Armes reiches Israel

Arm sein war auch in Israel noch nie angenehm.

Doch bis 2003 sorgte staatliche Unterstützung wenigstens für ein anständiges Mindesteinkommen.

Eine alleinerziehende israelische Mutter mit zwei Kindern erhielt damals mehr Zuwendungen als eine vergleichbare Frau in Schweden.

Sozialhilfe in Israel gekürzt

Dabei machte die Sozialhilfe nur 0.7 Prozent des Bruttosozialproduktes aus. Im selben Zeitraum machten die Ausgaben in Deutschland 1,4 Prozent, in Schweden 1,1 Prozent,  aber in den USA nur 0,75% Prozent aus.

Im Juni 2004 erfolgte eine drastische Kürzung der Unterstützung um 30%.

Davon waren rund 100.000 Familien betroffen. Damit rutsche Israel im Vergleich mit den westlichen Staaten auf den vorletzten Platz ab, gefolgt vom Schlusslicht USA, die seit jeher für ihre notorisch schwache Sozialhilfe bekannt sind.

Kibbutzim niedriges Einkommen

Die romantischen Vorstellungen vom vielleicht nicht reichen, aber immerhin egalitären Kibbutzleben entsprechen leider nicht der Realität.

Ausgerechnet in dieser traditionell sozialistisch und egalitär ausgerichteten Bewegung lag im Jahr 2004 für 80 Prozent der Mitglieder das Durchschnittseinkommen bei nur 3.300 Shekel (~ 660 Euro) und damit unter dem Mindestlohn. Diejenigen mit einem Einkommen von 7.000 Shekel (~ 1.400 Euro) dürfen sich zu den etwa eineinhalb Prozent Spitzenverdienern unter den Kibbutzim rechnen, die damit immerhin 75% des israelischen Durchschnittseinkommens erhalten.

Armutsgrenze

Kunstausstellung Jerusalem
Kunstausstellung Jerusalem

Die Armutsgrenze liegt in Israel bei einem verfügbaren Einkommen – also nach Steuern und Sozialabgaben – von 1.770 Shekel (~ 350 Euro). Damit entspricht die Armutsgrenze fast genau dem deutschen SGB II / Hartz IV Regelsatz von 359 Euro. Die Armutsgrenze definiert sich in Israel bei 50 Prozent unter dem Durchschnittseinkommen, das im Jahr 2004 bei netto 3.145 Shekel lag (~ 630 Euro, nach Steuer und Abgaben).

Da die zuvor genannten Durchschnittseinkommen der Kibbutzim von 660 Euro vor Steuern und Abgaben zu verstehen sind, bewegt sich diese Gruppe an der Armutsgrenze, wobei sich das tatsächliche Bild in dieser Gruppe insofern günstiger darstellt,  da im Kibbutz Infrastruktur und Dienstleistungen wie zum Beispiel Gemeinschaftsküche, Wohnungen, Garten etc.  kostenlos oder gegen geringe Gebühr bereit gestellt wird und die Mitglieder in einem festen sozialen Netz eingebunden sind.

Einkommensschere

Vergleichbar mit anderen westlichen Nationen ist auch in Israel die Einkommensschere seit den Siebzigern merklich auseinander gegangen. Dazu hat vor allem die Kluft zwischen mäßig steigenden Arbeitseinkommen und deutlich steigenden Kapitaleinkommen beigetragen.

Zugleich hat die Zahl an Geringverdienern oder Arbeitslosen (Mai 2010: 6,5 %)  zugenommen.

Analog zu dieser Entwicklung stiegen die staatlichen Zuwendungen, die in Israel durch das National Insurance Institute (NII) gezahlt werden, in den knapp zwanzig Jahren von 1980 bis 1999 jährlich um 6,4 Prozent, während das Wirtschaftswachstum im selben Zeitraum 4% pro Jahr betrug.

Orthodoxe arm

Den Großteil der Armen in der Bevölkerung (60%) trifft man bei den jüdischen ultra-orthodoxen Haredim sowie den israelischen Arabern.

Zu den Verlierern der Einkommenentwicklung zählt in Israel auch die Mittelschicht, die – je nach Berechnungsmethode – von 1988 bis 2002 zwischen 15 und 19 Prozent geschrumpft ist (betrachtet wurden nur Arbeiter und Angestellte, nicht Selbständige).

