Interview mit MdB Dr. Axel Berg, SPD, München

Das Superwahljahr 2009 stellt sich als Super-Schlafjahr dar.

Geradezu surreal mutet die Diskrepanz an, die sich zwischen den aktuellen, drängenden Themen einerseits und den müden Wahlkampf-Angeboten andererseits auftut.

Mögen die Parteien im großen und ganzen ein enttäuschendes Bild abliefern, so scheint es ihn doch noch zu geben: Den engagierten, bürgernahen, gradlinigen und in der Sache verständigen Politiker.

Auf den Münchner SPD-Abgeordneten Dr. Axel Berg stieß ich eher durch Zufall. Auf Foren wie Abgeordnetenwatch und anderen finden sich Beiträge von Herrn Berg, die aufgrund ihrer Faktenfülle und einer phrasenfreien, sachlichen und auch selbstkritischen Argumentation den Schluß zulassen, dass hier ein Politiker Demokratie lebt, indem er den ernsten Diskurs mit den Bürgern sucht. (Bsp. 1,2,3).

Aufgrund dessen entstand folgendes Interview, für das sich MdB Berg dankenswerter Weise Zeit genommen hat:

1. Weltwirtschaftskrise, globale Erwärmung und angesichts der hiesigen Einkommensunterschiede eine sozial gereizte Stimmung im Land. Bei dieser Mischung würde man einen außerordentlich scharfen Richtungswahlkampf erwarten. Doch davon ist nichts zu spüren. Will, kann die SPD in der kurzen verbleibenden Zeit noch Akzente setzen, die diesen schwerwiegenden Themen gerecht werden?

Da muss ich Ihnen Recht geben – es mangelt momentan sicher nicht an gesellschaftlichen Problemen, um im Wahlkampf richtungsweisende Akzente zu setzen. Für einen Richtungswahlkampf braucht es aber auch eine klare Richtung, und die fehlt derzeit leider noch in der SPD. Obwohl die sozialdemokratische Idee von gesellschaftlichem Fortschritt und sozialer Teilhabe nie so aktuell war wie heute, mangelt es meiner Partei aktuell an geeigneten Leitbildern und nachvollziehbaren Visionen – kurz: an Profil.

Nur gegen Schwarz-Gelb zu sein recht eben nicht, man muss seine Position auch mit überzeugenden Inhalten füllen. Und gerade hier böte die aktuelle Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise doch die beste Ausgangsposition für einen inhaltlich überzeugenden Richtungswahlkampf: Seit Jahren setze ich mich mit einer ganzen Reihe sozialdemokratischer Kollegen dafür ein, die marktradikalen Kräfe in der Finanzwirtschaft zu begrenzen und die Haftung und Verantwortung im Top-Management auszuweiten – warum stellen wir diese Forderungen nicht stärker in den Mittelpunkt unseres Wahlkampfs?

Die Krise böte auch endlich konkreten Anlass zu einer inhaltlichen Neudefinition von Sozialer Marktwirtschaft, und eine solche halte nicht nur ich sondern eine ganze Reihe von Wirtschaftsexperten für dringend erforderlich.

In dem Zusammenhang hätte ich gleich mehrere Chancen gesehen, die Sozialdemokratie glaubwürdig und nachvollziehbar neu zu positionieren: Im Gegensatz zur marktliberalen Egoismus-Ideologie glauben wir eben nicht daran, dass das ‚freie Spiel der Kräfte‘ von selbst ein gerechtes Verteilungsergebnis in unserer Gesellschaft herbeiführt – geschweige denn, dass ein freies Spiel, das heißt Chancengleichheit, überhaupt jemals existiert hätte. Gleichzeitig stehen wir aber auch für das Prinzip der Selbstverantwortung und wollen den Staat deswegen eben nicht zu einem allmächtigen und allgewaltigen Verteilungsapparat ausbauen. Sozial heißt für uns nicht Gleichheit um jeden Preis. Soziale Gerechtigkeit hat eben sehr wohl auch etwas mit Leistungsgerechtigkeit und Freiheit zu tun. Darum wollen wir die Menschen in den Stand setzen, sich persönlich und wirtschaftlich selbst zu verwirklichen und dadurch am gesellschaftlichen Fortschritt mitzuwirken und teilzuhaben. Um diesen Gedanken umzusetzen braucht es jedoch nicht nur einen innerparteilichen sondern einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs, in dem auch essenzielle Themen wie Bildung und Arbeit nicht ausgespart werden.

