Beim Reden über den Islam und über Staaten, in denen die islamische Rechtsform Scharia gilt, sollte man jenseits aller wünschenswerten Versuche, zu einem interkulturellen oder interreligiösen Dialog zu gelangen nie vergessen wie radikal sich der staatliche Islam allzu oft darstellt.
Man stelle sich vor, jemand aus unserer Hemisphäre veröffentlicht eine Kritik über sagen wir Papst Benedikt und dessen Haltung lauer Haltung zum Irakkrieg. Man stelle sich vor, dieser Jemand würde morgens ohne Vorwarnung aus seinem Haus gezerrt und in ein Gefängnis gesteckt. Beim Wort Gefängnis dürfte man jedoch keinesfalls an hiesige Gefängnisse denken, sondern eher an ein Rattenloch. Ferner würde dieser Jemand ohne eigene Verteidigungsmöglichkeit zum Tode durch den Strang verurteilt. Wegen Gotteslästerung.
Das klingt wie eine Horrorgeschichte aus dem Mittelalter und ist doch heutige Realtität in Afghanistan (von Ländern wie Saudi-Arabien ganz zu schweigen).
Es geht um den Studenten Pervez Kambaksch Ibrahimi. Er hat im Internet einen korankritischen Text kopiert, in dem es offenbar um die mangelnden Rechte der Frauen im Islam ging und ihn an Kommilitonen zur Diskussion verteilt.
Dafür sitzt er im Zentralgefägnis von Kabul und klammert sich an die schwache Hoffnung, dass er von einer höheren Gerichtsinstanz begnadigt wird.
Der Bruder des Verurteilten wandte sich in seiner Not vor Ort auch an die Bundeswehr und an eine Vertretung der Vereinten Nationen, wo ihm jeweils beschieden wurde, man könne gar nichts für ihn machen.
Sicher entsprechen beide Institutionen nicht dem afghanischen Rechtsweg – falls man den rechtlichen Sachverhalt überhaupt so benennen darf, ohne ihn damit naiv zu beschönigen -, aber man möchte sich erhoffen, dass es in solchen Fällen eine irgendwie geartete Hilfsbereitschaft gäbe. Die Bundeswehr hätte den Vorgang ohne weiteres melden können, denn wenn es einen halb militärischen, halb politischen Auftrag der Bundeswehr gibt, dann in Afghanistan.
Festzuhalten bleibt, dass der vom Westen gepäppelte afghanische Präsident Hamid Karsai sich ein weiteres mal als Mann ohne rechte Stärke zeigt und kaum oder nicht imstande ist, einen derartigen Fall human und rasch zu lösen. Warum sollte er auch? Schließlich ist der Senator, der den Antrag auf die Todesstrafe einbrachte, einer der wichtigsten Verbündeten von Karsai.
Todesstrafe wegen etwas wie “Gotteslästerung” im 21. Jahrhundert kann für uns nicht akzeptabel sein.
Das Außenministerium unter Frank-Walter Steinmeier scheint sich in dem Fall dezent zu engagieren.
Man darf gespannt sein, ob unsere Kräfte ausreichen, einem solchen barbarischen Akt staatlicher Gewalt Einhalt zu gebieten.
Das Problem bei der klandestinen Methode Steinmeiers – die er auch im Falle Tibets und in anderen Fällen anwendet – ist die Unmöglichkeit für uns Bürger, den Erfolg oder Nichterfolg nachvollziehen zu können.
Condoleeza Rice und der britische Außenminister Miliband haben das Thema in Kabul offen angesprochen. Damit ist der Druck auch öffentlich erkennbar.
Sollte sich der Fall zugunsten von Ibrahimi lösen lassen, dürfte das mehr den Briten oder den Amerikanern zu verdanken sein. Vielleicht liege ich hier falsch, aber die Berliner Außenpolitik der leisen Töne mutet mir in kritischen Fällen oft an wie eine Politik der Leisetreterei.
Späte Berichterstattung
Die Süddeutsche berichtet heute, am 11. Juni 2008.
Der SPIEGEL berichtete am 19.05.2008.
Der britische INDEPENDENT berichtete bereits am 07. Februar 2008. Die renommierte britische Tagenzeitung begnügte sich nicht nur mit einer Berichterstattung, sondern rief zur Unterschriftensammlung auf, der bislang 69.000 Leser nachkamen (sie können hier mit unterschreiben):
About 69,000 people have signed The Independent’s petition to save Mr Kambaksh, who was sentenced to death under Afghanistan’s strict blasphemy laws after distributing to his journalism class a document from the internet that commented on Koranic verses about women’s rights.
Die Wochenzeitung DIE ZEIT wiederum lieferte ihre Darstellung schon am 31. Januar.
An die Adresse der Spätmelder: späte Nachrichten können leicht zu Nachrufen werden.
— Schlesinger