Negative Entwicklung verschärft sich

Speist die hungrigen Kinder in Israel
Speist die hungrigen Kinder in Israel

Seit Mitte des Jahrzehnts (2004-2008) hat sich die Lage aus gesellschaftlicher Sicht insofern verschärft, als die Spitzenverdiener überproportional mehr verdient haben, während sich die Einkommen der unteren Verdienstgruppen negativ entwickelten. In 2008 hat sich die Lage besonders ungünstig dargestellt: Lediglich die oberen zehn Prozent haben dazu verdient, während der gesamte Rest weniger als im Vorjahr verdiente.

2008 jeder vierte Israeli arm

(Deutschland: jeder siebte). Das waren über 1,6 Millionen Menschen, darunter über 780.000 Kinder (bei einer Bevölkerung von nur 7,6 Mio.).

Deutliche unterschiede gibt es auch hinsichtlich der Herkunft und des Geschlechts.

Traditionell sind die Ashkenasim (geboren in Israel bzw. abstammend von europäischen oder amerikanischen Einwanderern) gegenüber den afrika- bzw. asienstämmigen Mizrahim besser gestellt. In 2008 lag der relative Unterschied im geringfügigen Einkommenszuwachs bzw. deutlicheren Einkommenrückgang bei 7 Prozent, was bei einer Inflationsrate von rund 3 Prozent für beide Großgruppen eine negative Entwicklung darstellt.

Einkommensunterschied Frauen / Männer

Frauen verdienten in 2008 im Durchschnitt 63 Prozent im Vergleich zu Männern.

Alleine im Jahr 2008 stiegen die Einkommen der Top-Manager der “Top25-Companies” in Tel Aviv um 7 Prozent und erreichten mit durchschnittlich 800.000 Shekel brutto  (160.000 Euro) das rund 95-fache des Durchschnittseinkommens von 8.160 Shekel brutto  (in 2009).

Armut nicht gleich Armut

Dass Armut nicht gleich Armut ist, zeigt eine aktuelle Studie der Barl Ilan Universität in einem Ländervergleich zwischen England und Israel. Trotz ähnlicher absoluter Zahlen ist die Lage armer Israelis signifikant schlechter als die in England. Das schlägt sich vor allem im Gesundheitszustand, der Lebensmittelversorgung und der sozialen Einbindung nieder.

Doch hier die gute Nachricht (für manche zumindest):

42 Prozent mehr israelische Millionäre als im Vorjahr

Das Gros israelischer Vermögen sammelt sich bei 19 Familien (u.a.: Dankner, Tshuva, Azrieli, Weisman, Saban, Arison, Bino, Federman, Borovich, Leviev, Hamburger, Fishman, Strauss, Wertheim, Alovich).

Gab es 2005 noch 7400 Dollar-Millionäre (was gemessen an der Bevölkerungszahl im internationalen Vergleich doppelt so viele Millionäre ausmacht), waren es – nach einem zwischenzeitlichen Rückgang – im Jahr 2009 bereits 8.419.

Während 2009 weltweit trotz der Wirtschaftskrise die Zahl der Dollar-Millionäre um 17 Prozent zugenommen hat, betrug die Zunahme in Israel satte 42 Prozent. Die Zahl der Multimillionäre mit einem Vermögen von über 30 Mio. US Dollar wuchs um 15 Prozent, während sich das Vermögen dieser Gruppe binnen Jahresfrist um 21 Prozent vermehrte.

Reiches Israel, so arm.

— Schlesinger

Photo 1: (c) T.A.B., aufgenommen im Mai 2010 in Jerusalem; Open Air Kunstausstellung in der noblen Mamilla Avenue, gegenüber dem Neuen Tor der Altstadt. Von Armut sieht man in dieser poschen Einkaufsmeile mit ihren Gucci- und Prada-Läden weit und breit nichts. Auch sonst hat sich die Optik Jerusalems (das als ärmste Region Israels anzusehen ist) gegenüber meinem vorherigen Besuch in 1993 deutlich verändert. Aus einer ärmlich anmutenden Stadt ist eine reich anzusehende Stadt geworden. Die Armut scheint gut an die Ränder verlagert zu sein. In der Innenstadt fällt in Bezug auf Armut nur das Orthodoxen-Viertel Mea Schearim auf.

Photo 2: Spendenaufruf einer israelischen Hilfsorganisation, die für Bedürftige sorgt. Werbeanzeige auf der Haaretz.

Leseempfehlung: Tikun Olam

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