“Halt’s Maul, Alter! Eltern am Rande des Nervenzusammenbruchs?”, was das Motto gestern bei Sandra Maischberger war, gehört nicht gerade zum Themenkreis dieses Blogs. Aber fassen wir’s unter “Sicherheitspolitik in der Familie”….
Dass Bushido mit seinem zumindest früheren drogenverhafteten Leben und seinen oft brutalen Texten einen negativen Einfluss auf Heranwachsende hat, war mehr oder weniger offen die Auffassung der übrigen Diskussionsteilnehmer.
Der Runde um Bushido – ein ehemaliger Leiter des Elite-Internats Salem, ein Beststeller-Pädagogen sowie die Mutter eine aufmüpfigen 15jährigen – fiel auffallend schwer, ihre Abneigung gegen das, was der Rapper darstellt(e), in überzeugende Argumente zu fassen.
Das durfte nach einiger Zeit auch nicht verwundern. Frau Maischberger ist zwar eine versierte Moderatorin, aber eben doch keine Expertin in Sachen Pädagogik. Die Mutter (Ulrike Kriener alias “Kommissarin Lucas”), war nach eigenem Bekunden früher ebenfalls eine problematische Jugendliche, die auch mal kiffte. Das machte eine Abgrenzung zu den früheren wilden Zeiten Bushidos nicht ganz einfach. Gut, der hat auch Drogen gedealt und Frauen geschlagen, aber das sind in gewissem Sinn nur graduelle Unterschiede. Der dänische Therapeut und Beststellerautor Jesper Juul schwurbelte oft recht unverständlich, und “Deutschlands strengster Erzieher” (meine Güte, diese unerträgliche Flut von Etikettierungen…) Bernhard Bueb weckte viel zu starke Erinnerungen an Wilhelm Busch’s Lehrer Lämpel, um für seine Argumente vereinnahmen zu können.
Zudem machte Bushido es ihnen auch richtig schwer. Er ist äußerst redegewandt, überaus selbstbewußt, alles andere als auf den Kopf gefallen und im übrigen kann er so treu gucken, dass man ihn fast als Lieblingsschwiegersohn durchgehen lassen könnte. Kommen Sie an so jemanden mal ran. Selbst die erfahrene Sandra Maischberger konnte ihn nicht recht stellen, obwohl sie es offenkundig wollte.
Hat die Musik Bushidos nun grundsätzlich einen (negativen) Einfluss auf Jugendliche?
Er selbst gibt sich (!) absolut überzeugt davon, dass dem nicht so ist. Grund: So wie er selbst aufgrund seiner “gottgegebenen Intelligenz” sehr wohl unterscheiden könne, was Kunst sei und was das richtige Leben, so würden das auch die Hörer seiner Musik können. Hier böse Worte, schlimme Gesten, aber dort das normale, brave Leben. Also: Null Einfluss.
Das ließ ihm die Runde so durchgehen. Peinlich. Stellvertretend für eine ganze Palette von Formulierungsmöglichkeiten kann man den alten Programmiererspruch nehmen: Garbage in, garbage out. Wer Müll programmiert, darf sich nicht wundern, wenn das Programm Müll herausgibt. Die Musik und die Texte Bushidos haben, nehmen selbstverständlich Einfluss. Würden die Texte und die Art, wie er seine Musik zelebriert, nicht stark wirken, na dann wäre Bushido nicht berühmt und kein Millionär. Texte und Musik können nicht gleichzeitig wirken und wirkungslos sein. Wirkung lässt sich auch nicht “abschalten” oder zeitlich eingrenzen. Wirkung hat nämlich eine einfache wesentliche Eigenschaft: sie wirkt. Beim einen wirkt Bushidos Musik so, beim anderen anders. Aber nicht, wie er bei Maischberger allzu gut verkaufen konnte: Gar nicht, beziehungsweise nur als eine letztlich harmlose Unterhaltung.
Es liesse sich auch über die von Bushido so ganz andere Wirkung (oder Nicht-Wirkung) seiner Musik reden, wenn es ironische Brüche gäbe. So wie zum Beispiel bei Peter Fox. Der hat zwar nicht so derbe Texte wie Bushido, aber doch eine recht kräftige Sprache. Im Gegensatz zu Bushido sind die Texte und ist das Auftreten von Fox durchweg ironisch gebrochen. Man hört und sieht das Augenzwinkern bei ihm. Das fehlt bei Bushido vollkommen. Die bösen Worte sollen wirklich böse sein. Anders ginge es gar nicht bei einem, der sich als “Gangsta-Rapper” verkauft.
Im übrigen, aber das nur am Rande, hat nicht jeder die “gottgegebene Intelligenz” eines Bushido, um Wortlaut von vielleicht abweichendem Wortsinn zu unterscheiden.
Musikantenstadl nicht weniger gefährlich als Bushido
Harmlose Unterhaltung? Schade, dass der sonst so taffe Bushido beim Thema “wilde Rappermusik” letztlich ein bisschen feige ist. Warum denn muss er unbedingt so tun, als sei seine Musik jenseits der harten Texte eine harmlose, bloß künsterlische Unterhaltung?
