Ein Kabarettist als Mann des Jahres? Hier muss ein Mißverständnis vorliegen, denn:
Georg Schramm ist kein Kabarettist.
Zutreffend: Er wurde einem größeren Publikum bekannt durch seine Auftritte in Urban Priols “Neues aus der Anstalt” wo er pointierte Auftritte gab als Oberstleutnant Sanftleben oder schrulliges SPD-Fossil August. Dennoch meine ich: Die Kabarettbühne ist nur eine äußere Form.
Dem Inhalt nach ist Schramm ein messerscharfer Analytiker unserer Zeitläufte. Dabei kommt dem Mann zugute vor seiner Bühnenkarriere zwölf Jahre lang als Psychologe gearbeitet zu haben.
Rhetorisch kommt ohnehin kaum einer an ihn heran. An Ernsthaftigkeit ist nur Dieter Hildebrandt ebenbürtig.
Diese Ernsthaftigkeit könnte der Grund dafür gewesen sein, bei der “Anstalt” nicht mehr mitzumachen. Dort wird zwar oft mit durchaus klugen Frotzeleien gegen die dröge Politik und eine zahnlose Gesellschaft gewettert, aber im Zweifelsfall geht alle wichtige Kritik – die doch eigentlich haften bleiben sollte – im vergnüglichen Gelächter des Publikums unter.
Soviel weiß der Psychologe Schramm sehr gut: Hat man erst einmal herzhaft gelacht über die Politiker, ist der schlimmste Ärger schon vorbei.
Die “Anstalt” ist insofern nicht viel mehr als ein verlängerter Kölner Karneval, in dem das gemeine Volk den Großen mal eine lange Nase machen darf. Beinahe schlimmer: Die Eselsgeduld der Deutschen, die mit schöner Regelmäßigkeit aufs Korn genommen wird, wird durch diese Art von Kartharsis nur zementiert. Schramm hatte schon in der “Anstalt” ein Handwerksmittel, diesen Effekt wenigstens zum Teil zu umgehen: Er verbat sich das übermäßige Klatschen. Das setzt er in seinem eigenen Auftritt verstärkt ein. Er klingelt mit einer Glocke mitten in den Beifall und kürzt ihn ab, oft begleitet von einem schroffen Kommentar (“Hören Sie doch auf mit dem Händchenpatschen, das ist doch albern!“). Ein Balanceakt, der hinsichtlich der Akzeptanz nicht ganz ungefährlich ist, aber zeigt, mit welchem Risiko der Mann bereit ist zu arbeiten…
Woraus die heikle Frage resultiert: Will ein Kabarettist auf der Bühne ankommen, oder will er von der Bühne aus wirken? Schramm, so darf man vermuten, könnte sich für die weniger lukrative Variante entschieden haben. Er will wirken.
Schramm erinnert an Wehner, kennt die großen Denker
Um Schramm in einen angemessenen Kontext zu setzen, muss man ihn mit Größen anderer Sparten vergleichen.
In der Kombination von Integrität und “heiligem Zorn” hat man wohl an Herbert Wehner zu denken. Dem riß schnell der Geduldsfaden, wenn man es an Ernst im Gespräch vermissen ließ (“Mann, hampeln Sie doch nicht so herum. Sie sind doch Geschäftsführer und nicht Geschwätzführer!”) Dabei war Wehner alles andere als humorlos. Nur wußte er zu trennen. Diese Tugend, so scheint es, fordert Schramm wieder ein.
In seiner rhetorischen Präzision muß Schramm nicht den Vergleich mit Sebastian Haffner scheuen, einen der wortgewaltigsten und integersten politischen Kommentatoren, die Deutschland je hervorgebracht hat. Der stellte sich hin und referierte in gemeißelten Sätzen eine halbe oder ganze Stunde lang über die Lage der Zeit, ohne Notizen oder Teleprompter, versteht sich. Ob sich Georg Schramm geehrt fühlen würde durch den Haffner-Vergleich ist schwer zu sagen, aber dieser Satz Haffners* würde ihm gefallen:
Es ist ein Trugschluß zu glauben, aus gemeinsamen ökonomischen Interessen erwachse automatisch politische Einheit. Gemeinsame ökonomische Interessen haben nicht einmal in unserer Zeit zwei grauenhafte Weltkriege verhindert. Beide male ist das komplizierte Geflecht der internationalen europäischen Wirtschaftsbeziehungen ohne ein Wimpernzucken zerrisssen worden. Eine die Welt verändernde historische Revolution wie die Vereinigung Europas kann nicht durch die Hintertür der Ökonomie erreicht werden. Wenn es Einheit geben soll, muss sie bewußt gewollt werden. Und zwar an den richtigen Stellen, dort, wo große politische Entscheidungen vorbereitet werden. Politik wird von Politikern gemacht, nicht von Wirtschaftsexperten.
