Hauptsache billig! Die großen Discounter auf dem Lebensmittel- und Kleidermarkt überbieten oder genauer gesagt unterbieten sich fortwährend in ihrem Preiskrieg.
Dass der Verbraucher schon seit einiger Zeit Verbraucher heißt und nicht mehr “Bürger”, hat seine volle Berechtigung.
“Bürger” war früher, als die staatsbürgerliche oder kulturbürgerliche Eigenschaft der Menschen im Vordergrund stand, soweit es um die Gesellschaft ging. Die heutige Stellung des westlichen Menschen ist maßgeblich durch seine Eigenschaft als “Konsument” definiert.
Der “Verbraucher” aber ist heutzutage notorisch knapp bei Kasse. Offiziell zumindest. Die Steuer langt zu, die Mieten steigen, die Gehaltserhöhung hinkt hinter der Inflation her. Was bleibt übrig, als den Cent mindestens zweimal umzudrehen?
Dann stimmt doch alles, nicht wahr? Die Verbraucher müssen aufs Geld achten und die Anbieter wie ALDI & Co. stellen sich darauf ein. Eine klassische win-win-Situation, neudeutsch gesprochen.
Schade nur, dass andernorts hunderttausende oder Millionen die Verlierer dieses Kompromiss sind.
Sklavenarbeit in Bangladesh
Die Discounter zwingen ihren Produzenten im In- und Ausland Preise auf, die zu Lohndumping ersten Grades führen.
Die Süddeutsche berichtete gerade von den miserablen Bedingungen, unter denen Frauen aus Bangladesh für LIDL schuften. Akkordarbeit, unbezahlte Überstunden und Repressalien am Arbeitsplatz stehen auf der Tagesordnung:
Nun tritt die Verbraucherzentrale Hamburg gegen Lidl an.
Sie wirft dem Discounter vor, die Verbraucher zu täuschen. Die Werbung des Unternehmens sei irreführend und damit unlauter. Denn Lidl suggeriere, bestimmte Sozialstandards bei der Produktion sogenannter “Non-Food-Waren” einzuhalten.
In Wahrheit aber würden diese Maßstäbe, wie die Untersuchung in Bangladesch belege, keineswegs beachtet.
Die Disounter geben sich wie immer naiv und ehrlich:
Lidl entgegnet auf Anfrage der SZ, das Unternehmen sei sich “der Verantwortung bei der Herstellung seiner Waren bewusst” und lehne “Kinderarbeit oder Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen in den Produktionsstätten ab”.
Der Verbraucher trägt große Mitschuld
Doch den ach so harmlosen Verbraucher trifft mindesten so viel Schuld wie den preisdrückenden Großhändler. Wer kann so naiv sein zu glauben, man könne ein Kinderkleid für 5 Euro anbieten, ohne dass verheerende Verhältnisse dahinter stehen?
5 Euro heissen schlielich 5 Euro, in denen der Lohn, die sonstigen Unternehmerkosten, der kalkulierte Unternehmergewinn, der Transport und Zölle sowie Steuern beinhaltet sind. Bitte: So dumm kann nicht einmal der Unterschichten-Fernsehen-verblödete Deutsche sein. Also stellt man sich dumm. Soll heissen: Unwissend. Das konnte man ja nicht wissen!
Der Hinweis aufs Sparen-müssen ist dabei so unglaubwürdig wie das behauptete Nicht-Wissen. Die Deutschen sind Europameister im Knickern. Seit Jahren. Das hat einen einfachen Grund: Wer von allem mehr haben will, aber dabei nicht mehr Gehalt hat, muss darauf achten, dass er für jedes einzelne Teil weniger bezahlt. Wer kennt nicht Leute, die zwar tatsächlich nicht besonders viel Geld haben, aber dennoch so viel, dass sie sich erstaunlich viel (billigen) Ramsch zulegen…
Und schon hat der massenhaft nach Billigem lechzende Verbraucher eine Marktmacht, derer er sich leider gar nicht so recht bewußt ist. Und sie wirkt. Verheerend.
Ähnliches gilt auch dann, wenn es nicht ums Sparen-müssen geht, sondern ums Gegenteil: Ums Geldausgeben. Das Handy als des Deutschen Liebling hat nicht nur Apps in sich, sondern auch eine Blutspur hinter sich.
Es geht um den für die Handy-Produktion essenziellen Rohstoff Coltan, der unter widrigsten Bedingungen vor allem in Afrika abgenaut wird.
Auch hierzu ein Auszug aus der Süddeutschen:
Verheerende Arbeitsbedingungen, Mord und Vergewaltigung […]
“Wer nicht mehr arbeiten kann, weil ihn die Maloche in der schwülen Hitze ausgelaugt hat, wird einfach geköpft oder erschossen”, behauptet der französische TV-Reporter Patrick Forestier, der einen Film über das Coltan-Geschäft gedreht hat.
