“Das konnte niemand vorhersehen!”
Dieser Satz ist die größte und am häufigsten gebrauchte Lüge, wenn es um die nachträgliche Verklärung technischer Katastrophen geht.
Kein Wunder also, dass man ihn dieser Tage so häufig hört aus dem Mund der japanischen Kraftwerksbetreiber, oder von Angela Merkel, oder von den deutschen Berufsverniedlichern in der Atombranche.
Man muss kein Philosoph sein, um bei nüchterner Betrachtung der Atomkraft zu erkennen was im schlimmsten Fall herauskommt.
Wem der gesunde Menschenverstand nicht genügt, der sei auf den großen jüdisch-amerikanischen Philosophen Hans Jonas verwiesen, der 1979 das wegweisende Büchlein “Das Prinzip Verantwortung” geschrieben hat.
Darin skizziert er Folgendes:
Die größten technologischen Risiken werden nicht “zur Rettung des Bestehenden oder Beseitigung des Unerträglichen” unternommen – das wäre die eigentliche Verantwortung – , sondern für den sogenannten Fortschritt, den wir sehen als “stetige Verbesserung des je Erreichten”, was “ehrgeizigstenfalls auf die Herbeiführung eines irdischen Paradieses zielt”.
Der Fortschritt steht damit “eher im Zeichen des Übermuts als der Notwendigkeit”.
Menschenopfer
So wie bei Tschernobyl würden die Menschen auch heute wieder viel dafür geben, das “Unerträgliche” zu beseitigen: Die schon jetzt existierenden Folgen der atomaren Katastrophe in Japan, deren künftige Opfer heute noch gar nicht absehbar sind.
Ein Großteil der Techniker von Fukushima sind die ersten, aber gewiß nicht die letzten Opfer, die unser aller Fortschritt fordert: Es sind Menschenopfer.
Vielleicht ist die alte Einsicht Jonas’ eine neue, und in Zukunft eine für uns wirksame Einsicht:
Fortschritt ist Übermut.
Bundeskanzlerin Merkel jedenfalls meinte angesichts der Katastrophe in Japan: “Es geht um Verantwortung“.
Weiß sie wovon sie spricht?
— Schlesinger
Dieser Blogbeitrag ist unter einer Creative-Commons Lizenz veröffentlich. Er kann unverändert übernommen werden, sofern er verlinkt wird.
Photo: Wikipedia CC Lizenz