Im Januar titelte der FOCUS in seiner Rubrik Wissen zum Thema Klimawandel “Von wegen Polschmelze”:
Die weltweite Situation, so der Bericht, gleiche nun wieder der von 1979.
Klimawandel abgesagt, könnte man auch sagen.
Diese Aussage rührte nicht von irgendwo her, sondern vom Arctic Climate Research Center der Universität von Illinois.
In den USA wurde diese Nachricht sogleich von prominenten Medien weiter getragen. Allen voran vom konservativen Kolumnisten George F. Will von der Washington Post:
As global levels of sea ice declined last year, many experts said this was evidence of man-made global warming. Since September, however, the increase in sea ice has been the fastest change, either up or down, since 1979, when satellite record-keeping began. According to the University of Illinois’ Arctic Climate Research Center, global sea ice levels now equal those of 1979.
Selbstredend, dass sich die “Klimaskeptiker” hüben wie drüben mit großer Häme auf diese Meldung gestürzt haben.
Zum Beispiel hat hierzulande ein Blog, das ausgerechnet den Begriff “Wahrheiten” im Namen trägt unter dem Titel “Das Ende der CO2-Sekte in greifbarer Nähe?” ein Musterbeispiel an Überheblichkeit abgeliefert:
Zu dumm aber auch, dass ausgerechnet nach dieser Pressemeldung von der dramatischen Beschleunigung des Klimawandels der Kälteeinbruch kam.
Das tut der Glaubwürdigkeit wirklich nicht gut, ganz und gar nicht. Nun, Lügen tun der Glaubwürdigkeit sowieso niemals gut, das sollte diesen Damen und Herren “Klimaforschern” hoffentlich irgendwann auch klar werden.
Und dann wird offenbar, dass die Arktis überhaupt nicht so abtaut, wie das erstunken und erlogen – ich meine natürlich behauptet wurde […]
Dazu treten in jenem Beitrag unzählige Schmähungen wie “Schwachsinn”, “Korruption”, “größenwahnsinniger Unsinn” etc.pp., Hätte der Blogger doch nur sein eigenes Motto “Nichts glauben – selbst prüfen!” befolgt, denn…
Nicht besser wird es bei Beiträgen wie “Die CO2-Sekte spinnt jetzt total!” oder – immer gerne praktiziert – wenn solche Artikel wie jener aus dem FOCUS per copy und paste für Kommentarbeiträge verwendet werden, wie zum Beispiel auf der Stuttgarter Zeitung (bezeichnenderweise von einem user namens “Müllmann”, nomen est omen).
Der Haken an der ganzen Sache: Die Aussage von Will, FOCUS & Co. stimmt nicht und wurde von der Universität Illinois so nie getroffen.
George Will hat den Bericht des Instituts so gelesen, wie er ihn lesen wollte. Der Rest ist voneinander abschreiben und allzu willfähriges Übernehmen in eigener Sache.
Das Arctic Climate Research Center hat längst eine Stellungnahme zu diesen verfälschenden Berichten herausgegeben und legt in der üblichen zurückhaltenden wissenschaftlichen Sprache seine differenzierten Argumente dar.
In einer aktuellen Stellungnahme bestätigt auch das National Snow and Ice Data Center, dass sich am Befund des Rückgangs an Eisfläche in der Arktis nichts signifikant geändert habe.
Unter anderem hat der Wissenschaftsjournalist John Fleck George Will dafür gemaßregelt. Der dürfe seine eigene Meinung haben, nicht aber seine eigene Fakten erzeugen (“George Will is entitled to his own opinions. He is not entitled to his own facts.”).
Fleck hat vorsichtshalber zuvor beim Arctic Climate Research Center nachgefragt und bekam zur Antwort:
We do not know where George Will is getting his information, but our data shows that on February 15, 1979, global sea ice area was 16.79 million sq. km and on February 15, 2009, global sea ice area was 15.45 million sq. km.
Therefore, global sea ice levels are 1.34 million sq. km less in February 2009 than in February 1979. This decrease in sea ice area is roughly equal to the area of Texas, California, and Oklahoma combined.[ und ergänzt in Richtung Washington Post: ]
It is disturbing that the Washington Post would publish such information without first checking the facts.