Der “Fall Handy” ist etwas komplizierter als der “Fall Discount-Lebensmittel”. Während man bei den billigen Lebensmitteln alleine aufgrund des Preises stutzig werden müsste, sind die Hintergründe der Handyproduktion keineswegs ersichtlich. Hier muss tatsächlich erst eine Information stattfinden, damit der Abnehmer reagieren kann. Aber will er die Information, will er reagieren? Es steht zu fürchten: Nein.
Die vornehmlichste Aufgabe der (Wirtschafts-) Politik ist dabei, das Geschäft am Laufen zu halten (gell, Herr Brüderle).
Ob man dabei ein “C” im Namen führt, oder ansonsten gerne auf die grundgesetzlich verankerte “Menschenwürde” verweist, oder ob sich Politiker wie Verbraucher-Bürger in anderen Situationen gerne als “Christen” bezeichnen, tut dem Grauen, das still im Hintergrund durch unsere Taten teils erzeugt, teils gebilligt wird, natürlich keinen Abbruch.
Dass die sparsamen Deutschen (Sparsamkeit ist eine Christen-Tugend, wenigstens aus lutherisch-calvinistischer Perspektive!) den Brüdern Albrecht (ALDI) oder dem Herrn Schwarz (LIDL) Milliarden ins private Portemannaie schaufeln, ist recht eigentlich ein Hohn: Wie “preiswert” sind Lebensmittel, wenn man dennoch Milliarden davon abschöpfen kann?
Mit jeder Gabel Billig-Futter und jedem getragenen Schnäppchen-Kleid wird irgendwo auf der Welt jemandem etwas weggenommen. In Bangladesh sind es Löhne, von denen man leben und nicht nur vegetieren kann, dazu Menschenrechte und Würde; beim deutschen Milchbauern ein anständiges Einkommen; beim kongolesischen Schürfer teilweise schlicht das Leben. Ganz zu schweigen von den Auswüchsen in der Massentierhaltung.
Die Verhältnisse vor Ort bleiben oder werden infolge dessen instabil. Die Einkommensschere hüben wie drüben weitet sich. Letztlich leistet die Billigmeierei einen enormen Beitrag zur Verschärfung der sicherheitspolitischen Lage. Denn meist sind es die radikalen Kräfte, die dann an die Macht kommen, wenn die Lage allzu desolat wird. Der Schlächter Idi Amin verdankte einen Gutteil seines damaligen Erfolges dem Umstand, dass er den ausbeuterischen Westen anprangern konnte. Ähnlich verhält es sich mit dem Kleptokraten Robert Mugabe. Die ach so furchtbaren somalischen Seeräuber sind – zumindest zum Teil – die ehemaligen Fischer, denen die Hochseeflotten der Japaner oder der Europäischen Union die Fische wegfischten, so dass Tausende von Einkommen und damit unzählige Familien prekär wurden:*
“Helft uns, das Problem zu lösen”, bat der Berufsfischer Muhammed Hussein aus der somalischen Küstenstadt Marka, rund hundert Kilometer südlich von Mogadischu. “Was hier stattfindet, ist wirtschaftlicher Terrorismus.” Und sein Kollege Jeylani Shaykh Abdi ergänzte: “Sie rauben uns nicht nur unseren Fisch, sie rammen unsere Boote und kappen unsere Netze – mitsamt dem Fang.” […]
Noch immer kreuzen Trawler von weither vor der langen Küste, aus Japan und Indien genauso wie aus Italien oder Spanien. Der spanische Fischkutter, der im Mai von Piraten gekapert wurde oder das philippinische Fangschiff, das Anfang November versehentlich von einem indischen Kriegsschiff versenkt wurde, waren deutliche Hinweise auf die Attraktivität, die die somalischen Fanggründe weltweit haben.
Früher traten die Imperialisten als Staaten an, um die benachteiligten Regionen der Welt auszubeuten.
Heute gibt es eine weitere Schicht von Imperialisten, die nicht weniger gefährlich ist.
Die heutigen Imperialisten tragen den harmlosen Namen “Verbraucher”.
Eine Lösung hieße ganz einfach: Zahlt gefälligst einen anständigen Preis für das, was Ihr braucht. Und fangt an, die Finger von dem zu lassen, was Ihr nicht braucht.
Es heißt schließlich Lebensmittel. Nicht Tötungsmittel.
— Schlesinger
PS., da zur Zeit aktuell: Hat man je die Hüter des Christentums gegen Discounter zu Felde ziehen hören? Oder womöglich gegen das Gebahren deutscher Pfennigfuchser?
* Interessanterweise wachsen die Fischbestände vor Somalia wieder an, seitdem sich immer weniger nicht-somalische Kutter in das Gebiet trauen…
Photo: T.A.B.