Nur gut dass dem notorisch peinlichen Broder die Antisemiten ebensowenig ausgehen wie seine ölig schmatzende Lust, über jeden echten oder vermeintlichen Kritiker Israels so derb wie nur irgend möglich herzuziehen.
Günter Grass hat ein “Gedicht” verfasst in dem Israels Politik gegenüber dem Iran kritisiert wird. Er gerät nun ins Kreuzfeuer der üblichen Verdächtigen.
Broder kippt in der rechtskonservativen WELT einen Haufen Gülle über Grass aus: “dichtender Moralist”, “logorrhoeische Explosion”, “Größenwahn”, “durchgeknallt”, hat “schon immer ein Problem mit Juden”. Broder kommt zum Schluß, Grass sei der “Prototyp des gebildeten Antisemiten”. Naja, Broder halt.
Mein erster Eindruck des Gedichts war: Wie enttäuschend.
Von einem großen Literaten und scharfsinnigen Beobachter der Zeitläufte darf man mehr erwarten. Es war nichts drin, was man nicht schon -zigfach gehört hat.
Grass beklagt die Atomwaffen Israels, die es hat und wovon alle Welt wisse, dass sie Israel sie hat, worüber aber nicht gesprochen werden dürfe. Ja. Und? Im Nahen Osten nichts Neues.
Ahmadinejad ist bei Grass lediglich ein “Maulheld”. Ist das Nachsicht gegenüber einem, der dem “zionistischen System” wieder und wieder androht es auszulöschen? Vielleicht. Man kann auch argumentieren: Der Iraner ist ohnehin nur eine Puppe in der Hand der Ajathollahs, Chameini allen voran. Die mögen fundamentale Kleriker sein, aber keine Wahnsinnigen, die einen kaum beherrschbaren Krieg Iran-Israel vom Zaun brechen würden.
Kriege – nur zur Erinnerung – werden gerne von anderen vom Zaun gebrochen:
Der Suezkrieg 1956 war ein kalt kalkulierter Angriffskrieg Israels (unter David Ben Gurion) gegen Ägypten.
Der Sechstagekrieg vom Juni 1967 wurde nicht etwa von Ägyptens Nasser begonnen, sondern von Israels Premier Levi Eshkol.
Vom Desaster des von Israel begonnen Libanonkriegs (1982ff.) nicht zu reden.
Dass Israel eine “Gefahr für den Weltfrieden” sei hat Grass nun wirklich nicht erfunden. Das waren die EU-Bürger, laut einer europäischen Umfrage aus dem Jahr 2003. Ob Israel eine Gefahr für den Frieden ist: Darüber lässt sich trefflich streiten, aber auch aus dieser Perspektive liefert das Gedicht nichts Neues.
Doch: Ein Punkt ist neu am Gedicht von Grass. Dass Israel möglicherweise den Iran mit einem atomaren Erstschlag auslöschen könnte. Mein lieber Herr Grass: Das ist nun wirklich Stuß.
Sehr viel mehr gibt es zu dem insgesamt doch dürftigen Gedicht von Grass nicht zu sagen.
Höchstens: Wieso tut er sich das an?
— Schlesinger
UPDATE 4: Irans Juden
… geht es gut. Sie fanden es peinlich, mit Geldprämien motiviert zu werden nach Israel zu emmigrieren. Die letzte Auswanderungswelle erfolgte gleich nach der islamischen Revolution von 1979. Damals wanderten 70 Prozent der iranischen Juden nicht nach Eretz Israel aus, sondern nach … Amerika.
UPDATE 3: WELT-Blogger Clemens Wergin
Der liebe Herr Wergin hat seinen “Friedensdienst” in einem israelischen Kibbuz geleistet. Nach 9/11 kam er zur Meinungsseite der WELT. DieserAuszug aus seiner Vita verrät mehr als ihm lieb sein kann.
Der junge Herr Wergin fängt seinen Verriss an Grass an mit einer geschmacklosen persönlichen Herabsetzung des Autors:
Ein greiser deutscher Schriftsteller schreibt ein schlechtes Gedicht, dessen intellektuelle Kurzschlüssigkeit Kolumnen von Franz Josef Wagner in der “Bild” geradezu als subtile Meisterwerke aussehen lässt.
