Das Kürzel der offiziellen pro-israelischen Lobby in Amerika, AIPAC*, ist für viele ein Reizwort.
Auch wenn der AIPAC keineswegs im Dunkeln agiert, sondern seit 1951 als amtlich registrierte full-time Lobbyorganisation in aller Öffentlichkeit arbeitet, gilt nichtsdestoweniger: Er verfügt über einigen Einfluss.
EINE ZÖGERLICHE FREUNDSCHAFT
Anfangs, also kurz nach der Gründung des israelischen Staates im Jahr 1948, ging es um die wirtschaftliche Unterstützung Israels. Die Eingliederung der vielen Hunderttausend jüdischen Immigranten vor allem aus Europa erforderte beträchtliche Summen. Washington gab sich kühl. Eine sichtbare Unterstützung Israels hätte die arabischen Nationen verprellt, so die Befürchtung. Da der Kalte Krieg inzwischen im Gange war, hätte das zur Hinwendung arabischer Staaten zur Sowjetunion führen können. Das zu vermeiden war eindeutig wichtiger. Wie Präsident Eisenhower in seinen Memoiren schrieb, fühlte er sich seitens der israelischen Interessenvertreter schwer bedrängt. Das aber führte nur dazu, dass er sich deren Ansinnen gegenüber mehr und mehr verschloss.
KALTER KRIEG ALS VATER ALLER BÜNDNISSE
Dennoch wurde der Kalte Krieg zur wichtigsten Größe im Verhältnis der beiden Staaten. Zunächst wirkte sich das zum Nachteil Israels aus, wie sich im Verlauf der Suezkrise von 1956 drastisch zeigen sollte. Washington stellte sich aus geopolitischen Erwägungen gegen die auf dem Sinai militärisch erfolgreiche Koalition von England, Frankreich und Israel, zwang sie zum Rückzug und machte so aus dem militärischen Sieg eine politische Demütigung ersten Ranges. Der bereits am Abgrund gestandene ägyptische Staatspräsident Nasser war gerettet.
Nasser, der es zunächst verstanden hatte, die USA und die UdSSR gegeneinander auszuspielen, schlug sich in der Folge auf die Seite der Sowjetunion, liess sich von ihr aufrüsten und veränderte dadurch das Kräfteverhältnis vor Ort. Damit wurde Israel, gerade noch düpiert, für Washington zunehmend bedeutsam.
Aus Sicht Washingtons wurde für die nächsten Jahrzehnte entscheidend, dass man in Israel einen soliden Bündnispartner im geopolitisch fragilen Nahen Osten gefunden hatte. Dieser Relation hatten sich andere Interessen unterzuordnen.
KEINE AMERIKANISCHEN FREIBRIEFE
Dass dies kein Freibrief war, zeigte sich unter anderem in der Regierungszeit von George H.W. Bush. In Israel tobte seit 1987 die erste Intifada, der Aufstand der Palästinenser im besetzten Gaza und der Westbank. Hatte Ronald Reagan zuvor noch eine reichlich israelfreundliche Politik betrieben, schlug Bushs Außenminister James Baker III. vor dem AIPAC einen geradezu schroffen Ton an:
For Israel, now is the time to lay aside, once and for all, the unrealistic vision of a greater Israel […] forswear annexation [den Gebietsaneignungen abschwören]; stop settlement activity; allow schools to reopen; reach out to the Palestinians as neighbors who deserve political rights.
Während sich der damalige AIPAC-Vorsitzende Thomas A. Dine noch dazu durchringen konnte, von einer “fairen Rede” zu sprechen, herrschte im Publikum längst Aufruhr. Der damalige israelische Verteidigungsminister Jitzchak Rabin sprach von einer “wenig hilfreichen” Äußerung, während Premierminister Jitzchak Schamir sich sich gegen jegliche Gebietsrückgaben verwehrte.
Obwohl sich Bushs Nachfolger Bill Clinton über das arrogante Auftreten Benjamin Netanjahus in Washington anlässlich dessen Amtsantritt als israelischer Ministerpräsident pikiert zeigte (“”he thinks he is the superpower and we are here to do whatever he requires”), vertrat er gegenüber Jerusalem eine rundweg freundliche Politk. So schreiben manche die 1995 über den Iran verhängten Handelssanktionen der direkten Vorgabe des AIPAC zu.
BUSH OLMERTS PUDEL
Einen guten Eindruck von der Bedeutung des AIPAC kann man bei deren Jahrestreffen in Washington bekommen. Bei der Jahresversammlung im März 2006 dauerte alleine die Verlesung der wichtigsten Gäste eine halbe Stunde. Zu den Prominenten gehörte der Großteil des Senats, ein Viertel des Abgeordnetenhauses und zahlreiche Angehörige der Administration von George W. Bush.
