In Israel geraten zahlreiche Menschenrechtsorganisationen unter politischen Druck.
Das hatte sich im vergangenen Jahr außerhalb des Parlaments angebahnt.
Dabei hat sich vor allem die Organisation “Im Tirtzu”* hervorgetan. Kopf dieser Organisation ist der junge Ronen Shoval, der seiner Bewegung etwas großspurig das Motto “die zweite zionistische Revolution” gegeben hat. Sie versteht sich als Speerspitze eines neu belebten Zionismus, die die Krise des heutigen Israel überwinden will. Im Tirtzu ist vor allem an Universitäten aktiv.
Shoval hatte unter anderem den Goldstone-Bericht scharf verurteilt, in dem Israels Gazakrieg von 2008/09 kritisiert wurde. An Mäzene gewandt meinte Shoval, der ein glühender Anhänger eines Groß-Israel ist, sie sollten mit ihren Geldern lieber dafür sorgen einen Bewußtseinswandel in Israel herbei zu führen, anstatt ein einzelnes neues Haus in Ost-Jerusalem oder eine Caravan-Siedlung in Judäa und Samaria zu finanzieren. Nur wenn die große Mehrheit der Bevölkerung für die Besiedlung des Landes ist, kann sich auch keine Regierung mehr erlauben, solche Siedlungen abzureissen, meint Shoval.
Sodann führte Im Tirtzu einen vehementen Kampf die liberale, international aktive Dachorganisation “New Israel Fund / NIF”. Der New Israel Fund verfolgt ein liberales Programm:
The New Israel Fund is the leading organization committed to equality and democracy for all Israelis.
We are a partnership of Israelis and supporters of Israel worldwide, dedicated to a vision of Israel as both the Jewish homeland and a shared society at peace with itself and its neighbors
und betreibt dazu Öffentlichkeitsarbeit vor allem in den USA und in England.
Im Tirtzu hatte die These aufgestellt, der New Israel Fund hätte den Goldstone-Bericht und dessen israel-feindlichen Inhalt gefördert. Dazu ging Im Tirtzu so weit, die Chefin des New Israel Fund Naomi Chazan in Werbeanzeigen als Rhinozerus zu karikieren und sie als als Staatsfeind Israels zu brandmarken.
Der New Israel Fund unterstützt zahlreiche Nichtregierungsorganisationen in Israel mit Geld. Dazu gehören Menschrechtsorganisationen wie B’Tselem, Gisha oder die Gruppierung “Breaking the Silence“, in der ehemalige Soldaten über ihre Erlebnisse in Gaza, der West Bank oder dem Libanon ungeschminkt berichten.
Immer lauter sind nun die Stimmen geworden, die diesen Organisationen vorwerfen, sie würden mit unwahren oder verfälschenden Berichten der Armee schaden und damit das Ansehen Israels in der Welt vorsätzlich beschädigen. Bereits im Herbst letzten Jahres gab es einen Vorstoß von Premierminister Netanjahu die NGO’s stärker unter Beobachtung zu stellen.
Die Auswirkung dieses Vorhabens hat genügt, dem Ansehen der Menschenrechtsorganisationen zu schaden. Ein Mitarbeiter von “Ir Amim“, die vor allem auf die Besatzung und die Lage an Checkpoints und der Trennmauer aufmerksam machen will, sagte dazu:
Die Menschen begegnen uns immer misstrauischer und man spürt, dass sie uns verdächtig finden, weil wir die Regierung kritisieren.
Damit war der Boden psychologisch gut vorbereitet für die aktuelle politische Initiative der rechtsradikalen Partei Israel Beitenu (“Unser Haus Israel”) des notorischen Außenministers Avigdor Lieberman.
Dessen Partei hat kürzlich eine Initiative in die Knesset eingebracht, wonach eine Untersuchungskommission eingesetzt werden soll um die ihrer Auffassung nach fragwürdige Finanzierung vieler NGO’s zu untersuchen. Die Initiative wurde vom Parlament mit großer Mehrheit angenommen (46:14).
Diese Kommission soll herausfinden, ob die in Frage kommenden Organisationen von gewissen dritten Staaten oder von Gruppierungen unterstützt werden, die dem Terror nahe stehen.
Damit ist die Tonlage klar. Die latente Unterstellung, Gruppen wie B’Tselem könnten von einer Quelle finanziert werden, die auch Terror befördert, nimmt dem gesamten Vorgang jegliche Neutralität.
Der Abgeordnete Horowitz (Meretz) nannte diesen Vorgang daher eine “Schande für die Knesset” und erklärte, Menschenrechtsgruppen in Israel dienten dem demokratischen System, doch sei mit dieser Kampagne ein neues moralisches Tief erreicht:
The persecution campaign against human rights and citizens rights groups has reached a new low.
Human rights and citizens rights group save the honor of Israel in the world and maintain its character as a democratic state.
Ähnlich äußerte sich der ehemalige langjährige Sprecher der Knesset, Avraham Burg. Diese Aktion sei eine Vogelscheuche, vor dem man sich nicht fürchten sollte. Und dennoch werde mit diesem Aufruhr die Demokratie beschädigt:
The time has come to call this scarecrow by its name.
It’s nothing more than noise trying to undermine the foundations of democracy
Nicht ohne Grund spricht man in Israel schon von einer aufziehenden Ära McCarthy, womit Bezug genommen wird auf die unsägliche Zeit der anti-kommunistischen Hexenjagd in den USA der Fünfziger Jahre unter Leitung des radikalen Senators Joseph McCarthy.
