Die Linken, die Sozialisten haben sich schon immer zerfleischt.
Die Konservativen, die Rechten haben schon immer triumphiert.
Schon aufgefallen?
Hierzulande hat hat die SPD gerade ihr schlechtestes Wahlergebnis eingefahren, während die LINKE in ungeahntem Maß triumphierte (was für eine frappierende Ähnlichkeit: Bei den Reichstagswahlen 1920 erzielte die abgespaltene USPD annähernd so viele Stimmen wie die stark geschwächte SPD).
Nicht wenige Anhänger der LINKEN triumphieren nun und gönnen der älteren Schwester ihre Niederlage von Herzen.
Sehr zur stillen oder auch nicht so stillen Freude der Christ-Demokraten und Guido-Mobilisten.
Die Vereinigten Staaten mochten acht Jahre lang wahrhaft gedemütigt worden sein von ihrem eigenen Präsidenten, der ihnen zwei Kriege bescherte, die Wirtschaft ruinierte und den seit Nixon radikalsten Angriff auf das demokratische Gerüst vornahm: Und dennoch scheint der dahinter stehenden rechtskonservativen Gesinnung, dem damit einhergegangenen Neoliberalismus und dem christlichen Fundamentalismus keine dauerhafte Abfuhr erteilt zu werden.
Gewiß, Obama wurde mit größter Begeisterung ins Amt eingeführt, und ein Gutteil dieser Begeisterung ist auf die enorme Erleichterung zurückzuführen, acht Jahre Bush irgendwie überstanden zu haben. Doch die Halbwertszeit, mit der man sich an Bush erinnert, ist verblüffend kurz.
Denn inzwischen, nach lächerlich kurzer Zeit im Amt, wird Obama vorgehalten, gewisse Ziele nicht längst erreicht zu haben. Pah, was sind acht Jahre schnell vergangen… Obama, Du hattest schon über sechs Monate Zeit! Das Naserümpfen über den nicht cäsarisch durchgreifenden Obama ist bei uns ja schon chic, bevor seine ersten hundert Tage vorbei waren.
Nein, schadlos hält man sich hüben und drüben nicht an den eigentlichen Verursachern, so viel muss klar festgestellt werden, sondern an denen, die in ihren Versuchen, die dringlichsten Reparaturen vorzunehmen, keine perfekten Würfe zustande brachten beziehungsweise zustande bringen.
Bitte: Über Schröders Hartz IV und die Agenda 2010 wurde viel, viel Zutreffendes und einiges Übertriebenes berichtet. Doch was sind dagegen 16 Jahre Kohl, in denen das Land in einen zunehmenden Dämmerschlaf verfiel und in denen die Christsozialen keine Energie aufbrachten, die längst überfälligen Erneuerungen vorzunehmen?
Nein, statt dessen ist Kohl der Einheitskanzler und Schröder der Hartz-IV-Kanzler. Was für eine Verzerrung.
Und in den Staaten kann sich der Usurpator Dick Cheney heute durch die Talkshows hangeln und von der zunehmenden Gefährdung der amerikanischen Sicherheit durch Obamas Politik hetzen, ohne dass ihn die amerikanischen Bürger niederschreien würden.
Zurück zur Ausgangsthese: Bei uns wie in den Staaten liegt derselbe Sachverhalt für diese doch bemerkenswerte selbstzerstörerische Tendenz der Linken zugrunde.
Bricht man es auf die wirtschaftlichen Verhältnisse herunter, steht die konservative Strömung für Besitzstandswahrung oder -mehrung der bereits Vermögenden.
Die linke Strömung steht für die Erlangung von (nennenswertem) Besitzstand oder eine Umverteilung der Vermögen (was auf dasselbe hinaus läuft).
Die Politik der Wahrung ist ungleich einfacher als die Politik der Erlangung.
Denn ersteres bedeutet im Wesentlichen Erhaltung der Strukturen. Letzteres bedeutet im Wesentlichen Veränderung der Strukturen.
Solange Menschen nicht frieren oder hungern oder sich der Krieg nicht im eigenen Land abspielt (alles drei traf zu gegen Ende des Ersten Weltkriegs, weshalb in Deutschland auch die Novemberrevolution 1917 ausbrach), lassen sich die Besitz-Strukturen mit überschaubarem politischem Aufwand erhalten.
Wie allerdings Strukturen aufzubrechen, neu, gerechter zu schaffen sind, darüber gibt es ungleich mehr unterschiedliche, nein: unterschiedlichste Ansätze, Überlegungen, Überzeugungen und Leidenschaften, als es einer politischen Strömung möglich wäre aufzunehmen.
Und so fallen wie auf natürliche Weise die allzu rasch enttäuschten Liberalen in den USA über Obama her – sehr zum Gefallen der Republikaner – und die Linken in Deutschland über die Sozialdemokratie – sehr zur Freude des konservativen Establishments.
Statt sich auf linker Seite hüben wie drüben Strategien zu überlegen und anzueigen, wie man GEMEINSAM zu einer sozialeren Gesellschaft gelangen könnte, zerfleischt sich die Linke einmal mehr selbst. Und bevor der erste Vorschlag gemacht wird, wie man zusammen kommen könnte, werden zehn Erklärungen angeboten, wer mehr schuld hat am Zerwürfnis.
Wüßten die Lafontaines, Gysis, Münteferings, Steinmeiers ein bisschen mehr über die schiere Häme, mit der die andere Seite ihren Konkurrenzkampf goutiert, würden sie ein wenig in sich gehen.
Doch selbst das wäre nur ein erster Schritt. Davon sind wir wohl weit entfernt. Auf politischer Seite wie auf der Seite des politischen Publikums.
Und so wünschte ich derzeit, ich wäre ein Konservativer. Dann hätte ich viel Anlass zu satter Genugtuung.
— Schlesinger
Plakat 1: Attac
Plakat 2: Haus der Geschichte
Bild: courtesy (c) Randall Stoltzfus