Im Sommer jenen Jahres 2006 wurde auf Weisung des israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert im Süden des Libanon der Krieg gegen die Hisbollah geführt, der vom AIPAC rundweg befürwortet wurde. Der US Senat verabschiedete eine Resolution zur Mißbilligung der Hisbollah und für das Recht Israels auf Selbstverteidigung. Nachdem man aus dem Text noch einen Passus entfernt hatte, der von beiden Konfliktparteien Rücksichtnahme auf Zivilisten und Infrastruktur gefordert hatte, wurde die Resolution mit überwältigender Mehrheit angenommen.
Einen Tag später kritisierte Zbigniew Brzezinski, der ehemalige Sicherheitsberater Jimmy Carters, vor dem Ausschuss der Demokraten: Dieser Resolutionstext sei nicht etwa vom AIPAC beeinflusst worden, sondern stammte direkt aus dessen Feder. Nun ist Brzezinski für seine israelkritische Haltung bekannt.
Dasselbe kann man schwerlich über Henry Siegman sagen, dem früheren Vorsitzenden des American Jewish Congress und Mitglied im Rat für Auswärtige Beziehungen (Council of Foreign Relation).
Doch auch für Henry Siegman ging dieser Einfluss auf die Regierung Bush entschieden zu weit: Der Kongress hätte immerhin die Bush-Administration kritisiert, wenn sie sich allzu nachgiebig gegenüber Israel zeigte. Aber wenn es zum israelisch-arabischen Konflikt kommt, sei jede Debatte darüber von pro-israelischen Interessengruppen so dominant besetzt, dass jede Kritik an Israel zum politischen Karrierekiller würde. Das jedenfalls galt für die Bushjahre.
OBAMA GIBT NEUE RICHTUNG VOR
Der Kalte Krieg als die lange Jahre bestimmende Größe im Verhältnis der USA zu Israel ist längst vorbei.
Auch 9/11 als die acht Jahre lang dominierende Größe der amerikanischen Außenpolitik ist in den Hintergrund getreten.
Das “with us or against us” des George W. Bush bleibt lediglich als eine Art diplomatischer Sündenfall in Erinnerung.
In Zeiten, in denen die Energiefrage immer drängender wird, in denen eine Weltwirtschaftskrise zu enormen Verwerfungen führt, und in denen der Klimawandel drohend aufzieht, müssen sich die Prioritäten ändern. Kaum einer sieht das klarer als Obama.
Obama unternimmt nichts Geringeres, als die Stellung der USA in der Welt neu zu justieren. Das betrifft auch das Verhältnis zu Israel und infolgedessen das Verhältnis zum AIPAC.
Als der designierte Präsident Obama den jüdischen Kongressabgeordneten Rahm Emanuel zu seinem Stabschef machte, galt für viele als ausgemacht, dass sich Obama damit an das Gängelband Israels gelegt hat. Das dürfte eine allzu vorschnelle Einschätzung sein, die möglicherweise auch auf einer Gewöhnung an acht Jahre holzschnittartiger Politik à la Bush beruht, und bei der noch nicht ins Kalkül gezogen wurde, dass mit Obama ein kluger, besonnener Stratege im Oval Office sitzt.
Rahm Emanuel jedenfalls hat vor AIPAC-Vertretern ebenso wie Vizepräsident Joe Biden unmißverständlich klargestellt, dass man nicht nur von den Palästinensern, sondern auch von Israel klare Zugeständnisse erwarte.
Anfang Mai diesen Jahres sprach Israels Staatspräsident Shimon Peres vor dem AIPAC, bedankte sich für dessen großartige Unterstützung und sprach mit großer Euphorie über Obama:
I am thanking you for the central role in strengthening the shared values of policy between the United States and Israel. […]
Dear friends, a tsunami of hope is following across the entire globe.
Its center is right here in America.
Six months ago, you elected a new President of the United States. […]
On behalf of the State of Israel, and in my name, I want to wish you [President Obama] success. Y’varekh’kha hashem v’yishmarekha – Godspeed, Mr. President.
In einer Hinsicht konnte Peres mit Recht sagen “Ihr habt Obama gewählt”, da bei den Wahlen beachtliche drei Viertel der jüdischen Wähler für ihn gestimmt hatten. Und das, obwohl Obama längere Zeit mit dem Ruf zu kämpfen hatte, er sei Israel gegenüber nicht ausreichend loyal. Als Obama den Eindruck hatte, in der jüdischen Wählerschaft gegenüber seiner Konkurrentin Hillary Clinton allzusehr an Boden zu verlieren, lehnte er sich mit dem Satz vom “unteilbaren Jerusalem” weit aus dem Fenster, und wurde von arabischer Seite heftig kritisiert. Später relativierte er seine Aussage, und die Wogen glätteten sich auf beiden Seiten.