2. Jakob Augstein schrieb kürzlich: „Die FDP gewinnt, weil sich die Vermögenden, die bei einer echten Wirtschaftsreform etwas zu verlieren hätten, um Westerwelle scharen“ und „die LINKEN gewinnen, weil immer mehr Menschen vom bestehenden System zu Verlierern gemacht werden“. Was hindert die SPD daran, sich angesichts der großen Chance, die ein unübersehbarer Linksruck im Wahlvolk mit sich bringt, neu zu sortieren und mit scharfem sozialem Profil gegen CDU und FDP aufzustellen?

Meiner Meinung nach gibt es keinen objektiven Hinderungsgrund!

Wer soziale Teilhabe auf individueller wie gesellschaftlicher Ebene einfordert findet in der Sozialdemokratie immer noch das größte Potential.

Etwas wichtiges ist uns Sozialdemokraten jedoch über die Jahre und Jahrzehnte abhanden gekommen: die grundsätzlich kämpferische und innovative Einstellung im Hinblick auf die Durchsetzung unserer sozialen Ziele.

Hinsichtlich der kämpferischen Haltung hat uns die Linke sozusagen „rechts überholt“ und damit vor allem für diejenigen, die sich selbst als Verlierer sehen, eine politische Lücke gefüllt. Am Begriff des „Verlierers“ kann man aber auch sofort die entscheidenen inhaltlichen Unterschiede zwischen SPD und der Linken festmachen: Die Linke braucht und baut auf „Verlierer“, um ihr politisches Programm zu legitimieren – die Sozialdemokratie verzichtet bewusst auf eine solche Polemik. Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sieht sie in jedem Menschen das Potential, seine Begabungen und Chancen aktiv und eigenveranwortlich zu verwirklichen. Dieses Potential wollen wir Sozialdemokraten auf möglichst effiziente und innovative Art und Weise fördern, und nicht durch eine schädliche und unrealistische Versorgungsmentalität die Menschen zur Hilflosigkeit erziehen. Wir alle brauchen Freiheit und Eigenverantwortung, um uns weiter entwickeln zu können. Es geht daher nicht an, willkürlich einige Menschen als Verlierer abzustempeln – hier geht es der Linken mehr um den Ausbau eines möglichst unmündigen Wahlklientels als um eine verantwortungsvolle Politik am Bürger!

Mein Fazit lautet daher: Die SPD muss ihr „S“ zeitgemäß neu-interpretieren und es dann aktiver gegenüber den Vertretern des übrigen politischen Spektrums vertreten.

3. Zur Agenda 2010, die laut Heribert Prantl von der Süddeutschen der SPD vielleicht das Herz, wenn nicht das Rückgrat gebrochen hat, zwingt sich die Partei mit ihrer schrumpfenden Mitgliederzahl weiter unter eiserne Parteidisziplin und ihre mürrische SPD-Wählerschaft zur Gefolgschaft. Wie lange kann die SPD diesen selbstmörderischen Kurs fortsetzen?

Dass damals gerade eine SPD-geführte Regierung derart harte Einschnitte in das deutsche Sozialsystem initiiert hat, war für viele Mitglieder der sozialdemokratischen Partei und der ihr traditionell nahestehenden Gewerkschaften nur sehr schwer nachvollziehbar.

Trotz der inhaltlich nicht immer unberechtigten Kritik dürfen wir aber auch nicht vergessen, dass die Agenda damals parteiübergreifend als notwendig erachtet, von den Oppositionsparteien weitestgehend unterstützt und von CDU/CSU aktiv mitgestaltet wurde. In ihrer Regierungserklärung äußerte Frau Merkel zu Beginn Ihrer Kanzlerschaft: „Ich möchte Kanzler Schröder ganz persönlich danken, dass er mit der Agenda 2010 mutig und entschlossen eine Tür aufgestoßen hat, unsere Sozialsysteme an die neue Zeit anzupassen.“

Obwohl sich also alle Parteien hinsichtlich der generellen Notwendigkeit der in der Agenda 2010 angegangenen sozial- und speziell arbeitsmarktpolitischen Reformen einig waren, bedeutet das noch nicht, dass wir diese Reformen heute und in Zukunft auch in derselben Art und Weise weiterführen sollten.

