Es ist fast wie die “Begegnung mit der Unheimlichen dritten Art” (Spielberg, Sie erinnern sich?). Nur dass es sich dieses mal nicht um Außerirdische handelt, aber immerhin um eine nicht weniger seltene Spezies: Den gesunden Menschenverstand.
Gesichtet: Kurz vor Ostern. (Zufall?)
Ort: Stuttgart (Schwabenland!).
Wer: Vincent Klink.
Der ist: 60 Jahre alter Gourmetkoch und Eigentümer des Nobel-Restaurants “Wielandshöhe“.
In einem Interview mit der Süddeutschen gab Klink schockierend direkte, einfache, wahre Dinge zu Protokoll:
Frage: welche Milliardäre kommen zu Ihnen zum Essen?
Klink: Nee, Milliardäre haben zu wenig Zeit und zuviel Magengrimmen, um gut zu essen. Ich finde ja: ein Vermögen zu erwerben ist nicht zu schwierig, wie es mit Anstand und Niveau auszugeben. Mir ist ein reicher Mann lieber, der sich den fünften Porsche kauft, als einer kommen wer sein Geld auf den Cayman-Inseln anlegt.
Frage: sie werfen der Industrie vor, dass es kaum mehr authentische Lebensmittel gibt.
Klink: seit die Leute Privatfernsehen gucken, sind sie Opfer der Werbung. Sie gewöhnen sich das selbständige Denken ab. Die Sachen sind ja auch perfekt designt, optisch und geschmacklich.
Frage: und wenn es den Leuten schmeckt, was ist dann falsch daran?
Klink: das ist das gleiche wie mit den Kolonisten in Afrika: Sie haben den Schwarzen Glasperlen gegen Gold angedreht.
Frage: das Lebensglück?
Klink: fahren Sie morgens U-Bahn? Gucken Sie sich die Leute doch an.
Frage: war das denn früher anderes?
Klink: klar, in meiner Jugend ist auf den Bau noch den Bierwagen vorgefahren, und im Büro hat man noch gequalmt. Heute hängt Mehltau über dem ganzen Land.
Frage: das heißt, die Deutschen essen schlecht und sind deshalb depressiv?
Klink: mir macht die Seelenlage der Deutschen Angst. Die Amis, die sind in zwei Jahren aus der Finanzkrise raus. Die haben einen fantastischen Optimismus. Ich bekomme in zwei Wochen einen Koch aus Canada, der verbreitet schon per Mail mehr power als die ganzen Schlafkappen hier.
Frage: aber das Bauchgefühl fehlt vielen Deutschen vermutlich?
Klink: weil sie es nicht pflegen. Die Finanzkrise ist ein Zeichen dafür, dass den Menschen der Instinkt abhanden gekommen ist. […] viele Menschen haben den Bezug zu den Geldsummen verloren. […] Frag Dich immer: kann das sein? Die Frage stelle ich mir bis heute.”
Kann etwas – gefühlsmäßig – stimmen?”. Wenn es schon Spargel zu kaufen gibt, obwohl noch Schnee liegt – kann das sein?
—
Und auf seiner Restaurant-Webseite gibt er zur Krise das zum Besten:
1. April 2009 Kein Aprilscherz!
1 750 000 000 000.
Was ist das für eine Zahl? Die Antwort: Es sind 1,75 Billionen US-Dollar.Auf diesen Betrag summiert sich allein in diesem Jahr das amerikanische Staatsdefizit. Auf Anhieb kann sich auch kein Wirtschaftsweiser diese Zahl vorstellen. Ich natürlich sowieso nicht. Deshalb nun, auch für Sie, diese kleine Veranschaulichungshilfe:
Wenn die Menschheit seit Christi Geburt täglich eine Million ausgegeben hätte, dann wäre die Summe des amerikanischen Defizits noch nicht erreicht. Diese Schulden wären erst dann getilgt, wenn man ab heute noch weitere 750 Jahre, jeden Tag eine Million abzahlt.
Ich bin in Rechnen ganz schlecht und mein Opa, von Beruf Lehrer, sah das ein und reduzierte sein Lehren auf den schlichten Satz: “5 x 5 ist 2.500? Büble, denke immer, kann das sein? Tue gar net rechne, denk einfach auf schwäbisch ‘ko des sei?’ ”
Soviel kapiere ich über die Krise. Sie ist wirklich historisch. Was da gerade passiert, das kann niemand mehr zurückzahlen. Also, Augen zu und mittendurch. “Don’t worry, be happy!”
Ist sich dieser Mann eigentlich darüber im Klaren, was er damit beim durchschnittlichen Verbraucher mit der üblichen Abhängigkeit von Promi-Dinner, Superstar-Suche oder Ich-bin-doch-nicht-blöd-Mentalität anrichtet?
Gar nichts! Das ist ja das Verrückte daran.
Aber ich muss unbedingt mal zu diesem klugen Schlemmer-Schwaben. Gut und teuer essen gehen. Dafür werde ich auf etwas Anderes verzichten müssen.
Gut und billig funktioniert nur aus Sicht der dummen Ich-bin-doch-nicht-Blöden.
— Schlesinger
(Interview wurde stark verkürzt wiedergegeben. Das ganze Gespräch finden Sie hier bei der SZ.)