Couscous und Davidoff in Jaffa

Das mit den Zigarren gestern abend an der Strandbar scheint kein Zufall gewesen zu sein. Eine Runde von Mitt-Dreissigern saß gemütlich um einen dieser niedrigen Tische, die auf diesem unglaublich weichen Sand verteilt waren. Und schmauchten an ihren enorm dicken Zigarren. Drei von den vieren hatten eine Kippa auf, waren aber offensichtlich nicht orthodox. Heute dasselbe in Jaffa.

Jaffa ist der südliche, stärker arabisch bewohnte Stadtteil von Tel Aviv. Arabisch? Am Straßenbild und dem Publikum ist das nur bedingt zu erkennen. Offenbar hat sich längst herumgesprochen, dass man in Jaffa noch ein bischen günstiger an Grund und Boden kommt als in anderen Stadtteilen Tel Avivs. Auch sonst kann man keine großen Unterschiede zwischen Jaffa und Tel Aviv erkennen.

Die beste Idee heute morgen: Ein Fahrrad mieten. Eigentlich wollte ich zu Fuß vom Hotel nach Jaffa laufen. Die drei Kilometer der Strandpromenade entlang wären nicht zu viel gewesen. Dachte ich. Wären sie aber doch. Ich hätte einen Hitzschlag erlitten, trotz der strammen Brise vom Meer. Die Sonne hat eine Kraft, die man nicht unterschätzen sollte.

Also ging es los mit dem Fahrrad (120 Schekel für drei Tage ~ 25 Euro). Eine grober Stadtplan vom Hotel muss genügen. Lieber orientiere ich mich an der Himmelsrichtung und ansonsten nach der Nase. Das bietet mehr Spielraum für Überraschungen. Nach geschätzten zehn Kilometern hügelauf, hügelab und durch alle möglichen Gässchen stellte sich Appetit ein. Die Nase kommt ins Spiel, konkreter diesmal.

Im alten Ortsteil von Jaffa komme ich an einem Innenhof vorbei, in dem es turbulent zugeht. Und welcher Duft  heraus strömt! Ein Lokal. Ja. Aber was für eins!* Es ist das “Shakshuka”, was lustigerweise “Alles miteinander” heißt und so viel wie “Auflauf” bedeutet.  Man muss schon vor der kleinen Hofeinfahrt stehen, um es nicht zu übersehen.  Es hat einen Innen- und einen Aussenbereich. Nach der vielen Sonne (ich fürchte: zu vielen Sonne) nehme ich gerne einen schattigen Platz drinnen. Neben allerlei alten Utensilien an den Wänden hängt Kochgeschirr hundertfach von der Decke, vermutlich gesammelt seit den Zeiten König Davids.

Die nette Bedienung empfiehlt mir das Tagesgericht, Lamm vom Grill: “Best lamb in the world!” versichert sie mit einem Strahlen. Da ich zwei Meter neben dem Grill sitze und Karem, den etwa siebzigjährigen Grillmeister voller Bewunderung beobachtet habe (ok, die Bewunderung galt mehr dem brutzelnden Lamm), stimme ich mehr als bereitwillig zu. Vor dem Hauptgang gibt es die landesüblichen starters: Hoummus (Kichererbsen- / Sesammus) und sauer eingelegtes Gemüse (ein bisschen vergleichbar mit mixed pickles, aber frischer). Das Hoummus ist besonders fein.

Inzwischen sitzt ein älterer Mann mit beachtlicher Leibesfülle neben mir, der etwas von einem Patriarchen hat. Gleichermaßen zufrieden wie aufmerksam beobachtet er alles. Er wird von vielen begrüsst. Man hält ein kurzes Schwätzchen mit ihm. Meine Frage, ob er der Inhaber sei, bejaht er. Das Kompliment, er habe ein außergewöhnliches Restaurant, nimmt er mit echter Freude entgegen und meint dazu “First my father owned it, then I. Since 60 years we have this place!”.  Freunde nennen ihn “Bino” , aber landesweit bekannt ist er als “Dr. Shakshuka”. Immerhin hat auch das amerikanische “Food and Wine” über ihn berichtet. Zurecht.