Insbesondere die mit dem Namen Hartz verbundenen Arbeitsmarktreformen sind meiner Ansicht nach Ursache für zu viele gesamtgesellschaftlich negative Auswirkungen, um sie in dieser Form weiter aufrecht zu halten – sei es die generelle Verstärkung der Existenzangst in breiten Schichten, die finanzielle Benachteiligung von Familien und Partnerschaften, die bereits bei Kindern bestehende Gefahr der Verarmung, die unwürdige Missbrauchsdebatte oder der allgemeine Zwangscharakter, um nur einige zu nennen.

Anhand der durch die Reform eskalierten Probleme in der Arbeitsmarktpolitik lässt sich besonders gut aufzeigen, in welche Richtung unsere weiteren Bemühungen um eine nachhaltige sozialdemokratische Neudefinition gehen sollten: In einer zunehmend globalisierten und durch fortlaufende Innovationen beschleunigten Welt wird eine verwaltete, unselbständige Form der Arbeit im klassischen Normalarbeitsverhältnis immer weniger zielführend sein.

Nicht nur unsere wirtschaftliche sondern auch unsere kulturelle und soziale Existenz wird davon abhängen, dass wir in Zukunft Arbeit sowohl flexibel als auch sozial ausgestalten können. Nur motivierte und selbständige Arbeit wird die Kreativität und letztlich Innovation schaffen, die wir brauchen, um als High-Tech- und Kulturnation im globalen Wettbewerb überlebensfähig zu bleiben. Aber nur eine ausreichende Sicherheit für alle Bürger garantiert, dass jeder Einzelne mutig voranschreiten und Neues verwirklichen kann. Uns steht also keine geringere Aufgabe bevor als den Ausgleich, ja den Spagat zwischen sozialen und wirtschaftlichen Interessen zu erreichen. Für diese überaus schwierige Aufgabe ist allein die SPD hinreichend gewappnet – es ist zugleich ihre und unsere Chance aus der aktuellen Krise.

4. Die SPD erklärt unbeirrt, auf Bundesebene sei eine Koalition mit der LINKEN nicht möglich. Nur mit viel Rhetorik lässt sich verwischen, dass in den soeben stattgefundenen Landtagswahlen letztlich nur die LINKEN eindeutige Gewinner waren. Philipp Grassmann schreibt im Freitag, die SPD würde „im Schlafwagen“ ins Abseits fahren, weil sie sich von vornherein der reellen Chance beraube, Deutschland mit einer rot-rot-grünen Koalition zu regieren. Verschenkt die SPD vorsätzlich die Chance einer linken Mehrheitsbildung zugunsten einer schwachen Juniorpartnerschaft in einer weiteren Großen Koalition?

Demokratie lebt von der Chance auf einen Wechsel, auf eine Alternative, die für das Volk – demos – mit den unblutigen Mitteln der Wahl als Herrschafts- und Legitimationsinstrument – kratein – erreichbar sein muss.

Eine große Koalition wie wir sie im Moment haben, birgt immer die Gefahr des Verrats am Kerngedanken der Demokratie: der Wahlfreiheit!

Wenn der Bürger – egal welche Partei er wählt – letztlich immer bei einer großen Koalition landet, wird seine Stimme entwertet, er wird der Alternativen und damit seiner ihm zustehenden Herrschaftsmacht beraubt. Die vorderste Aufgabe einer Partei ist daher nicht, ihre persönlichen Interessen durch eine möglichst breite und lange Partizipation in allen erdenklichen Regierungssituationen sicherzustellen. Die wichtigste Aufgabe einer demokratischen Partei liegt vielmehr in der Erarbeitung einer für das ja eigentlich zur Regierung bestimmte Volk nachvollziehbaren und praktisch umsetzbaren Alternative, einer alternativen Zukunft. Nur wer eine solche glaubwürdig und konsistent präsentieren kann, hat als Partei die Stimmen der Bürger verdient.

