Die einhellige Begeisterung, mit der die Senatoren und Repräsentanten des US Kongress die Rede des israelischen Premierministers Benjanim Netanjahu aufgenommen und damit dessen faktischer Blockade einer friedlichen Lösung zugestimmt haben, ist besorgniserregend.
Denn immerhin hat Netanjahu damit eine ähnlichen Freifahrschein bekommen, wie ihn der notorische Ariel Scharon seinerzeit von George W. Bush bekommen hat.
Beim Blick in die deutsche Presse wird einem nicht minder bange.
Deutsche Nahost-Berichte: Zahnlos, lustlos, ängstlich
Liegt es daran, dass die Brisanz der Rede gar nicht erkannt wurde (womit Briten, einige Amerikaner und Schweizer oder Österreicher , ja: auch israelische Blätter kein Problem hatten)?
Liegt es an handwerklichem Schlendrian, weil man nur die üblichen Agenturmeldungen nimmt und so auf die Schnelle einen unkritischen Nachdruck erstellen kann?
Liegt es an einer Lustlosigkeit, weil man partout nicht mehr an eine Änderung der Lage im Palästina-Konflikt glaubt und sich daher begnügt, eine textliche Variante der vorherigen Variante abzuliefern?
Oder ist es tendenziöse, gar politisch gewollte Einseitigkeit und damit eine Verletzung der Regeln eines guten Journalismus?
Schwer zu sagen, jedenfalls sind Zeilen wie die Folgenden schwer nachvollziehbar (kursiv oder fett nicht im Original, Anmerkungen in Klammern von mir):
Der Premier bekräftigte nun im Kongress seinen Willen „schmerzhafte Kompromisse“ für einen Frieden einzugehen. [bleibt unkommentiert stehen]
„Wir werden gezwungen sein, einen Teil des Landes unserer Vorfahren aufzugeben“, sagte Netanjahu. […] [bleibt unkommentiert stehen]
Netanjahu skizzierte dann seinen Vorschlag für eine Friedenslösung.
Sein Auftritt war trotz einiger Konzessionen nicht das große Friedensangebot. [ nein??? Nur ein kleines, oder…]
Er hatte versprochen, “offen die Wahrheit” zu sagen, und das war vielleicht mehr als eine rhetorische Floskel. [ er hat also vielleicht offen die Wahrheit gesagt, oder was soll diese verdruckste, beschönigende Passus sagen?]
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hofft nach der Rede auf neue Impulse für den Friedensprozess im Nahen Osten. [no comment]
Westerwelle begrüßte am Mittwoch Netanjahus Bekenntnis zu Verhandlungen über eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israeli und Palästinensern.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat die grundsätzliche Bereitschaft zur Anerkennung eines unabhängigen Palästinenserstaats geäußert – lehnt zentrale Forderungen der Palästinenser allerdings weiterhin ab. […]
Netanjahus Rede wurde immer wieder von viel Beifall unterbrochen. Eine Frau störte den Vortrag des Regierungschefs, der es allerdings mit viel Humor nahm. [er ist sooo menschlich, der Humorvolle]
Zwei extrem unkritische Beiträg lieferten ausgerechnet der Spiegel und die Süddeutsche. Hier lohnt es nicht einzelne Zitate zu entnehmen, weil alles nur O-Ton des israelischen Premiers ist. Keine Analyse, keine Stellungnahme, kein Hinterfragen, keine Wertung. Der SPIEGEL / die SZ als Regierungssprecher Jerusalems. Das ist eine Absage an Journalismus.
Netanjahu kündigt “schmerzhafte Kompromisse” an [ Titel, aber an sich aussagekräftig ]
Hauptthema seiner Rede war der Friedensprozess im Nahen Osten.
“Ich bin bereit, schmerzhafte Kompromisse einzugehen”, sagte Netanjahu, es sei seine “Pflicht, meinem Volk den Frieden zu bringen”. [bleibt unkommentiert stehen]
Israel sehe sich nicht als Besatzer [bleibt unkommentiert stehen]
Süddeutsche (C. Wernicke)
Netanjahu beteuerte, sein Volk sei bereit, als Preis für einen Frieden “Teile des Stammlandes unserer Vorfahren aufzugeben”.