Das Geheimnis des besten Hoummus

Beim Hoummus gibt es große Unterschiede. An den wenigen Grundbestandteilen liegt es nicht. Über Nacht eingeweichte Kichererbsen werden weich gekocht und zusammen mit Sesammus (Tahin) und Olivenöl fein püriert. Das Ganze mit Zitrone und Salz abschmecken. Um mich auf die Reise einzustimmen hatte ich letzte Woche selbst Hoummus gemacht. Es wurde besser als das letzte mal, weil ich mehr frischen Zitronensaft und statt normalem Knoblauch den frischen violetten Knoblauch verwendet habe. Mit dem Hoummus vom Doktor kann mein Hausgemachtes nicht konkurrieren – noch nicht. “Whats the secret of your hoummus? I never managed to get it that creamy” frage ich die Bedienung. “Ice”, antwortet sie. Ich frage nach, weil ich mich vielleicht verhört habe. Pistazieneis? Nein: Beim Pürieren wird gestossenes Eis hinzugefügt. Raffiniert. Also schon wieder einer dieser physikalisch-mechanischen Kochtricks. Das ist notiert!

Gegen den Durst gönne ich mir das heimische Bier “Goldstar”. Frisch vom Fass. Ein dunkles Lager. Lecker, malzig, sehr süffig. Gäbe es das bei uns, wäre es sofort eins meiner Favoriten. Überflüssig zu sagen, dass das Lamm  vom Grill ebenso gut war wie der arabisch zubereitete Reis (meist dezent nussig-süsslich).

Im Innenhof sitzt eine leutselige Gruppe, die ihr Essen hinter sich hat. Reihum zünden sich die Gäste dicke Zigarren an. Ein paar der Männer haben die Kippa auf. Auch sie wirkten sehr weltlich. Daher kann man annehmen, dass die Kippa in diesen Fällen mehr Symbolcharakter hat und weniger als Signal für Religiosität dient. Vielleicht am ehesten so: “Ich bin Israeli und Jude und stolz darauf, das zu sein und hier zu sein.” Wäre ich Raucher, hätte ich es ihnen vor lauter Wohlbefinden gleich getan. Das mit der Zigarre meine ich.

Und wo bleibt nun das Politische?

Das habe ich nicht vergessen.  Haben Sie es überlesen? Es steht im obigen Text. Der Alltag in Israel ist zunächst – Alltag. Leben. Arbeiten. Familie. Einkaufen. Essen gehen.

Politik und politische Analyse sollte das nie vergessen: Die Menschen, die von Politik betroffen sind, leben zuallererst ihr Leben. Das gilt auch für das Krisengebiet Nahen Osten.

Die zwei arabischen Maler, die im Laufe meines Aufenthalts im “Alles zusammen” die  Häuserwand gegenüber fertig gemalert haben, waren jedenfalls ständig guter Laune. Dass sie politisch gesehen vielleicht ihre Sorgen haben, steht auf einem anderen Blatt.

Alle Gäste im Shakshuka, arabische wie israelische, waren guter Dinge. Man will nicht immer an das Große, nicht immer an Politik denken müssen. Man will leben.

Das ist ein nicht gering zu schätzender Faktor bei der Frage, ob Frieden gelingen kann im Nahostkonflikt.

Salam, Shalom aus Tel Aviv

— Schlesinger

PS.: Für die Eindrücke alleine des heutigen Tags bräuchte ich wenigstens den dreifachen Umfang dieses Beitrags. Ich will auf jeden Fall noch über die Ausstellung junger palästinensischer Israelis berichten, in der ich heute war und die bis zum 27.05. im alten Hafen von Jaffa läuft. Vielleicht kommt ja ein Regentag…

* Dr. Shakshuka, Beit Eshel Street 3, Tel Aviv-Jaffa

Photos:  T.A.B. CC Lizenz (nicht-kommerzielle,unveränderte Verwendung bei Verlinkung und Benennung von www.transatlantikblog.de)

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