In Schramms begründeter und wohl formulierter Sorge um den Bürger in der Demokratie – denn im Grunde geht es um nichts weniger in seinem Programm – kann man an Dolf Sternberger denken, der Ende der sechziger Jahre in der kleinen, aber inhaltsschweren Schrift “Neun Versuche über den Staat” dieselbe merkwürdige Wort-, Sinn und Kraftlosigkeit deutscher Politik anprangert, die Schramm nicht erst in seinem jüngsten Programm geißelt. Sternberger:
Vielleicht wäre – wenn wir den Blick etwas weiter zurück gehen lassen in die erste deutsche Republik – allenfalls Walther Rathenau zu nennen als einer, der den Mut des Handelns mit der Erleuchtung der Sprache vereinte. Aber ich bin auch dessen nicht ganz sicher. […] seiner Rede fehlte am Ende die einzige auszeichnende Eigenschaft eines Redners: Kraft.
Auch Schramm ist zuwider, wie kraftlos Politik heute ist. Er demonstriert auf der Bühne das Gegenteil. Er formuliert präzise, mutet dem Zuhörer komplexe Schachtelsätze zu in denen er nie den Faden verliert, wird laut, haut mit der Faust nicht nur symbolisch auf den Tisch, poltert, und schreit, bisweilen schwitzend bis zur Erschöpfung seine Anklagen ins Publikum.
Es schert ihn nicht, dass so etwas in einer Zeit, in der sich jede Talkrunde und jede Politikerrede abgesehen von kleinen Niederträchtigkeiten weitgehend an opportuner Mittelmäßigkeit ausrichtet , nicht hoffähig ist. Apropos Talkshows: Schramm wartet bis heute darauf, dass sich in einer der unzähligen Polit-Talkshows endlich ein Talkmaster oder eine der ach so taffen Talk-Frauen findet, die einem Politiker dies entgegenschleudert:
Wenn Sie keine Fragen beantworten, stelle ich Ihnen auch keine mehr!
Das nur einer von vielen Augenblicken, in denen das Publikum tosenden Beifall spendet, und man möchte unbedingt glauben, dass der Grund der Begeisterung darin liegt, eine einfache aber nie so gradlinig ausgesprochene Wahrheit vernommen zu haben.
Überhaupt, die Sprache.
Ob man nicht merke, wie einem seitens der Politik permanent der Schneid abgekauft werden soll mit dem Mittel von Herrschaftssprache? Würde die Politik sagen “es gibt keine Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte” würde das jeder verstehen und einwerfen “Ich muss für jeden Dreck Umsatzsteuer zahlen, aber bei Finanzgeschäften soll es keine geben?” Daher heiße es “Finanztransaktionssteuer“. Das versteht kaum einer, verunsichert jedermann und hält die Leute zurück. Herrschaftssprache.
Schramm führt aus, worin die Sauerei besteht: Dieser Gebrauch von Sprache ist die Pervertierung von Sprache an sich. Sie dient dem Ursprung nach der Verständigung, der Mitteilung, dem Austausch. Nicht der Vernebelung und Irreführung. Wir Deutschen, soviel sei angemerkt, sollten besonders allergisch auf Politiker reagieren, die mit Sprache zu manipulieren versuchen. Aber offenbar sind die Zeiten des Propagandaministers zu lange her oder aber man lässt sich durch den überaus verbindlich sanften Ton von Merkel & Co. in die Irre führen.
Das alles kann einen in Rage versetzen, und deshalb vermisst Schramm vor allem eins: Zorn. Er donnert mit Papst Gregor (siebtes Jahrhundert):
Die Vernunft kann mit größerer Wucht sich dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar ist.
Das ist alte Sprache, gute, kraftvolle Sprache, und Schramm will unbedingt die im Publikum vielleicht tief schlummernde Erinnerung an echte Sprache wiederbeleben.
Und gibt es nicht allen Anlaß zu Zorn? Deutschland, ja Europa wankt von einer Euro- in die nächste Bankenkrise, und die Deutschen gucken auf Politik und Finanzgurus mit ebenso großen Augen wie der paralysierte Hase auf die Schlange. Das bewahrt Kanzlerin Merkel vor größeren Unmutsbekundungen. Statt dessen legt sie ihrem Wahlvolk treuherzig dar, dass man keinesfalls “die Märkte” beunruhigen dürfe. Was sich brav und harmlos anhört, wird von Schramm kühl seziert: Daran sehe man mühelos, dass Deutschland nicht von einer Regierung regiert werde, sondern von übermächtigen Marktteilnehmern. Was gibt es da hinzuzufügen?
Bislang war nur von Politik die Rede. Der Staat, die Polis, besteht jedoch nicht nur aus Politikern, sondern vor allem aus Bürgern, den politicos, oder civis im lateinischen oder citoyen im französischen.
