Die Nahostpolitik von US Präsident Barack Obama ist fürs erste grandios gescheitert.
Mit viel Glück bleibt es für Obama eine vorübergehende Demütigung.
Manche sagen, Obama sei selbst schuld daran. Hätte er nicht so hohe Erwartungen geweckt. Hätte er nicht so Großes angekündigt. Wäre er diplomatischer mit Israel umgegangen.
Obama trägt doppelte Schuld. Er ist naiv an die Sache herangegangen. Und er hat seine Hausaufgaben nicht gemacht: Er selbst hat sich offenkundig nicht eingearbeitet in die höchst komplexen und politisch gefährlichen Verhältnisse im Nahen Osten.
Zudem waren seine Berater nicht in der Lage, ihn vor dieser nun erfolgten größt möglichen Niederlage zu bewahren, deren Konsequenzen erst noch auf ihn zukommen.
Was ist geschehen?
Letztlich hat es mit seiner viel beachteten Rede in Kairo im Juni 2009 begonnen. Darin hat Obama nichts weniger als einen vollständigen Neuanfang mit der muslimischen Welt versprochen.
Während diese Rede in der muslimischen Welt mit Wohlwollen aufgenommen wurde, war sie für Israel ein Affront erster Klasse.
Obama besuchte eine arabische Hauptstadt und hält diese Rede, ohne zuvor dem Verbündeten in Jerusalem die Referenz zu erweisen oder sich mit ihm abzustimmen?
In Jerusalem hatte man sich das gut gemerkt. Sehr gut.
Gut gebrüllt, Löwe!
Obama und mit ihm Außenministerin Hillary Clinton haben Israel früh deutlich gemacht, dass eine Fortsetzung der Siedlungspolitik im palästinensischen Westjordanland nicht akzeptabel ist.
Berühmt wurde Clintons dreifaches “Nein”:
Nein zu Siedlungen an sich,
Nein zum weiteren Siedlungsbau,
Nein zum sogenannten “natürlichen Wachstum” von Siedlungen.
Was man in Israel davon hielt zeigte sich beim Besuch von US Vizepräsident Joe Biden im März 2010.
Kaum angekommen, wurde Biden mit der Erklärung überrascht man würde weitere 1600 Siedlungseinheiten in Ost-Jerusalem bauen.
Offenbar fürchtete man sich in Jerusalem nicht, den Stellvertreter von Präsident Obama vor aller Welt zu ohrfeigen.
Trotz einiger lauer Erklärungen seitens Jerusalem kam der entscheidende Satz zu diesem Thema von Ministerpräsident Netanjahu.
Man wird in Ost-Jerusalem und andernorts genauso weiter bauen wir in den letzten 42 Jahren:
The building in Jerusalem – and in all other places – will continue in the same way as has been customary over the last 42 years
Wer so auftritt fürchtet die Reaktionen aus Washington nicht.
In dieser Lage hat auch der amerikanische pro-israelische Lobbyverband AIPAC unmißverständlich Stellung gegen Obama bezogen, und ihm klar gemacht, dass alleine er für die verschlechterten Beziehungen verantwortlich ist:
“The Obama Administration’s recent statements regarding the U.S. relationship with Israel are a matter of serious concern.
AIPAC calls on the Administration to take immediate steps to defuse the tension with the Jewish State
Washington stand unter Druck. Ein Showdown. Man sah sich genötigt nachzulegen.
Hillary Clinton hat Premierminister Netanjahu in der Art eines Ultimatums eine Liste vorgelegt, wie Jerusalem in dieser Sache einzulenken hat.
Davon hat sich Netanjahu nicht beeindrucken lassen.
Die Palästinenser unter Präsident Abbas allerdings haben sich von der scheinbar unnachgiebigen Haltung Obamas beeindrucken lassen.
In den inzwischen neu aufgenommenen Friedensverhandlungen haben sie die Forderung nach einem Siedlungsstopp ebenfalls zu ihrer ultimo ratio gemacht. Damit hat sich Abbas direkt von Obama anhängig gemacht. Ein hohes Risiko.
Genau dasselbe hat in Camp David 2000 stattgefunden, als Arafat auf massiven Druck von Bill Clinton an den Verhandlungen teilgenommen hat, obwohl Arafat der Auffassung war, dass dafür die Zeit nicht reif war.
Die Gespräche scheiterten, und alle Schuld blieb an Arafat hängen. Mahmoud Abbas hat in Camp David teilgenommen. Er wird sich heute der Gefahr durchaus bewußt sein, sich in dieselbe Abhängigkeit zu begeben. Aber leicht gesagt, wenn der amerikanische Druck so groß ist. Im Gegensatz zu Israel ist die Autonomiebehörde weitgehend vom Wohlwollen Washingtons abhängig. Ramallah hat im Gegensatz zu Jerusalem keine nennenswerte Lobby in den USA.