Israel werde “großzügig bei der Größe des palästinensischen Staates sein”, aber “standhaft” die Grenzen so aushandeln, dass Israels Sicherheit gewährleistet sei.
Die Ehrenrettung für die SZ liefert Peter Münch (der zuletzt auch durch schlicht unkorrekte Darstellungen auffiel):
Süddeutsche (P. Münch)
Nein zur Grenzlinie von 1967, nein zur Teilung Jerusalems, nein zum Rückkehrrecht für Flüchtlinge: Um sein Ja zum Palästinenserstaat hat Netanjahu bei seiner Rede vor dem US-Kongress einen Ring von Vorbehalten gelegt – und damit den Frieden in weite Ferne gerückt. […]
Je höher man die Latte legt, desto einfacher wird es, sie nicht zu reißen. […]
Mit Verve und Pathos hat er dann tatsächlich seine Vorschläge präsentiert und ist dafür bejubelt worden von den amerikanischen Volksvertretern. Allein: Er ist mit Volldampf unter der Latte hindurchgestürmt, gesprungen ist er nicht. […]
Für einen, der nichts verändern will am Status quo, hat er alles richtig gemacht – dem drängenden US-Präsidenten die Stirn geboten, die US-Abgeordneten umschmeichelt, Härte demonstriert und zugleich Flexibilität vermittelt. Siegreich kehrt er heim nach Israel. Er hat eine Propagandaschlacht gewonnen, aber den Frieden in weite Ferne gerückt.
Nicht nennenswert kritisch, aber wenigstens mit ein paar Hintergrundinformationen konnte dieFR aufwarten:
Die oppositionellen Republikaner wollen dabei als die zuverlässigeren Freunde des jüdischen Staates punkten. Nicht so sehr um jüdische Wählerstimmen geht es da. Amerikanische Juden sind kein monolithischer Block, mehrheitlich eher moderat und Anhänger der Demokraten. Laut einer Gallup-Umfrage wollen 2012 bei der Präsidentschaftswahl 65 Prozent Obama erneut ihre Stimme geben.
Doch auch die christliche Rechte, in den USA ein wichtiger Wählerblock der Republikaner, begreift sich als politische Schutzmacht Israels. Sie sind überzeugt, dass Gott den Juden das gelobte Land versprochen habe. Und zwar ganz, nicht nur in den Grenzen von 1967.
Ganz lustlos wiederum die
Netanjahu bot indes wenig neue Ideen an.
Sein als “historische Rede” angekündigter Auftritt bot wenig Neues
Kleiner Lichtblick, da wenigstens die Schärfe des Inhalts der Rede richtig erkannt wurde, wenngleich einer weitergehende Analyse fehlt:
Kritik an Netanjahus “Kriegserklärung” – Palästinenser sind enttäuscht (Titel)
Zwischen Palästinensern und Israelis sorgt eine Rede von Israels Ministerpräsident Netanjahu vor dem US-Kongress für böses Blut. Die Tür endgültig zuwerfen will aber keine Seite. […]
Netanjahu hatte in Washington zwar seine Bereitschaft zu schmerzhaften Kompromissen erklärt, diese aber an Bedingungen geknüpft, die von den Palästinensern bereits in der Vergangenheit abgelehnt wurden.
Dank an MondoPrinte für den Hinweis auf Bettina Marx´ Artikel auf dem wie immer vorzüglichen Deutschlandfunk bzw. Deutschlandradio, ein weiterer kleiner Lichtblick
Deutschlandfunk
??Die Zweistaatenlösung ist mausetot. Es wird keinen lebensfähigen, zusammenhängenden palästinensischen Staat an der Seite Israels geben. Das hat Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit seiner Rede vor dem US-Kongress eindeutig klar gestellt.
Er sei bereit, auf Teile dieser jüdischen Heimat zu verzichten, um Frieden mit den Palästinensern zu erreichen. Israelische Zugeständnisse sind das, Almosen, nichts weiter. Die Palästinenser, heißt das, haben keine Rechte in ihrem Land.
