Ist der Verfasser “Lord Weidenfeld” in der Tageszeitung DIE WELT ein Kunstname oder ist der Mann real? Spielt eigentlich keine Rolle.
Real mag sein Beitrag vom 15.06. mit dem Titel “Barack Obama und die Israel-Lobby” sein, reell ist er mitnichten.
Der Beitrag besteht aus 420 Wörtern, wovon sich tatsächlich 141 auf das Thema des Titels beziehen.
Es geht los mit ein wenig Getratsche ehemaliger Mitarbeiter des Clinton-Teams über diverse Team-interne Querelen.
Langsam nähert sich der Lord seinem Thema:
Auf die allerschwierigste Frage des Augenblicks: “Wie geht es mit Iran weiter?”, gibt Obama zweideutige Antworten.
Schön, dass der Verfasser die allerschwierigste Frage des Augenblicks benennen kann. Manch anderer käme da ins Straucheln, da schließlich auch so nachrangige Dinge wie Afghanistan- oder Irakkrieg, Tibetfrage, Handelsbeziehungen zu China, NAFTA, NATO-Erweiterung auf der außenpolitischen Agenda stehen. Von der Immobilien- und Wirtschaftskrise im Land oder dem Klimawandel ganz zu schweigen. Weidenfeld sorgt hier erstmal für klare Prioritäten.
Dann geht’s in media res. Der Lord redet Tacheles und benennt dazu die amerikanische Israel-Lobby AIPAC beim Namen:
Vor der proisraelischen AIPAC-Gruppe, die kurz genannt als jüdische Lobby gepriesen beziehungsweise verdammt wird…
Na ja, irgendwie beim Namen. Was ist die AIPAC-Gruppe? Man kennt die G-8, die Bertelsmann-Gruppe, die Gruppe 47 und einige mehr. Die AIPAC-Gruppe scheint neu in diesem Kreis.
… die kurz genannt als jüdische Lobby…
Hei, da wurde es dem Schreiber so mumlig, dass es ihm sogleich die Prosa verschoben hat.
Wer oder was hat die AIPAC kurz genannt als jüdische Lobby … bezeichnet? Und wieso kurz ?
Wer hat je gesehen, dass eine Lobby gepriesen wurde? Kritisch betrachtet werden wohl die meisten Interessenverbände. Aber von einem Hosianna auf eine Lobby ist einem eher selten etwas zu Ohren gekommen.
Auch sprach er [Obama] sich für ein “ungeteiltes Jerusalem” aus, eine Formel wie sie selbst die überzeugtesten Freunde des Judenstaates nicht so deutlich auszudrücken wagen.
Judenstaat? Eigentlich könnte er ja Israel sagen, oder will er etwas anderes sagen?
Und würden das mit dem ungeteilten Jerusalem die Freunde Israels nicht sagen? Immerhin haben es im Jahr 2002 die Freunde Israels im Kongress zustande gebracht, über das Haushaltsgesetz eine de-facto Anerkennung Jerusalems als der Hauptstadt Israels zu erzwingen. Falls das nicht genügt:
Im Jahr 2005 wurde von Senator Sam Brownback eine gemeinsame Resolution des Senats eingebracht, Jerusalem als die ungeteilte Hauptstadt Israels anzuerkennen:
Providing for the recognition of Jerusalem as the undivided capital of Israel before the United States recognizes a Palestinian state, and for other purposes.
Offenbar haben es die überzeugtesten Freunde des Judenstaates gleich mehrfach auszudrücken gewagt, die Formel von Jerusalem als der ungeteilten Hauptstadt zu verwenden.
[…] ein Hamas-Sprecher in Gaza ging so weit, ihn [Obama] als Kreatur der Israelis, “zionistischen Pudel” und Verräter an der arabischen Sache zu bezeichnen.
Das wird von Weidenfeld 1:1 kommentarlos widergegeben. Der Schreiber wird zwar wissen – oder eher nicht wissen – dass Obama der Illoyalität gegenüber Israel bezichtigt wird. Damit wird eine Äußerung, wie sie der Hamas-Sprecher lieferte, natürlich unfreiwillig komisch. Das könnte man beschreiben. Dem Lord scheint der Punkt aber völlig entgangen zu sein.
In Europa misst man den Bemühungen der allgemein so überschätzten jüdischen Lobby Amerikas eine viel größere Bedeutung zu, als sie besitzt.
Respekt. Lord Helmchen sitzt vermutlich im Vorstand der AIPAC-Gruppe und weiß daher exakt um deren (beschämend geringen) Einfluß.
Um die Kehrseite auzuzeigen, verweist Weidenfeld auf Folgendes:
Sehr aktiv ist inzwischen auch die arabische Propaganda, […]
“Auch die arabische Propaganda”? Demnach ist das, was die AIPAC-Lobby betreibt, nicht nur (zulässige) Lobbyarbeit, sondern israelisch-jüdische Propaganda, da die Araber ja auch Propaganda betrieben?
Gute Güte…
Dann schlingert der Verfasser zum Ende:
Der nächste US-Präsident wird, was immer er im Trubel eines bitteren Wahlkampfs gesagt oder verschwiegen haben mag, sich besonders der geistigen Entgiftung widmen müssen.
Das ist schönstes verarmtes Hochadel-Deutsch.
Unsere Empfehlung:
Bevor sich der nächste US Präsident der geistigen Entgiftung widmet, sollte sich Herr Lord einer textlichen Entschlackung zuwenden. Oder wenigstens die Hausaufgaben machen und nicht ins holprige Geratewohl hinein schreiben.
Übrigens: Ein Blick auf die Homepage der AIPAC zeigt folgendes:
Komisch. Da stehts: “America’s Pro-Israel Lobby”.
Keine heiße Kartoffel, die man mittels ‘kurz genannt als jüdische Lobby’ hektisch jonglieren müsste.
— Schlesinger