Nun, Herr Wergin, was kann man schon von einem Greis erwarten, nicht wahr? Sie hingegen stehen im Saft Ihrer Kräfte und können daher so…, nun ja, jungen-flegelhaft und im Geiste Broders über Grass herziehen. Bravissimo! Sie werden es noch zu etwas bringen.
Übrigens scheinen Sie ein schönes Beispiel zu sein für Goethes Satz Ich bin ein Theil von jender Kraft die stets das Gute will und doch das Böse schafft. Denn mit der scheuklappigen Unterstützung Israels wird kurzerhand deren brutale Besatzungspolitik gebilligt. Sie machen das im Namen des Guten, nicht wahr Herr Wergin? Dann sei Ihnen verziehen. Denn fast alle Brutalität auf dieser Erde geschieht im Namen des Guten, Richtigen, Gerechten. Leseempfehlung: Die Wohlgesinnten (Jonathan Littell).
UPDATE 2: Reaktionen auf Grass’ Kritik:
Dieter Graumann vom Zentralrat war höchst agitiert und verlautbarte: Das sei “ein aggressives Pamphlet der Agitation“, was Grass vorgelegt gabe. Der “dämonisiere” Israel.
Michel Friedmannennt die Argumentation von Grass “krank”.
Der israelische Gesandte in Berlin Emmanuel Nahshon legt eine Schippe drauf und sieht eine Parallele zu mittelalterlichen antijüdischen Hetzkampagnen:
Was gesagt werden muss ist, dass es zur europäischen Tradition gehört, die Juden vor dem Pessach-Fest des Ritualmords anzuklagen
Westerwelle attackiert Israel?
Offenbar möchte sich Außenminister Westerwelle das Atomwaffenprogramm Israels lahmlegen, denn in Reaktion auf Grass sagte er:
Eine atomwaffenfreie Zone im Nahen und mittleren Osten ist und bleibt das Ziel der Bundesregierung.
Patrick Gensing verweist auf Publikative auf eine interessante strukturelle Ähnlichkeit:
Ähnlich zur Sarrazin-Debatte ist auch bei Grass` die Selbststilisierung als mutiger Tabubrecher zu beobachten, der sich nicht von angeblichen Sprechverboten aufhalten lasse.
UPDATE 1: Der von mir sehr geschätzte israelische Historiker und Publizist Tom Segev (“1967”, “Die siebte Million”, “The First Israelis” etc.) gab dem Deutschlandradio heute nachmittag (04.04.) ein Interview. Er sieht das Gedicht Grass’ ähnlich belanglos. Bemerkenswert sei allenfalls, dass Grass der Auffassung ist, jemand müsse das endlich mal sagen, obwohl die wesentlichen Punkte längst durchdiskutiert wurden. Daher sei das
[…] ein bisschen pathetisch, dass da ein deutscher Schriftsteller sein Schweigen brechen muss, wie wenn irgendwer über das israelische Atomprojekt jemals geschwiegen hätte.
Es gibt unzählige Bücher darüber, wenn Sie ins Internet einsteigen, dann sehen Sie Hunderte von, Tausende von Menschen, die darüber diskutieren. Also, deshalb …
Ich fand es auch ein bisschen egozentrisch. Wissen Sie, wie wenn … Bis ich mein Schweigen nicht breche, hat das noch niemand gesagt.
Er sagt wirklich nichts, was niemand anders (schon) gesagt hat.
Ist Grass Antisemit, wie Henryk Broder behauptet? Segev kennt Grass persönlich und meint lapidar:
Er ist kein Antisemit, er ist nicht antiisraelisch, er ist auf keinen Fall gegen Israel in irgendeiner Weise.
Das freilich kann die deutschen Retter Israels nicht davon abhalten, erbarmungslose Urteile abzugeben. Ein Tilman Krause meint in der Berliner Morgenpost, Grass verwende nationalsozialistische “Denkmuster” und lobt Broder für dessen klare Worte.
Dazu ein “Gedicht”:
Tilman und Clemens und Emmanuel und Henryk
gingen in den Wald,
dort war es bitter kalt,
das fanden sie ganz antisemitisch.
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