In den letzten Jahrzehnten habe ich immer mehr den Eindruck gewonnen, dass diese Aufgabe bei allen Parteien zunehmend vernachlässigt worden ist, ja dass man sich diese mühevolle Arbeit lieber spart und nur noch auf das doch so viel angenehmere Regieren selbst konzentriert. Damit haben sich Mittel und Zweck immer mehr verkehrt: War es früher noch Selbst-Zweck, eine fundierte politische Meinung zu haben, richtet man diese heute als Partei und Politiker besser opportun nach den bestehenden Machtverhältnissen aus, um seinen „individuellen Nutzen“ zu maximieren.

Ich gehöre leider nicht zu diesen Nutzen-Maximierern und habe es daher nie gelernt, mich immer richtig zu verkaufen. Was ich aber sehr wohl über die Jahre meiner politischen Erfahrung gelernt habe ist, dass man am Ende, wenn es um die Sache geht, mit barer Münze bezahlen muss. Auf die Koalitionsbildung gewendet bedeutet das: Sowohl auf Parteien- wie auch auf individualpolitischer Ebene gibt es eine mehr oder minder große Anzahl an „Opportunisten“, für die Regierungsbeteiligung wichtiger ist als jeder politische Inhalt. Regierungsfähigkeit hat aber nur begrenzt etwas mit Zahlenverhältnissen im Parlament zu tun. Wer keine politische Überzeugung hat, kann diese auch nicht umsetzen. Umgekehrt kann man eine völlig unrealistische und weltfremde Überzeugung niemals realisieren. Wenn die Linken inhaltlich „bezahlen“ können, also ein realistisches und zukunftsfähiges politisches Angebot unterbreiten, höre ich genauso aufmerksam zu wie bei einem Vorschlag eines Parteikollegen. Im Moment scheint die Linke jedoch auch nur ihren Nutzen zu maximieren und von der unterbliebenen inhaltlichen Arbeit der beiden großen Volksparteien zu profitieren.

Bis zu einem gewissen Grad kann ich das auch nachvollziehen: Der urdemokratische und völlig legitime Wille der Bürger nach „etwas Anderem“, nach einer Alternative, ist so stark, dass sie sogar die offensichtlich unrealistischen Vorschläge der Linken begrüßen, so sie doch wenigstens aus dem Rahmen des mittlerweile schon fast abgestimmten Verhaltens der beiden aktuellen Koalitionspartner fallen. Eine realistische politische Alternative sind die Linken deswegen nicht, aber sie zeigen uns Sozialdemokraten unsere Fehler und Unterlassungen deutlich auf! Ein Fingerzeig, den wir besser früher als später ernst nehmen sollten!

5. Der Staat hat unzählige Milliarden zur Rettung des Bankensystems und einzelner Wirtschaftszweige aufbringen müssen. Die Wähler treibt die Frage um, wer das alles bezahlen soll. Bislang fehlen überzeugende Antworten, und längst berichten die Medien wieder über horrende Bankmanager-Boni, die für den Steuerzahler wie eine Verhöhnung klingen. Wer wird aus SPD-Sicht die nächsten Jahre für die Milliardenlöcher zur Kasse gebeten?

Die Staatsausgaben sind nicht erst in dieser Krise weit über das tragbare Maß hinaus angewachsen: Allein die Ausgaben des Bundes sind von 1991 bis 2005 um ein Drittel auf über 400 Milliarden Euro gestiegen. Der aktuelle Schuldenstand der Bundesrepublik Deutschland beträgt insgesamt mittlerweile mehr als 1.600 Mrd. Euro, ca. 19.700 Euro pro Kopf, und wächst mit über 4.400 Euro pro Sekunde.

