und China intensiv in die Gespräche mit eingebunden. Dabei konnte Übereinstimmung erzielt werden, dass die Garantien entweder nur von den NATO-Staaten oder nur von Rußland und / oder China ausgesprochen werden sollten, da ansonsten die Gefahr bestünde, dass die Schutzbefohlenen die Großmächte wie zu Zeiten des Kalten Krieges gegeneinander ausspielen würden. Moskau und Bejing hätten der “westlichen Lösung” zugestimmt und erklärt, Beobachtermissionen in die Palästinensergebiete zu entsenden.
Regierungserklärung Angela Merkels zur Sicherheit der Palästinenser
Im zentralen Passus ihrer Erklärung* sagte die Kanzlerin:
“Der Völkermord an den Juden ist beispiellos in der Geschichte.
Deutschland bekennt sich zu seiner historischen Verantwortung und muss die Erinnerung wachhalten an das, was Menschen erleiden mußten.
Die Schuld, die wir auf uns geladen haben, erfordert zugleich ein Nachdenken über den Gang unserer Geschichte, ja, über den Gang der Geschichte überhaupt.
Je ehrlicher wir uns dieser Aufgabe stellen, desto freier sind wir, unseren moralischen Verpflichtungen nachzukommen. Die Erinnerung an früheres Leid allein genügt nicht.
Wir müssen uns auch mutig den heutigen Misständen in der Welt zuwenden und unsere Kraft – auch inmitten dieser Wirtschaftskrise – in den Dienst derjenigen Völker stellen, die am stärksten Not leiden und am stärksten gefährdet sind.
Darin wollen wir den Geist der Charta der Vereinten Nationen und – wie dort geschrieben steht – “unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein” bekräftigen und mit neuem Leben füllen.
Die westliche Welt ist, unterstützt durch die Führer Rußlands und Chinas, darin übereingekommen, sich der Lage des notleidenden palästinensischen Volkes in einer neuen Art anzunehmen.
Neben dem unbedingten Schutz Israels durch die Vereinigten Staaten von Amerika, den wir uneingeschänkt unterstützen, übernehmen wir einen ebensolchen Schutz für die Sicherheit des palästinensischen Volkes gegenüber militärischen Angriffen, gleich woher sie rühren.
Damit verbunden bekräftigen wir den Anspruch des palästinensischen Volkes auf eine eigene, souveräne Nation, womit sowohl der freie Personen- und Warenverkehr wie auch die weitestgehende territoriale Selbstbestimmung innerhalb seiner Grenzen verbunden sein muss.”
Soweit die Bundeskanzlerin. Mit dem Hinweis auf die “weitestgehende territoriale Selbstbestimmung” kann nur das Problem der völkerrechtswidrigen jüdischen Besiedlung im Westjordanland gemeint sein. Offenbar ist sich der Westen bewußt, dass die Forderung nach einem vollständigen Abzug aller Siedler die Gefahr eines Bürgerkriegs trägt. Da aber die territoriale Selbstbestimmung grundsätzlich gefordert wird, bedeutet dies im Klartext, dass man die Auflösung zumindest der neueren Siedlungen verlangen wird.
Nach ihren Ausführungen zu den Palästinensern ging Angela Merkel auf den Iran sowie die katastrophale Lage in Dharfour sowie in Simbabwe und dem Kongo ein.
Dieser Politikwechsel ist nichts weniger als der kraftvolle Versuch, den gordischen Knoten namens Naher Osten mit dem Schwert zu durchtrennen.
Nachdem sich zahllose Verhandlungsversuche über Jahrzehnte als weitgehend ergebnislos erwiesen haben, haben wir es bei diesem neuen Vorgehen mit einer völlig neuen und überaus vielversprechenden Perspektive zu tun.
Eine Nahostpolitik im Geiste von Bush senior
Obwohl sich Israel angesichts dieser neuen Politik massiv und ungerechterweise unter Druck gesetzt fühlen dürfte, haben wir es in gewissem Sinn mit einer konstruktiven Fortsetzung der Nahostpolitik von George H.W. Bush zu tun.
Bush senior hatte – im Gegensatz zu Ronald Reagan oder Bill Clinton – keine besonderen Bande zu Israel und verfolgte eine nüchterne Nahostpolitik. Die Siedlungen im Westjordanland waren ihm ein Dorn im Auge. Zurecht erkannte er sie als wesentliches Hindernis für eine friedliche Lösung.
Als sich der damalige israelische Ministerpräsident Yizhak Schamir erstmals mit dem amerikanischen Präsidenten traf, meinte Schamir, die Siedlungen seien “kein Problem”. Bush fasste dies so auf, dass sich Schamir um einen Abzug kümmern würde. Doch das genaue Gegenteil traf zu. Washington fühlte sich hintergangen. Bush senior revanchierte sich damit, die später von Shamir dringlichst geforderten 10 Millarden Dollar Kreditgarantien nicht zu gewähren, solange Shamir nicht auf weitere Subventionierung der Siedlungen verzichten würde. Shamir ließ sich darauf nicht ein.
In der israelischen Bevölkerung wurde dieser Streit zum Thema im Wahlkampf. Dabei schlug man sich überwiegend aud die Seite Washingtons.
Zu einem gewissen Teil mag dies zur Niederlage Shamirs gegen seinen Nachfolger – und den später ermordeten – Jitzchak Rabin beigetragen haben.
Durch die Vertreibung Saddam Husseins aus Kuwait im Ersten Golfkrieg, die Herbeiführung der weit gelangten Madrider Friedensgespräche und die Förderung der Anti-Siedlungspolitik Rabins hat Bush senior trotz aller äußerlichen Distanz zu Israel objektiv mehr für den dortigen Frieden getan, als manch erklärter Freund Israels.**
So könnte angesichts der nun vorliegenden neuen Agenda auch heute, jenseits aller subjektiven Verstimmung zwischen Jerusalem und Washington, ein objektiv besseres Ergebnis vor uns liegen.
— Schlesinger
PS 1: Das zentrale Thema dieses Beitrags – die Formulierung einer neuen Strategie für den Nahen Osten – ist ebenso fiktiv, wie die dazu gegeben Hinweise auf Medienberichte oder die vermeintliche Regierungserklärung Merkels.
Nichtsdestoweniger darf oder soll dieser Beitrag als Anregung gelesen werden, zumal einige der aufgezeigten Handlungsstränge durchaus existieren.
* In der fiktiven Regierungserklärung Merkels wurden einige Abschnitte aus der Rede des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker v. 08. Mai 1985 anlässlich des Kriegsendes 1945 adaptiert.
** Die Darlegung zur Nahostpolitik Bushs ist nicht fiktiv. Quelle neben dem angegeben Beitrag der NYT: Tom Friedman, From Beirut to Jerusalem
(Photo: Steinmeier / Solana) (Photo: Angela Merkel) (Photo: Bush sen.)