Jüdische Amerikaner sind traditionell überwiegend liberal eingestellt. Israel ist für sie – nachdem der spektakuläre Sieg im Sechstagekrieg von 1967 längst Patina angesetzt hat ist – keine romantische Vision mehr, sondern lediglich Form sozialer Identifikation.
Mit anderen Worten: Amerikanische Juden sind zuallererst Amerikaner, und im übrigen Freunde Israels.
Inwieweit diese Charakterisierung auch für die im AIPAC organisierten Bürger zutrifft, sei dahingestellt.
CHRISTLICHE FUNDAMENTALISTEN IN JÜDISCHER LOBBY
Der AIPAC ist zunächst eine politische Interessengruppe, keine religiöse Gruppierung. Er setzt sich aus jüdischen und christlichen US-Bürgern zusammen, wobei sich die teilweise fundamental-zionistischen Weltanschauungen durch beide Läger ziehen. Im Grunde ist es ein seltsames Bündnis.
Die christlichen Zionisten gehören überwiegend zum rechtskonservativen Lager. Ihre religiösen Erlösungserwartungen richten sie ganz auf die Rückkehr des Herrn im Lande Israel. Das Wohlergehen Israels ist ihnen dafür die Voraussetzung. So sprach im März 2007 der überaus einflussreiche evangelikale Pastor John Hagee vor dem AIPAC, um Werbung für ein engeres Miteinander zwischen AIPAC und seinen Christen zu machen:
The sleeping giant of Christian Zionism has awakened;
there are 50 million Christians standing up and applauding the State of Israel.
Hagee setzte Irans Präsident Ahmadinedschad mit Hitler gleich und lieferte den Hinweis, wie man sich gegenüber den Gefahren aus der arabischen Welt wappnen müsse:
[…] Appeasement is not the answer my friends.
Um ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie die selbsternannten wahren Freunde Israels, also die radikal-klerikalen Christen, über Shimon Peres’ Glückwünsche an Obama denken, hier ein Beispiel:
Shimon Peres, the bloody vulture [Geier] who initially came to power over Rabin’s dead body, the perfidious [heimtückisch] president of Israel, has publicly wished president usurper Obama [~ dem unrechtmäßigen Präsidenten] […] “full success” and “God speed.”
What a madman!
Such success would mean death to the United States and death to Israel!
OBAMA MUSS ES (FAST) ALLEINE RICHTEN
Die christliche Rechte und der AIPAC werden gewiß versuchen, die Administration Obama an die Hinhaltepolitik Netanjahus anzunähern, wozu insbesondere die alarmistischen Verweise Netanjahus auf den Iran gehören.
Unterstützung finden sie dabei bei den Republikanern. Zuletzt hatte der einflussreiche Senator Newt Gingrich Obama schwer kritisiert, die Sicherheit Israels zu gefährden.
Obama jedenfalls wird seine Politik gegenüber Israel nicht primär am AIPAC ausrichten.
Dass nur ein knappes Drittel der Israelis der Auffassung ist, Obama sei ein Freund Israels, macht die Aufgabe nicht leichter. Auf George W. Bush dürfte er deshalb nicht neidisch werden, auch wenn jener von fast 9/10 der Israelis als Freund angesehen wurde.
In den Cafes von Beirut erkennt man währenddessen Obama schon als Grund für die unerwartete Niederlage der Hisbollah in der gerade erfolgten Parlamentswahl. Die arabische Zeitung al-Hayat sprach nach Obamas Rede in Kairo vom “verwirrenden Gast, der uns die Attraktivität des großen Satan offenbarte”. Wer in der Welt so punktet, muss und wird sich einer heimischen Lobby nicht beugen. Obama wird dabei so klug bleiben, dies nicht zu zeigen.
Zur Unterstützung einer solchen verantwortungsvollen Politik des Ausgleichs, die Obama gegen Einzelinteressen durchsetzen möchte, bräuchte es Verbündete auch in Europa, die über genügend Rückgrat verfügen.
— Schlesinger
* American Israel Public Affairs Committee
Photos: KodakAgfa (Nasser, Flickr CC Lizenz), Pro Israel Demo (Josh.ev9, Flickr CC Lizenz), Shimon Peres (World Economoc Forum, Flickr CC Lizenz), Obama/Netanjahu (CC White House)