Die letzte verbliebene linksliberale israelische Tageszeitung Haaretz hat einen bitteren Kommentar zu den bevorstehenden Wahlen verfasst.
Soll der Likud-Rechte Netanjahu doch gewinnen!
Dann würde endlich die Maske fallen und Israel sich selbst und der Welt gegenüber eingestehen, dass es längst nicht mehr am Frieden interessiert sei. Jahr um Jahr über den “Friedensprozess” reden, aber Monat um Monat die Siedlungen in der Westbank vorantreiben sei der größte Betrug (“fraud”), den man sich in diesem Kontext vorstellen könne.
Netanjahu mache in seiner Araberfeindlichkeit wenigstens niemandem etwas vor.
Das alles ist starker Tobak und selbstredend ein Stück Wahlkampf seitens einer Zeitung. Indem die Haaretz “Bibi” Netanjahu so kontrastreich zeichnet sollen gemäßigte oder unentschlossene Wähler zum Nachdenken gezwungen werden, ob sie künftig wirklich diese Linie sehen möchten.
Tatsächlich führt Netanjahu seinen Wahlkampf fast ausschließlich mit zwei Slogans: “Stark gegen die Hamas!” und “Haaretz”
Letzteres ist Pflichtübung, ersteres ist authentisch.
Bibi verspricht, der Hamas sprichwörtlich ein Ende zu bereiten. Wie das gehen soll, läßt er vorsichtshalber offen. Wie soll auch eine tief in der Gesellschaft verankerte Bewegung auslöschbar sein? Der markige Spruch aber scheint Umfragen zufolge zu ziehen.
Tel Aviv und Jerusalem bald in Gefahr
So treffsicher der bissige Kommentar der Haaretz ist, so wenig mag man das Szenario eintreffen sehen.
Denn die Zeit für einen günstigen Frieden beginnt abzulaufen. In wenigen Jahren schon wird eine palästinensische Miliz – gleich welche – über Waffen verfügen, die sich nicht mehr durch einen Einmarsch in Gaza beseitigen lassen.
Wenn es nicht bald Frieden gibt in Israel, werden Tel Aviv und Jerusalem einen fürchterlichen Preis zu entrichten haben.
Diese Perspektive sollte Tzipi Livni (Kadima) als Hauptkonkurrent Netanjahus in aller Deutlichkeit aufzeigen.
Recht gehabt zu haben mit einer Meinung, man habe um die Gewaltbereitschaft der Palästinenser schon immer gewußt, wird dann keinen Trost mehr bieten.
— Schlesinger
PS.: Wie die Rechnung mit den 16 Jahren zustande kommt, weiß ich nicht. Wenigstens einige Jahre lang bestanden in den Neunzigern reelle Chancen auf einen Frieden, bis zum Mord an Jitzchak Rabin am 04.11.1995