“Israel ist 1948 aufgestiegen aus der Asche von Auschwitz”. Das schreibt Peter Münch in der Süddeutschen Zeitung.*
Das ist eine oft anzutreffende Darstellung, die sich dank tausendfacher Wiederholung heute auch festgesetzt hat in den Köpfen. Durch Wiederholung wird ein Fehler nicht besser.
Israel enstand aufgrund der Bestrebungen der sogenannten zionistischen Bewegung die im ausgehenden 19. Jahrhundert ihren Anfang nahm.
Theodor Herzl, damals der führende Kopf der Bewegung, lud 1897 zum ersten Zionistischen Kongress nach Basel ein. Dort wurde der Beschluß gefasst einen jüdischen Staat gründen zu wollen.
Obwohl zwischenzeitlich Alternativen diskutiert wurde, wo der jüdische Staat errichtet werden könnte, konkretisierte sich bald Palästina.
Die erste Einwanderungswelle (Alija) nach Palästina hatte bereits vor dem Basler Kongress stattgefunden. Ab 1882 kamen rund 25.000 Auswanderer aus Osteuropa und Rußland nach Palästina. Später folgten weitere Einwanderungen. Alle zionistischen Aktivisten hatten von Anfang an das Ziel, einen Staat in Palästina schaffen zu wollen, und das auch gegen den Willen der dort ansässigen arabischen bevölkerung.
Nach dem Ersten Weltkrieg überantwortete der Völkerbund das Gebiet Palästina als Mandatsgebiet an Großbritannien.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 in Deutschland setzte eine weitere größere Einwanderung nach Palästina ein. Diese Welle löste dort einen arabischen Aufstand aus (1936 f.).
Angesichts dieser Probleme verhängte die Mandatsmacht England 1939 eine Einwanderungsbeschränkung, die pro Jahr höchstens 75.000 jüdische Zuwanderer zulassen wollte. Angesichts der lebensbedrohlichen Lage in Europa – der Zweite Weltkrieg war im Gange – musste man sich aus zionistischer Sicht gegen die Beschränkung wehren. Der militante Widerstand gegen die Mandatsmacht nahm zu.
Die Deutschen verübten in Europa den Massenmord an Juden, Sinti und Roma, sowie an anderen Bevölkerungsgruppen (die polnische Eliten, Behinderte des eigenen Landes u.a.m.).
In Palästina wurde der Druck auf England immer stärker. Die bewaffneten jüdischen Untergrundorganisationen Irgun und Stern-Gruppe verübten zahlreiche Attentate. Die Spannungen zwischen den Arabern und Juden blieben erhalten. Nachdem für Großbritannien absehbar wurde sich aus ihrem Kolonialgebiet Indien zurückziehen zu müssen verlor es auch sein Interesse an der Durchgangsstation Palästina. England kündigte gegenüber den Vereinten Nationen seinen Abzug aus Palästina an und übergab die Verantwortung an das Weltgremium.
Auf Grundlage der Ergebnisse einer fachlich unzulänglichen Kommission und nach großen Kraftanstrengungen der jüdischen beziehungsweise arabischen Seite möglichst viele Stimmen der Generalversammlung für die eigene Seite zu gewinnen kam es zum Entschluß. Am 29. November 1947 beschloss die Vollversammlung der Vereinten Nationen mit der Resolution 181 die Gründung Israels.
Auschwitz mag dabei eine Rolle gespielt haben. Und doch ist sehr zweifelhaft so zu tun, als hätte Auschwitz Israel ermöglicht oder mit sich gebracht. Vielleicht wäre es später gegegründet worden. Aber auch das ist Spekulation.
Auschwitz in den Mittelpunkt der Staatsgründung Israels zu stellen hat weniger mit dem Verlauf der Geschichte zu tun als mit der Zementierung ideologischer Positionen. Diese Ideologie dient bestimmten Interessen, allem voran dem, das heutige Israel resistent zu machen gegenüber Kritik an seiner Politik. Darüber hat unter anderem Norman Finkelstein ausführlich berichtet.
Bei all dem ist auch der Satz Peter Münchs “Andere Nationen haben sich ihren Staat erkämpft, die Juden haben sich ihn erlitten” prosaisch zwar hübsch, aber eine Verkehrung des Gewesenen.
Wenn sich eine Nation ihren Staat erkämpft hat, und aus seiner Sicht erkämpfen musste, dann die Israelis. Was im Zuge dieses jüdischen Kampfes an Unrecht gegenüber Palästinensern geschah – und bis heute geschieht -, steht auf einem anderen Blatt. Jenem Unrecht zu gedenken hat Israel per Gesetz verboten.
— Schlesinger
* SZ v. 10./11.03.2012 (“Angst vor Vernichtung”)