Zur Altschuldentilgung müssen seit Jahrzehnten in fast schon gewohnter Weise jedes Jahr neue Schulden aufgenommen werden – ein Teufelskreis der Schuldendynamik. So rutscht der verschuldete Staat in eine Haushaltsnotlage aus immer höheren Zins- und Tilgungsverpflichtungen und versperrt sich damit nach und nach selbst den weiteren Zugang zum Finanzmarkt.

Vor diesem Hintergrund müssen wir nicht nur diese Krise finanzieren, sondern generell einen Staatsbankrott abwehren. Neben einem allgemein sparsameren Umgang mit Steuermitteln sehe ich dabei einen Hauptansatzpunkt in einer effizienteren Bekämpfung der Arbeitslosigkeit: Arbeitslosigkeit ist nicht nur eine der Hauptursachen individueller Armut, sie belastet auch in empfindlicher Weise den öffentlichen Haushalt. Wir brauchen also möglichst bald eine praktikable und realistische Möglichkeit, um die Arbeitslosigkeit zu verringern. Das Grundeinkommen könnte eine solche Lösung darstellen, wenn es als pragmatische und effiziente Antwort auf die grundlegenden Gerechtigkeits- und Verteilungsfragen in unserer Gesellschaft verfolgt wird.

Desweiteren erkenne ich in der derzeitigen Krise eine Chance, aus unseren bisherigen Fehlern im Umgang mit dem Finanzmarkt zu lernen: Insbesondere die Gewinne aus kurzfristigen, hochspekulativen und risikoreichen Anlagegeschäften müssen an die Menschen zurückfließen, auf deren Rücken und auf deren Kosten sie „erwirtschaftet“ werden. Über die von uns Sozialdemokraten geforderte Börsenumsatzsteuer hinaus verfolge ich daher persönlich das Ziel eines sozial orientierten Finanzmarkt-Risikofonds, aus dem projektbezogene Hilfen für soziale und unternehmerische Initiativen finanziert werden könnten. Das würde nicht nur die Gerechtigkeit sondern auch die nachhaltige finanzielle Gesundung unserer ganzen Gesellschaft fördern.

6. Die Abwrackprämie, die offiziell Umweltprämie heißt, ist nun wie es offiziell heißt „mit großem Erfolg“ abgelaufen. Der volkswirtschaftliche Nutzen ist stark umstritten und wird sich heute nicht eindeutig belegen oder widerlegen lassen. Welche belastbaren umweltbezogenen Fakten kann der auf Erneuerbare Energien spezialisierte SPD-Politiker Axel Berg bieten, die die Bezeichnung „Umweltprämie“ für die Abwrackprämie rechtfertigen könnte?

Keine!

Ich war und bin ein entschiedener Gegner der Abwrackprämie. Die Prämie ist nicht nur aus ökologischen Gründen unsinnig – schließlich wird jedes mit einem neuen Auto gegenüber dem alten eingesparte Gramm CO² durch das bei der Produktion des neuen Autos freigesetzte CO² vielfach aufgewogen, so dass die Abwrackprämie den beschönigenden Namen „Umweltprämie“ in keinem Fall verdient.

Nein, die Abwrackprämie muss selbst nach den Prämissen ihrer Verfechter für schlecht befunden werden, da sie willkürlich einen Industriezweig bevorzugt und andererseits umweltorientierte Industrien – die dem neuen Namen nach doch zuallererst für förderungswürdig befunden werden müssten – von vornherein nicht berücksichtigt. Eine Prämie für erneuerbare Energien, Umwelt- und Effizienztechnologien wäre nicht nur aus umwelt- sondern auch aus arbeitsmarktpolitischen Gründen weitaus sinnvoller gewesen.

7. In Sachen Afghanistankonflikt scheinen die Medien die Politik Berlins nachzuahmen, indem sie immer ungenauer werden. Kaum findet man noch präzise, analytische Berichte, niemand scheint den Unterschied zwischen ISAF und Operation Enduring Freedom zu kennen oder sich für die Rechtsgrundlagen des Bundeswehreinsatzes zu interessieren. Die Berichterstattung und Essays sind zunehmend gekennzeichnet durch ein pauschales „Raus aus Afghanistan“. Diese Stimmung dürfte mit Blick auf die Wahlen nur der LINKEN zugute kommen, da sie alleine einen pauschalen Abzug fordert. Unterschlägt die LINKE etwas?