Mehr als das, bevor sie ihr Almosen in Empfang nehmen dürfen, bevor sie in den fragmentierten, zerrissenen und ausgebeuteten Resten des Westjordanlands ihren Staat bauen dürfen, auf weniger als 21 Prozent ihrer historischen Heimat, müssen sie Israel als jüdischen Staat anerkennen und damit den Raub ihres Landes, ihre Entwurzelung und ihre Herabwürdigung.
England, Du hast es besser!
Im Vergleich zur bemerkenswert zahnlosen, lustlosen, schlaffen deutschen Presse kann man nur sahen: Britain, you’re better off!
Die Ansprache des israelischen Premiers wurde den von ihm geweckten Hoffnungen nicht gerecht, er blieb hinter den Zugeständnissen seiner Vorgänger zurück:
the Israeli prime minister’s address to a joint meeting of Congress has probably failed to meet […] exalted expectations. […]
Despite promising to be generous about the size of a future Palestinian state, his offer is also less substantial than those made by two of his predecessors, Ehud Olmert and Ehud Barak.
Die Rede Netanjahus war nicht nur ein Rüffel für Obama sondern hat auch gezeigt, dass er im Großen und Ganzen das Weisse Haus ausgetrickst hat:
Netanjahu’s speech, and particularly his emphasis on no return to the 1967 borders, was not only a snub to Obama,
but a recognition that he has largely outmanoeuvred the White House in recent months.
Oh ja, unabhängig zeigt sich auch der Independent.
Netanjahu habe seine kantige Visite in Washington abgerundet mit einer aufsässig-trotzigen Rede vor dem Kongress, die offenkundig alle Hoffungen auf eine Wiederbelebung des Friedensprozesses zerschlagen hat:
Israel’s prime minister, Benjamin Netanjahu, wrapped up a rocky visit to Washington yesterday with a defiant speech to US Congress that appeared to dash any hopes of reviving stalled peace talks with the Palestinians.
Wie so oft, findet man auch auf der amerikanischen Blog-Zeitung Huffington Post sehr gute Beiträge.
Rebecca Vilkomerson fasst prägnant zusammen: Obwohl Obamas Rede zur Lage im Nahen Osten gezähmt war, kam massive Kritik auf seitens der israelfreundlichen Lager, und dann wurde er von Netanjahu im Weissen Haus öffentlich belehrt:
Obama made a rather tepid speech about his administration’s policies in the Mideast in which he again affirmed the United States’ longstanding close relationship with Israel.
Yet his speech was immediately greeted with criticism from leading Jewish groups and he was publicly lectured the next day by Israeli Prime Minister Bibi Netanjahu at a White House meeting.
Würde man je, ich wiederhole: jemals, in deutschen “großen” Zeitungen lesen, womit die rennomierte Publizisten Patricia deGennaro kein Problem hat, in ihrem Huffington-Beitrag das allzu Offenkundige beim Namen zu nenen:
Die Rede Netanjahus war eine Farce, und seine schwülstigen Bekenntnisse zur einzigen Demokratie in Nahen Osten, belegt durch die Beispiele, man würde nur in arabischen Nachbarländern Schwule hängen und Frauen steinigen, liessen doch offenkundig außer Acht, dass Israel arabische Häuser bulldozed, Leute infolge langdauernder Blockaden verhungern lässt oder Kinder (in Gaza) durch Phosphor-Brandbomben verstümmelt:
As Netanjahu professes, Israel is the only democracy “in a region where gays are hanged and women are stoned.” However apparently there is nothing wrong with bulldozing houses, using white phosphorus on children or blockading people so they starve.
Obacht, deutsche Nahost-Texter: Bei unseren Nachbarn Schweiz und Österreich gibt es noch kritischen Journalismus:
Leseempfehlung: Der Schweizer Tagesanzeiger , Der Standard
— Schlesinger
Übrigens: Hier finden Sie einen tagesaktuellen englischen Pressespiegel zum Nahen Osten.