So warnt auch der derzeitige Sprecher der Knesset, Reuven Rivlin, vor einem “Schauprozess”:
Once it was called McCarthyism in the United States; in Russia, they spoke of show trials.
16 der potentiell betroffenen Menschrechtsgruppen haben ein gemeinsames Schreiben verfasst, in dem sie das Parlament aufforden sie alle zu untersuchen, da man nichts zu verbergen habe:
Investigate us all, we have nothing to hide. You are invited to read our reports and our publications. We will be happy if for a change you relate in a germane way to our questions instead of trying to besmirch us. It did not work in the past and it will not work this time.
Die Wagenburg-Mentalität, die angesichts der internationalen Kritik am Gazakrieg in Israel vorherrscht und neben der Politik auch weite Teile der Öffentlichkeit umfasst, lässt nichts Gutes hoffen für den Verlauf der Untersuchung.
Trotz allem sollte man vorsichtig sein und den Begriff “McCarthy” nicht überstrapazieren. Denn in der Ära McCarthy wurden in den USA Tausende verhaftet, zu Denunziation genötigt, erhielten Berufsverbot oder wurden um ihren Beruf gebracht. Davon ist die heutige Lage in Israel weit entfernt.
Aber selbst wenn kein rechtlich verwertbares Ergebnis heraus kommen sollte ist damit zu rechnen, dass nichts unterlassen wird, den betroffenen Organisationen Schaden zuzufügen. Das gehört unausgeprochen zum Ziel der Initiatoren und Unterstützer dieser Untersuchung. Sie sind nicht der Auffassung, dass damit die Demokratie Israels geschädigt wird. Im Gegenteil.
UPDATE 22.02.2011
Fürs erste scheint die Gefahr gebannt zu sein. Die Gesetztesvorlage für die Untersuchungskommission ist versandet.
UPDATE 28.11.2011
Die Chefredakteurin der Jerusalem Post, Caroline B. Glick, kämpft seit längerem an der erzkonservativen Front, um alle vermeintlich links-subversiven Kräfte im Land auszuschalten.
In einem aktuellen Beitrag fordert sie zum Schutz der israelischen Demokratie ein hartes Vorgehen gegen Gruppierungen wie die Menschenrechtsorganisation B’Tselem oder die liberale Organisation NewIsraelFund (NIF):
Israel sorely lacks the checks and balances that are the norm for other Western countries and would protect this country from radical left-wing groups. […]
B’Tselem’s goal was to undermine Israel’s ability to defend itself.
Pikant, um nicht zu sagen brisant, ist dabei ihr Angriff auf den Obersten Gerichtshof Israels, der ihrem Dafürhalten nach bereits links unterwandert und damit eine Gefahr für die Demokratie ist:
Israel’s radicalized Supreme Court. […]
For the past 20 years or so, as the radical left has discredited itself as a political force in Israel, it has increasingly used the Supreme Court to achieve its aims.
The Court is dominated by far leftists who legislate laws from the bench that would never pass in the Knesset.
Glick hat in einem recht: In Israel selber haben die “linken” Menschenrechtsorganisationen wenig Unterstützer.
In dieselbe Kategorie gehört der Versuch der Kadima-Abgeordneten Schneller, die arabische Abgeordnete Haneen Zoabi aus dem Parlament zu bannen und ihr die Staatsbürgerschaft abzuerkennen:
Knesset member Otniel Schneller of the “centrist” Kadima party to the Knesset Ethics Committee, calling on it to revoke the Israeli citizenship of Haneen Zoabi, a Palestinian member of Israel’s Knesset, who was one of the witnesses who testified before the Russel Tribunal on Palestine (RToP).
Schneller told The Jerusalem Post that she wished to expel Zoabi from the Knesset, as well as Balad Knesset member Jamal Zahalka, a fellow Palestinian parliamentarian, because of a trip they had both made to Turkey, and because of Zoabi’s presence before the RToP.
“They should go to the Gazan parliament, where they belong,” Schneller told The Jerusalem Post, after she had referred to them as a “fifth column, enemies of the state acting from within.”
Es könnte in absehbarer Zukunft eine Situation eintreten, in der in Israel “Demokratie” nur noch ein Wort ist. Eins aber, das mit Klauen und Zähnen verteidigt wird. Von den Rechten.
— Schlesinger
Photo: Avraham Burg / Wikipedia CC Lizenz
* Im Tirtzu heißt “Wenn Du es willst”, in Anlehnung an das Motto von Theodor Herzl “Wenn Du es willst, wird es wahr”. Gemeint war die Schaffung einer jüdischen nationalen Heimstätte.
Leseempfehlung: Stellungnahme eines ehemaligen Soldaten zur geplanten Untersuchungskommission
Leseempfehlung zu Avigdor Liebermann und dem aktuellen israelischen Zeitgeist (von Mitch Plitnick):
There’s little doubt that Israeli zeitgeist is moving away from democracy, toward more racism and alienating it from the next generation of Jews in the Diaspora.
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- Israel says no to NGO’s helping Palestinians (rt.com)
- Livni warns of ‘evil spirit’ over Israel (guardian.co.uk)
- Tikun Olam
- Guardian
- Jewish National Fund Does More Than Just Plant Trees in Israel (desertpeace.wordpress.com)