Wie auch bei vielen innenpolitischen Themen unterschlägt die Linke auch hier, dass die realen Spielräume unserer Politik stark eingeschränkt sind, etwa durch langfristige, völkerrechtlich verbindliche Vereinbarungen, die nicht ohne großen internationalen Schaden für unser Land einseitig aufgekündigt werden können. Die oft radikale Haltung der Linken gegenüber einer bundesdeutschen Beteiligung an internationalen Friedensmissionen erscheint vor dem Hintergrund ihrer fehlenden tatsächlichen außenpolitischen Erfahrung erklärlich.

Einer weitergehenden Integration Deutschlands in die internationale Staatengemeinschaft ist eine solche Haltung aber trotzdem nicht zuträglich. Auch außenpolitisch gilt es also, sich der tatsächlichen Probleme anzunehmen und nicht, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, etwa weil sie mit der eigenen Ideologie nicht kompatibel sind. Dass Terroristen heute nicht mehr vor Staatsgrenzen Halt machen gehört zu diesen Schwierigkeiten. Die beste Friedenspolitik ist es daher, in der demokratischen Staatengemeinschaft unsere freiheitlich-demokratischen Grundwerte gemeinsam zu verteidigen.

Aufgrund meiner eigenen politischen Vergangenheit in der Friedensbewegung kann ich die ursprüngliche Motivation vieler Gegner des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan immer noch sehr gut nachvollziehen und bin auch selbst der Überzeugung, dass wir Afghanistan letztlich besser mit Technologie, Logistik und Investitionen als mit der Waffe beim Wiederaufbau einer freiheitlichen Gesellschaft unterstützen können.

8. Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr Klaus Naumann hat kürzlich in der Süddeutschen Zeitung davor gewarnt, die Vorgänge in Afghanistan mit dem Begriff Krieg zu bezeichnen. Alle Einsätze seien von der UN gedeckt. UN-Einsätze sind per se keine Kriegseinsätze. Sobald man offiziell von Krieg spräche, würde man die Taliban gefährlicherweise zu völkerrechtlichen Kombattanten aufwerten, und sie damit rechtlich auf eine Stufe mit der afghanischen Regierung stellen. Nur Wortklauberei eines kriegerischen Generals a.D.?

Obwohl die Ausführungen des früheren Generalinspekteurs Naumann völkerrechtlich wie auch politisch durchaus ihre Berechtigung haben mögen, werden sie in den Ohren der in Afghanistan im Einsatz befindlichen deutschen Soldaten eher hohl klingen: Die Taliban mögen keine Soldaten im klassischen Sinne sein. An Gefährlichkeit wird der Kampf gegen sie jedoch sicher in keiner Weise dem Kampf gegen „normale“ Soldaten nachstehen – ihr Vorteil der größeren Ortskundigkeit wird wahrscheinlich sogar zu einer erhöhten Gefährdung unserer Soldaten in dieser asymetrischen Art der Kriegsführung resultieren.

Darüber hinaus wäre es im Interesse einer eindeutigen Legitimation dieser Einsätze sicher gar nicht schlecht, wenn man sie auch endlich einmal als das bezeichnet, was sie im Kern sind: moderne Kriege!

9. So gut wie nirgends wird das Thema „Was kommt nach einem Abzug aus Afghanistan“ thematisiert. Dass die Regierung in Kabul unfähig wäre, sich der Taliban alleine zu erwehren, dürfte unstrittig sein. In deutschen Augen scheinen die Taliban langsam den Status der Freiheitskämpfer wiederzuerlangen, den sie zuzeiten der sowjetischen Besatzung hatten. Dabei wird ignoriert, welches unbarmherzige Regime die Taliban geführt haben. Was käme danach?

Als eines der wenigen Länder, die sich an den Einsätzen in Afghanistan beteiligt haben, hat Deutschland von Anfang an nicht nur militärisch sondern auch logistisch und zivil Hilfe und Aufbauarbeit geleistet – man denke nur an die Ausbildung afghanischer Polizei- und Verwaltungskräfte.