Sternberger verweist auf die ewig gültige Beschreibung Aristoteles’ über den Bürger, dass er
teilhabe an den Gerichten und an der Regierung
und führt dazu weiter aus, dass
die Polis auf Gerechtigkeit angelegt ist, und sie ist auf Gerechtigkeit angelegt, weil sie eine Genossenschaft von freien und gleichen Bürgern ist…
der Bürger ist ein potentieller Staatsmann.
Das schrecklich passende Gegenstück zur weich gezeichneten Politik ist der vormalige Bürger, der sich lammfromm hat entmündigen lassen und schafstreu das passende Etikett “Verbraucher” auf der Stirn trägt.
Diese “Bürger”, die ihre Lebenswelt nicht zuletzt dank Kohls Einführung des Privatfernsehens über nunmehr drei Jahrzehnte auf ungeheure Weise trivialisiert haben, um heute eine Gemeinde Jauch-sedierter Glücksshow-Gucker zu sein, diese Flimmerbild-Abhängigen sollen potentielle Staatsmänner im Sinne Aristoteles sein? Eine absurde Vorstellung.
Mit aller rhetorischer Macht stemmt sich Georg Schramm gegen diesen Tsunami der Verflachung. Ist das nicht tatsächlich eine Art Tsunami von dem wir sprechen, der eben nicht wie eine Springflut gegen die Küste rollt und gebrochen werden kann von gut platzierten Wellenbrechern? Nein, wie man weiß wälzt sich ein Tsunami wie eine monströs unnachgiebig träge Masse gegen alles was sich ihm entgegenstellt und erdrückt es einfach.
Umso mutiger, dass es Leute gibt wie Schramm.
Der im übrigen mit der Schärfe seines Vortrags durchaus ein Risiko eingeht: Fernsehintendanten gehören nicht zu den risikofreudigsten Menschen.
Für 2012, von dem nicht wenige erwarten dass es ein weiteres und vielleicht schlimmeres Krisenjahr wird, kann man sich nichts sehnlicher wünschen als Menschen wie Schramm, die die persönliche Freiheit, die Kraft, den Mut und den Verstand haben, wahrhafte Dinge klar zu sagen.
Eingangs meinte ich Schramm sei kein Kabarettist. Ich bleibe dabei. Was ist er dann? Im Verlauf dieses Textes hat es sich herausgeschält. In freier Auslegung Clausewitz’ kann man sagen: Schramm ist die Fortführung des klarsichtigen politischen Kommentators à la Haffner mit anderen Mitteln.
Mann, das wär was: Schramm als Regierungssprecher in der wöchentlichen Berliner Runde einen laschen Journalisten anherrscht “Wenn Sie mir keine vernünftige Frage stellen, beantworte ich Ihnen auch keine!”
Großartig!, wie Schramm rufen würde.
— Schlesinger
PS.1: Manche Leser rieben sich an der Nennung von Peer Steinbrück. Wie könne man Schramm in einem Atemzug mit Steinbrück, dem unverbesserlichen “Agenda-2010-Mann” nennen? Das mag richtig sein, und die schlichte Sache ist, dass ich beim Verfassen dieses Beitrags vergaß, dass Steinbrück Agenda-Mann ist. Tja. Tragisch, aber wahr 😉 Habe deshalb Steinbrück aus dem Text entfernt. Apropos Steinbrück. Musste mein Gedächtnis etwas auffrischen, für was er konkret steht bzw. für was er verantwortlich war. Eine gute Fundstelle scheint mir ein Beitrag auf den Nachdenkseiten zu sein.
PS.2: Die ganze Sendung “Meister Yodas Ende. Über die Zweckentfremdung der Demenz.” kann auf 3Sat auch nachträglich angesehen werden. Besser wäre freilich Sie würden zu einer seiner Auftritte gehen. Was aber gar nicht so leicht ist: Für die 2 Vorstellungen in München sind zwei Monate im voraus keine Karten mehr erhältlich 🙁
PS.3: Schramm trat vergangenen November in Frankfurt vor einer Demonstration der Occupy-Bewegung auf, besonders hervorzuheben seine Zitate von Kapitalisten wie Warren Buffet, der über den Sieg des Kapitals im Klassenkampf redet, oder dem Automobilhersteller Ford sen., der froh darüber war, dass die Bürger das Finanz- und Bankwesen nicht verstünden, ansonsten eine Revolution ins Haus stehen würde, oder dem amerikanischen Präsidenten Roosevelt, der zur selben Zeit in der in Deutschland Hitler an die Macht kam – gerade auch mit Hilfe des Großkapitals und der Schwerindustrie – seinen Wahlkampf gewann, indem er den Reichen massive Reformen erst androhte und nach dem Wahlsieg auch umsetzte, so dass die kapitalistischen USA nach Jahren der Großen Depression wieder genesen konnte :
https://www.youtube.com/watch?v=qtFJfOTAfOM
* Aus: Schreiben für die Freiheit. 1942-49. Im Beitrag “Eine Union: Jetzt oder nie.”
Photo: Pressebild georg-schramm.de (c) Achim Käflein
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