Viel interessanter wäre doch eine Diskussion, was denn eine Unterhaltung à la “Musikantenstadl” harmlos macht im Gegensatz zur wilden Musik Bushidos? Ich für meinen Teil halte die mehr als seichten Unterhaltungen der üblichen Samstag-Abend-Pseudo-Volksmusik-Singerei für hochgradig gefährliche Einschlafmittel. Sedativa. Akustische Psychopharmaka. Es sind verlogene Vorgaukeleien von heiler Welt in nicht wirklich heilen Welt. Eine Faschingsveranstaltung oder ein Kölner Karneval sind im Vergleich dazu zwar auch Unterhaltung, aber insofern nicht “gefährlich”, als keine “andere” Welt vorgetäuscht wird.
Sieht man diese musikalischen Unterhaltungen als Alkoholika an, so könnte man die von Bushido mit selbstgebranntem Schnaps vergleichen: Brennend, hart, nicht ganz ungefährlich, aber als Hochprozentiges klar erkennbar. Karneval dagegen ist wie Bier. Meinetwegen ein Kölsch. Mäßig und gut dosierbar in der Wirkung. Leicht beruhigend, leicht anheiternd. Ebenfalls unverstellt. Musikantenstadl aber ist wie Alkopops: Süß, niedlich, vermeintlich harmlos. Man wird sozusagen dumm und fett davon, kriegt Karies und einen Mords Schädel. Will etwas anderes sein., also hochgradig verlogen.
Darüber mit Bushido zu debattieren hätte aufschlußreich sein können.
Das Leben erzieht, nicht die Erziehung
Zurück zum Thema “Erziehung”. Der in der Maischberger-Runde teilnehmende Pädagoge Juul hatte einen sehr guten Punkt angesprochen: Erziehung in der Form gezielter, bewußter Einflussnahme ist zum Scheitern verurteilt. Korrekt. Darin traf er sich auch mit Bushido. Und mit Schopenhauer, der dem pädagogischen Stand seiner Zeit in diesem Punkt voraus war und meinte:
Wenn Erziehung und Ermahnung irgendetwas brächten, wie könnte dann ein Nero ein Schüler Senecas seyn?
Es kommt (fast) alleine auf das gelebte Vorbild, den tatsächlichen Umgang, den wirklich geführten Dialog, das erlebte Vertrauen oder Mißtrauen an, das die Erziehung “macht”. Pädagogisch wertvolle Worte, “Strategien”, “Methoden” sind (weitgehend) Unfug. Heranwachsende lernen am Leben, nicht an Worten.
Das sagte sinngemäß auch Herr Juul, dem stimmte nachdrücklich auch Bushido zu.
Der Rapper übersah allerdings den gehörigen Widerspruch zu seinen vorherigen Stellungnahmen, die er so unendlich überzeugt vortrug (sein beständig hochmütiges Augenrollen, das sagen sollte “mein Gott seid Ihr borniert, Ihr habt doch echt keine Ahnung”…).
Wenn es zutreffenderweise nicht auf abstrakte Worte, sondern auf (vor-)gelebtes Leben ankommt, wie verhält es sich dann mit den letztlich abstrakten Worten von Bushido bei Frau Maischberger: Selbstverständlich sollten die Jugendlichen nicht Drogen nehmen, natürlich nicht mit Drogen dealen wie er es getan hat, nicht die Frau schlagen, sondern sich anständig gegenüber Eltern, Freunden und Partnern verhalten. Schöne Worte. Pädagogisch wertvolle Worte, wenn man so will.
Im wahren Leben des Bushido, also außerhalb der ach so zivilisierten Talkshows, auf der Bühne und vor dem Mikrofon, wenn er sein Leben und seine Fans das ihre austoben, dann verhält es sich mit dem Vorbild doch ein bisschen anders, nicht wahr? Soll dann plötzlich doch nicht mehr das gelebte Leben wirken, sondern seine gut gemeinten erzieherischen Ratschläge in den Talkshows?
Der angepasste Wilde
Und ein Letztes kann man von Bushidos höchst kultiviertem Auftritt lernen. Der Bösewicht, der das “wahre Leben” kennt, der mit seinen Songs zum größten Einverständnis seiner Fans in radikalen Worten neben viel Ghettoschilderung inklusive “Schlampen”, “Nutten” und “Arschficken” auch Unterdrückung, Lüge, Feigheit oder Ausbeutung besingt, verleugnet sich gewissermaßen in der Sphäre des Normalbürgertums. Der Wilde gibt sich handzahm.
Dafür gibt es einen allzu menschlichen Grund. Derzeit läuft der von Bernd Eichunger gedrehte deutsche Blockbuster über Bushidos Leben in den Kinos an. Der Millionär Bushido möchte natürlich noch ein paar Millionen mehr. Dafür muss man auch die Normalos, die man eigentlich verachtet, ein wenig umgarnen. Umgarnen ist ein schöneres Wort für: Anbiedern. Anschwindeln. Etwas vormachen. Anlügen? Kurzum: Gewöhnlich.
Er sollte mal darüber rappen. Nein. Ein anderer sollte das. Er ist schon so angepasst.
— Schlesinger