Für die Zukunft werden sich genau diese Leistungen Deutschlands als wesentlich wichtiger erweisen als die anfänglich sicher auch notwendige militärische Unterstützung. Um den Einfluss der Taliban nachhaltig zu verringern braucht es stabile staatliche Strukturen in Afghanistan, und zwar eigene, afghanische Strukturen. Diese Strukturen können nicht einfach implantiert werden, sie müssen an den örtlichen Gegebenheiten und kulturellen Besonderheiten aufsetzen und natürlich in der afghanischen Gesellschaft wachsen.

Statt immer neue militärische Einsätze zu planen sollten wir also viel eher nachhaltige kulturelle Maßnahmen organisieren, und zwar solche, die ein beiderseitiges Lernen zum Ziel haben und damit der dauerhaften Völkerverständigung dienen. Damit würden wir den Frieden nicht nur in Afghanistan, sondern in der ganzen Region fördern.

10. Barack Obama hat im vergangenen Jahr vorgemacht, was moderner Wahlkampf ist. Man hätte sich aus diesem Werkzeugkasten frei bedienen können, ohne dazu das Charisma Obamas haben zu müssen. Können sich die Parteien, kann sich die SPD leisten, auf diese frischen Methoden zu verzichten?

Wenn Sie einen Blick auf die Webseite der SPD werfen sehen Sie, dass die Sozialdemokraten die neuen technischen Methoden, die auch Barack Obama in seinem Wahlkampf verwendet hat, durchaus überaus aktiv nutzt. Doch ob Blogs, Video-Botschaften, Facebook, Twitter oder Flickr: Aus psychologischer Sicht lässt sich Form eben nicht von deren Inhalt trennen. Das wird besonders bei der Nutzung der sogenannten „Social Networks“ deutlich: Im besten Fall rückt der technische Aufwand einer Kampagne über solche Networks vollständig in den Hintergrund und die Botschaft verbreitet sich quasi von selbst, wird also „viral“. Das ist jedoch keine planbarere Geheimwissenschaft sondern hängt vollständig von den Nutzern, den Empfängern Ihrer Botschaft ab.

Barack Obama hatte eine Botschaft, auf die das amerikanische Volk gewartet hat, und er hat sie charismatisch und glaubwürdig vertreten: „Change – yes, we can!“. Wenn Sie die offizielle Webseite Barack Obamas besuchen, finden Sie diese Tatsache unten rechts ebenfalls perfekt in Worte gefasst: „powered by hope and supporters like you“. Die frischen Methoden, auf die Sie sich beziehen, setzen also einen frischen Geist voraus. Das, was man an technischer Eleganz gewinnen kann, muss man vorher in die Bedeutung, Glaubwürdigkeit und Nachvollziehbarkeit seiner Botschaft investieren – nur dann wird sie, scheinbar wie von selbst, weiterverbreitet werden. Dass die SPD dabei noch sehr weit vom Ideal eines Barack Obama entfernt sein dürfte, darin sind wir uns sicher einig.

11. Ihre Wahlplakate mit den gradlinigen, prägnanten Slogans wie „Dr. Axel Berg verschont Sie mit Politiker-Blabla. Geben Sie dafür einem Politiker Ihre Erststimme, der für zusätzliche Arbeitsplätze in Zukunftsbranchen ackert.“ heben sich wohltuend vom Einheitsbrei anderer Kandidaten und Parteien ab. Sie vermitteln darin in auffallendem Maß den Eindruck, ganz persönlich für ihre Wähler da zu sein und ganz persönlich hinter ihren Positionen zu stehen.

Zwei Fragen: Sind die Plakate Eigenkreation oder Produkt eines Marketingauftrags? Ist eine so stark auf Ihre Person gerichtete Wahlwerbung überhaupt vertretbar, denn immerhin treten Sie für Ihre Partei und deren Positionen an und nicht als Unabhängiger?