A battle of wills
Israel hat seit 1967 jahrzehntelange Übung darin, den Siedlungsbau in der Westbank zu verharmlosen oder aber als gutes Recht darzustellen.
Nach monatelangen Verhandlungen zwischen Abbas und Netanjahu, die eher schleppend waren als Erfolg versprachen ist Washington zu der Auffassung gekommen, in Sachen Siedlungen keine wirksamen Druckmittel mehr zu haben.
Obama hat daher die Taktik geändert.
Wenn Jerusalem den Siedlungsstopp nur um drei (!) Monate verlängert, so das Angebot Obamas, bekommt es von den USA über die üblichen Hilfeleistungen von jährlich rund 3 Milliarden Dollar weitere substantielle Unterstützung: Israel sollte nicht nur 20 moderne Kampfbomber bekommen, sondern zusätzliche, öffentlich nicht spezifizierte Militärhilfe. Was für ein Mißverhältnis zwischen Mitteleinsatz und Ziel.
Damit wurde aus dem drohenden Obama der Bittsteller Obama.
Dieser Schwenk war die weithin sichtbare Kapitulation von Präsident Obama.
Netanjahu hat schon wieder gewonnen.
So wie er in seiner ersten Zeit als Premierminister Bill Clinton vorgeführt hat, hat er nun Barack Obama vorgeführt. Clinton mußte damals nur zurückstecken. Obama hat eine vollständige Niederlage erlitten, die durch die nachgeschobenen Stellungnahmen von Hillary Clinton nicht zu vertuschen ist.
In Israel genießt man den Sieg still. Und macht klar, wie es weiter geht: Jerusalem wird auf ewig ungeteilte jüdische Hauptstadt bleiben
In den USA frohlockt die Rechte, die jüdische Lobby und die Millionen christlicher israelfreundlicher Fundamentalisten: “Das geschieht dem Araberfreund Obama recht” hört man sie triumphieren.
Ein schwer beschädigter Friedenprozess
Obama hatte in Kairo klar gemacht, dass er der Lösung des Nahostkonflikt hohe Priorität schenken will.
Damit ist er nun gescheitert, und es ist nicht zu erkennen, dass er diesen Schaden in dieser oder einer weiteren Amtszeit beheben kann.
Alle politischen Gegner und die Freunde in Jerusalem wissen in dieser Frage nun, dass Obama kein “standing” hat. Das wirkt sich auf andere Politikfelder aus.
Ginge es nur um den Präsidenten, wäre es ein kleineres politisches Drama.
Doch den größten Schaden hat der Friedensprozess und hat Palästinenserpräsident Abbas genommen. Friedensverhandlungen können nicht beliebig oft wiederholt werden. Die palästinensische Forderung nach einem Siedlungsstopp ist mit dem Rückzieher Obamas zu einer leeren Worthülse verkommen.
Dem Schein nach wird weiter verhandelt. Hillary Clinton sagte, man würde wieder zur Pendeldiplomatie übergehen. Das ist nur eine andere Formulierung für “Verschleppung”.
Ein Rückschlag auf Jahre hinaus.
Welche Auswirkungen diese erneut geraubte Aussicht auf einen eigenen Staat auf radikale Strömungen in Palästina hat, lässt sich kaum abschätzen.
Sollte es wie nach dem Scheitern von Camp David 2000 zu einem erneuten Ausbruch der Gewalt kommen, wäre das lediglich die Bestätigung aller israelischen Vorurteile: Man hat eigentlich niemanden auf der palästinensischen Seite mit der man vernünftig verhandeln kann, und im übrigen sind die Palästinenser eher früher als später bereit zur Gewalt. Scharon wußte das bestens auszunutzen. Netanjahu würde keinen Moment zögern, mit ähnlich harter Hand für Ruhe und Ordnung nach israelischer Art zu sorgen.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer besteht darin, dass die Vereinten Nationen eine einseitige Unabhängigkeitserklärung Palästinas vielleicht anerkennen.
Doch Präsident Obama hat im Rahmen seines unrühmlichen Angebots zugesagt, eine einseitige Ausrufung eines palästinensischen Staates mit einem amerikanischen Veto verhindern zu wollen.
— Schlesinger
Photo: Matty Stern (U.S. Embassy, Tel Aviv) (Wikipedia CC Lizenz)
Photomontage: T.A.B.
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