Andere Wissenschaftsblogs wie das discovermagazine haben ausführliche Repliken zur mutwilligen Berichterstattung Will’s vorgelegt: “Wie George F. Will von der Last der Beweisführung befreit ist”.
Der prominente Blogger Ezra Klein zeigt George Wills Nähe zum Recycling-Gedanken. Denn: Will “recycelt” teilweise steinalte und längst nicht mehr haltbare Argumente gegen den Klimawandel auch für seine neueren Artikel. Ezra Klein zeigt Wills Vorliebe, auf alte Artikel wie einem Newsweek-Beitrag von 1975 herum zu reiten, statt sich aktuelle Ergebnisse anzusehen:
For comparison, we can read the National Academy of Science’s 2008 report “Understanding and Responding to Climate Change” (a very useful paper, incidentally, and available for free download). There we find that “the scientific understanding of climate change is now sufficiently clear to begin taking steps to prepare for climate change and to slow it. Human actions over the next few decades will have a major influence on the magnitude and rate of future warming. Large, disruptive changes are much more likely if greenhouse gases are allowed to continue building up in the atmosphere at their present rate.”
Das große Blog Talking Points Memo (TPM) macht folgendes Wortspiel: “Wo ein Will(e) ist, ist auch ein Weg, globale Erwärmung zu leugnen.” Korrekt.
Das Grundmuster der Halbwahrheiten
Ein weiteres aktuelles und unschönes Beispiel, wie man Beiträge von Wissenschaftlern irreführend verwendet, stammt von der Klima (Skeptiker?) – Seite oekologismus.de. Dort wird in weitgehend sachlichem Ton und unter Verwendung eines korrekten Quellen-Links auf einen Beitrag von Dr. Vicky Pope (Head of Climate Change Advice, UK MetOffice) in der britischen Zeitung Guardian referenziert.
Korrekt gibt der Blog den (berechtigten) Vorwurf der britischen Wissenschaftlerin wider, es gebe in Wissenschaftskreisen inzwischen die gefährliche Tendenz, Variationen im Naturgeschehen als Menschenwerk auszugeben.
Dieser Vorwurf trifft in einigen Fällen bestimmt zu und bedarf zweifellos der notwendigen Korrektur.
Soweit, so gut. Das allerdings ist noch lange kein Grund, die folgende essentielle Aussage von Frau Pope zu unterschlagen. Der Absatz im Ganzen lautet:
Indeed, the record-breaking losses [des arktisches Eises, Anm. d.V.] in the past couple of years could easily be due to natural fluctuations in the weather, with summer sea ice increasing again over the next few years.
This diverts attention from the real, longer-term issues. For example, recent results from the Met Office do show that there is a detectable human impact in the long-term decline in sea ice over the past 30 years, and all the evidence points to a complete loss of summer sea ice much later this century.
Jenseits der unzulässigen Übertreibungen, so Pope, gebe es durchaus feststellbares menschliches Einwirken, die auf einen kompletten Rückgang des arktischen Eises im Sommer gegen Ende des Jahrhunderts schliessen läßt.
Auf Oekologismus.de bleibt es allerdings bei der “halben” Darstellung:
Dr. Pope zufolge gibt es in Wahrheit praktisch keine Belege für solche Thesen. Die Eis-Verluste der letzten Jahre können ebenso gut die Folge natürlicher Variationen sein. Dies sei nur ein Beispiel, für die selektive Auswahl wissenschaftlicher Ergebnisse , um eine ´[erwünschte] Ursache zu beweisen.
Was für ein Unterschied in der Aussage! Es ist vielleicht kein Zufall, dass jener Blog diese zentrale Information unterschlägt. Vielleicht war es auch nur ein tendenziöser Gastbeitrag, und der Blog möchte diese einseitige Darstellung korrigieren.
— Schlesinger
Leseempfehlungen: George Monbiot on the British Guardian; Climate Progress
PS.: Thanks to James Hrynyshyn on scienceblogs for his collection of blogs related to this issue….