Leider ist mein zeichnerisches und grafisches Talent sehr begrenzt. Daher entwerfe ich meine Wahlplakate seit Jahren in enger Abstimmung mit einem eingespielten Experten-Team aus Textern und Grafikern. Über die Jahre haben die mich nun aber auch bereits ganz gut kennen gelernt und wissen, wofür ich stehe:

Anders als viele Listenabgeordnete verdiene ich mir das Vertrauen meiner Wähler selbst und muss als Direktkandidat für mein Wort persönlich einstehen. Die Ehrlichkeit, die ich meinen Wählern entgegen bringe, haben Sie durch eine aktive und überlegte Wahrnehmung ihres Wahlrechts honoriert:

Gegen den gesamten bayerischen Trend haben mich die Bürger meines Wahlkreises dreimal in Folge als einzigen SPD-Abgeordneten in ganz Bayern direkt in den Bundestag gewählt! Diese außergewöhnliche Situation rechtfertigt den starken Zuschnitt meines Wahlkampfs auf meine Person. Darüber hinaus schäme ich mich auch sicher nicht dafür, für die SPD anzutreten: Die inhaltlichen Gemeinsamkeiten zwischen meiner persönlichen Meinung und der Parteilinie sind immer noch da, vom Ausstieg aus der Atomenergie über mehr soziale Gerechtigkeit bis hin zu einer sozialverantwortlicheren Gestaltung der Finanzmärkte.

Die Fragen stellte: Cafe Tel Aviv (TAB)

Hervorhebungen im Text durch TAB.

(Photo: Dr. Axel Berg)

(Grafiken: www.axel-berg.de)

Prof. Dr. Martin Pöttner (Alltag & Philosophie) kommentiert:

Vielen Dank für dieses aufschlussreiche Interview!

Die SPD wäre insgesamt sehr viel besser, wenn Sie mehr solcher Politiker hätte. Z. B. ich habe diesmal zum letzten Mal SPD gewählt, wenn die Richtung, welche Herr Dr. Berg andeutet, nicht deutlicher wird.

Inhaltlich würde ich hoffen, dass seine Perspektive auf ein “Grundeinkommen” insgesamt in der SPD deutlicher wird. “Hartz IV” ist eine schwere Schande für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, weil es sich hierbei um eine Ausgrenzungsregelung handelt, Hartz IV-Bezieher hatten bis vor Kurzem überhaupt keine Chance einen Gründungszuschuss für eine selbstständige Tätigkeit zu erhalten, ich habe nur vage wahrgenommen, dass der Bundesarbeitsminister daran etwas ändern wollte.

Auch die m. E. treffend dargestellte Position zu individueller Freiheit, Flexibilität und sozialer Verantwortung, auch sozialem Zusammenhalt sind durch ein solches Grundeinkommen, das alle bekommen, m. E. besser zu erreichen. Interessant ist, dass unter dem Einfluss der WASG-Leute die Linke, in der es einige Anhänger/innen des Grundeinkommens gibt, dieses im Wahlprogramm nicht auftaucht, sondern eine Erhöhung der Hartzsätze auf 540 €, wenn ich mich nicht irre – das Ausgrenzungsmuster wird dadurch m. E. nicht beseitigt, sicher wird die alltägliche Existenz etwas einfacher.

Die außenpolitische Kritik an der Position der Linken, die Herr Dr. Berg äußert, teile ich. Allerdings ist es eher kein Problem der Bundeswehr und des deutschen Einsatzes, dass dieser Einsatz faktisch gescheitert ist. Es gab von Anfang an keine vernünftige UNO-Strategie, die u. a. auch mit der asymmetrischen Kriegführung der Taliban rechnete. Die Bombardierungen, an denen nun auch die Bundeswehr beteiligt ist, sind völkerrechtswidrig und fallen unter § 11 des Völkerrechtsstrafgesetzbuches. Es handelt sich um Verbrechen – damit ist m. E. hinreichend genug dazu gesagt. Diese darf man mithin nicht nur begrenzen, wie es auch die offizielle Politik der Sozialdemokraten ist, sondern sie dürfen gar nicht stattfinden. Hier ist also gerade auf UNO-Ebene bislang keine ernsthafte Kreativität zu erkennen. Daher ist die Position der Linken “Raus aus Afghanistan” sicherlich übervereinfachend, aber in der Sache nicht ganz falsch.

Translate »