Gleich in den ersten zwei Minuten dieses Anima-Films atmet man gepresst durch vor Unbehagen.
Auf gleicher Höhe mit einem Rudel aggressiver Hunde hetzt man durch düstere, verregnete nächtliche Straßen. Man weiß nicht, ob man mitläuft oder Opfer wird.
Damit ist man mitten im Schlamassel: Wer ist Mitläufer, wer aggressiver Akteur und wer Opfer?
Die Hunde: Das ist der wiederkehrende Albtraum von Boaz, der als junger Mann in der israelischen Armee den Libanonfeldzug mitmachte.
Viele Jahre mußte er nicht an den Krieg denken, aber jetzt, nach 20 Jahren kommt dieser wiederkehrende Traum von den wütenden Hunden, die durch die Straßen laufen, sich zusammenrotten, bellend voranjagen, um ihn schließlich früh am morgen vor seinem Haus zu verbellen.
Denn das taten die Hunde in Wirklichkeit: Wenn Boaz mit seinem Trupp Soldaten nachts auf Patrouille war, um in den palästinensischen Dörfern “Terroristen” aufzuspüren, waren die Hunde die ersten, die sie wahrnahmen und anschlugen.
Da Boaz als der Scharfschütze der Gruppe für zu schwach befunden wurde, auf Menschen zu schiessen, erhielt er den Auftrag mit aufgesetztem Schalldämpfer die Hunde zu erschiessen. Das tat er. Daher der Traum. Das erzählt Boaz seinem Freund und früheren Armeekameraden Ari zu später Stunde in einer Bar.
Ari – das ist sowohl der Icherzähler im Film als auch der Regisseur des Films, Ari Folman, der als junger Kerl in den Krieg geschickt wurde.
Da war irgendetwas in der Erinnerung Aris, aber es war gut versteckt und ließ ihn weitgehend in Ruhe.
Dann dieser Abend mit Boaz, in der Bar.
Nein, meint Ari auf die Frage seines Freundes, bei ihm seien keine Erinnerungen zurück geblieben.
Nichts im System, sagt Ari und kann es irgendwie selbst nicht wahr haben.
War ich dabei? stellt er die Gegenfrage.
Ja, bestätigt ihm sein Gegenüber, er sei die ganze Zeit dabei gewesen, bis nach Beirut, bis zum Massaker.
Dem von Sabra und Shatila.
Draussen regnet es, die Männer treten hinaus, umarmen sich und wünschen sich alles Gute.
Boaz geht zum Ufer, wo das Meer wild ans Ufer schlägt.
Ari schlägt den Kragen hoch und macht sich auf den Weg.
Dann holt ihn die Erinnerung ein, erstmals.
Zunächst nur Bruchstücke, aber genug, um ihn so zu beunruhigen, dass er einen Freund aufsucht, ihn um Rat zu fragen. Der empfiehlt ihm, die früheren Kameraden zu suchen. Mit deren Hilfe und deren Erinnerungen könne er vielleicht die eigene Vergangenheit rekonstruieren.
Ari macht sich auf die Reise, und es wird zu einer grauenhaften Odyssee in die Vergangenheit. Mit jedem Besuch erfährt er die Geschichte seiner Kameraden und zunehmend mehr über sich.
Etappe für Etappe nähert sich das Geschehen in Steigerungen an Grausamkeiten physischer und seelischer Art dem Schrecken, den man ab der ersten Minute vorausahnen musste.
Überwiegend aus Angst, aber auch aus Vorsatz feuern die Soldaten auf alles, was sich bewegt. Warum? Keiner kann es erklären.
Eine Familie wird in ihrem Mercedes durchsiebt. Mit ungläubigem Schrecken gehen die Soldaten vorbei und können sich ihr Handeln nicht erklären.
Das wird zum Handlungsmuster. Man schießt auf bewegliche Ziele. Bodycount auf israelisch.
Dann arabische Kinder, die mit Panzerfäusten auf die Kolonne schiessen und selbst erschossen werden.
Den Esel, den man zerfetzt, weil man am Ziel vorbei geschossen hat. Die Pferde im Beiruter Hippodrom, die angeschossen, zerschunden und wiehernd krepieren.
Schließlich folgt das Ereignis, das das endgültige Grauen in Gang setzt: Unmittelbar nach der Wahl des unfähigen aber von den christlichen Milizen zutiefst verehrten, ja geliebten Christen Bashir Gemayel zum Präsidenten erliegt er einem Attentat.
Dessen Truppe wird dadurch zur sengenden Mörderbande.
Die israelische Armee erhält Befehl, die großen Beiruter Palästinenserlager Sabra und Shatila abzuriegeln. Ari ist einer von ihnen. Die Phalangisten fahren in Kommandos vor und dringen in die Lager ein.
Zwei Tage und Nächte lang wüten sie.
Alte, Frauen und Kinder werden aus den Lagern verschleppt, um an anderen Orten erschossen zu werden. Andere werden in Massen direkt im Lager gefoltert, vergewaltigt, zu Tode gemartert oder von Exekutionskommandos erschossen.
Ari gehört zur Truppe, die in beiden Nächten ununterbrochen schwere Mörser-Leuchtraketen abfeuert, um für die Phalangisten die Nacht zum Tag zu machen.
Manche machten Meldung angesichts des beobachteten Horrors. Man sagte ihnen, man werde sich darum kümmern. Das war Teil des Systems. Man darf davon ausgehen, dass Arik Scharon, der damalige Verteidigungsminister, über die Planung und die Vorgänge schon vorab im Bilde war.
Ari stand nach Ende des zweiten Tages als Posten am Ausgang des Lagers. Von dort kamen die klagenden, schreienden, weinenden Frauen heraus, um an ihm vorbei zu ziehen. Die Szene im Film legt nahe, dass dies der Moment war, an dem bei Ari die Verdrängung einsetzte. Es war mehr als er ertragen konnte.
In den letzten Minuten wechselt der Film vom Animationsstil in reale Bilder aus den Lagern, die nur schwer erträglich sind.
Als der Film zu Ende war und der Abspann lief, war im Kino über wenigstens zehn Minuten alles mucksmäuschenstill.
Möglicherweise hat Folman die am besten geeignete Form gefunden, diesen Schrecken in Bilder umzusetzen. Eindrücklich, vielschichtig, menschlich.
Waltz with Bashir ist ein Meisterwerk.
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Die Ergebnisse einer israelischen Untersuchungskommission führten zum Rücktritt von Ariel Scharon.
Menachem Begin, der damalige Ministerpräsident Israels, zog sich infolge des Libanonkriegs und des Todes seiner Frau aus dem öffentlichen Leben zurück und fristete in Jerusalem das Dasein eines Einsiedlers.
Bis zu seinem Tod gab er keine Erklärung ab.
In der Sitzung der Knesset, in der er seinen Rücktritt erklärte, sagte Begin lediglich
“Eyni yachol” – Ich kann nicht mehr.
— Schlesinger
Jetzt in wenigen Kinos. Zu empfehlen die hebräische Originalversion mit dt. Untertiteln. Die Sprecher der Personen dieser Version sind die tatsächlichen Stimmen der Kameraden Aris.
Den Trailer finden Sie hier.
(Photos: screenshots Trailer)