[ Korrekturhinweis 14.02.: Leider ist mir beim letzten Absatz, der in der ursprünglichen Fassung “Hamas und Fatah tauschen Positionen” hieß, ein Recherchefehler unterlaufen. Irrtümlich schrieb ich, Hamas wollte sich an den Wahlen im letzten Jahr beteiligen, Fatah habe aber aus Furcht vor einer Niederlage die Wahlen abgesagt. Richtig ist, dass Hamas sich auch im vergangenen Jahr weder an Kommunal- noch Parlamentswahlen beteiligen wollte. Rest siehe neuer letzter Absatz “Wahldebakel”. Bitte um Entschuldigung. Dank an Nicolas Blincoe vom Guardian für die Hinweise! ]
Hamas ist die im Jahr 2006 demokratisch und rechtmäßig gewählte Regierung der Palästinenser im Gaza-Streifen.
Das hat man von den Verteidigern der palästinensischen Sache bis zum Verdruß gehört. Nicht zuletzt hier bei uns.
Nur: Die Sache hatte von Anfang an einen Haken. Man tat so, als wäre mit einer demokratischen Wahl auch über Wohl und Wehe des Wahlvolkes entschieden. Man vergaß großzügig, dass unzählige Diktaturen demokratisch an die Macht kamen, bevor sie die Demokratie, mit deren Hilfe sie an die Macht kamen, im Handumdrehen abschafften.
Obwohl die Herkunft der Hamas von der Muslimischen Bruderschaft durchaus ahnen ließ, dass man es eher nicht mit einer demokratischen Bewegung zu tun hat, blendete man diese negative Perspektive lieber aus. Immerhin geht es gegen Israel. Da darf man nicht zu zimperlich sein in der Wahl seiner Freunde.
Dass Hamas von Beginn an ihr Möglichstes tat, jegliche Opposition – auch und gerade auf der Straße – im Keim zu ersticken, wollte man nicht sehen. Ihr radikales Vorgehen interpretierte wurde als Selbstverteidigung gegenüber Amerikanern und Israelis interpretiert, die im Verbund mit Fatah in 2007 tatsächlich versuchten, dem Hamas-Regime so rasch wie möglich ein Ende zu machen. Dass Hamas nach Kräften versuchte sich dagegen zu verteidigen ist verständlich, ohne dass man Freund der Hamas sein muss.
Nur endet an dieser Stelle das Verständnis gegenüber Hamas und ihren Apologeten. Denn seit dem Hinauswurf von Fatah ist Hamas die Alleinherrscherin in Gaza. Sie hat alle Chancen gehabt, sich als moderate Kraft zu präsentieren. Das hat nie stattgefunden.
Statt sich zuerst um die eigene Bevölkerung zu kümmern hat sie viel politische Kraft darauf verwendet, ihre von vornherein zum Scheitern verurteilte Politik der Nadelstiche in Form eines dauerhaften Kassam-Beschusses von Israels Süden zu betreiben. Was hätten die Kassam-Raketen militärisch bewirken sollen? Eine Aufgabe der Blockade seitens Israel? Das ist eine absurde Vorstellung. Die Kassams sind uns waren nur ein politisches Signal, den Kampf gegen Israel fortführen zu wollen.
Hamas und Israel halten Gaza in doppelter Geiselhaft
In Bezug auf die Bevölkerung von Gaza hat Hamas mit seiner Raketenpolitik im Grunde dasselbe gemacht wie Israel: Sie hat die Bevölkerung in Geiselhaft genommen.
Israel handelt gegenüber Gaza seit langem nach der Hypothese, die Bevölkerung sei einerseits mit der Wahl von Hamas selbst schuld an der Verschlimmerung der Lage und könne andererseits dem Regime der Hamas ein Ende bereiten. Als ginge das ohne weiteres.
Hamas will den Erzfeind Israel um jeden Preis bekämpfen und vertraut angesichts der stets vorhersehbaren Vergeltungsakte darauf, dass sich die Bevölkerung angesichts brutaler israelischer Schläge hinter sie stellt.
Diese Rechnung ist lange Zeit aufgegangen. Allerdings gab es während und nach dem Gazakrieg um den Jahreswechsel 2008/2009 nicht wenige Stimmen in Gaza, die Hamas eine Mitschuld am Desaster gaben.
Arabische Revolutionen erschüttern Hamas und Fatah
Während sich Israel Sorgen um den bisherigen Partner Ägypten macht, müssen sich Hamas und Fatah Sorgen über ihr mürrisches Volk machen.
Dabei unterscheiden sich die Gründe. Im Falle der Hamas sind die Gründe ähnlich denen in Tunesien und Ägypten. Die Bevölkerung hat die ewige wirtschaftliche Not, die Perspektivlosigkeit auf dem Arbeitsmarkt und die fortwährende Unterdrückung der Freiheitsrechte satt. Schon vor dem Ausbruch der Unruhen in Tunesien machte die Facebook-Botschaft “Fuck Hamas!” die Runde und hat große Popularität gewonnen.
Im Falle der Fatah wird das in der Bevölkerung seit langem bestehende tiefe und berechtigte Mißtrauen gegenüber der gleichermaßen unfähigen wie korrupten Fatah durch die jüngsten Wikileaks-ähnlichen Veröffentlichungen der Palestine Papers angefacht. Aus zahlreichen Dokumenten zu palästinensisch-israelischen Verhandlungen, die von unbekannter seite an den Sender Al Jazeera und den britischen Guardian gegeben und dort veröffentlicht wurden, ergibt sich das Bild einer allzu großzügigen arabischen Verhandlungssführung gegenüber Israel. Offenbar wollte man große Zugeständnisse beim Thema Jerusalem machen und das lange geforderte uneingeschränkte Rückkehrrecht der palästinensischen Vertriebenen in ein symbolisches Rückkehrrecht von wenigen Zehntausend umformen. Diese Perspektive kam nicht gut an, und Chefunterhändler Saeb Erekat beeilte sich zu versichern, es handele sich bei den Dokumenten um Fälschungen.
Zuerst kam der Rücktritt von Saeb Erekat. Offiziell ist er zurückgetreten, weil die Informationen für die Palestine Papers aus dem Kreis seiner Untergebenen stammen sollen. In Wirklichkeit ist er symbolisches Opfer, weil er seit langem zu dem Personenkreis gehört, dem man die Nähe zu den wahren Sorgen und Nöten des Volkes abspricht. Dann folgte der Rücktritt der ganzen Regierung unter Salam Fajad, um eine Kabinettsumbildung zu ermöglichen. Damit versucht die geschwächte Riege hinter Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas den Druck seitens der Straße zu mindern.
Die Wahldebakel
Die Regierungszeit von Präsident Abbas ist bereits seit dem Januar 2009 abgelaufen. Mit einem fragwürdigen Bezug auf die Verfassung verlängerte er seine Amtszeit eigenmächtig um ein Jahr. Neue Parlaments- und Präsidentschaftswahlen hatte er für den Januar 2010 angekündigt. Die Wahlen sollten im gesamten Palästinensergebiet, also einschließlich dem von Hamas regierten Gazastreifen stattfinden. Abbas erklärte dazu, er selbst werde nicht mehr kandidieren. Die Verweigerung der Hamas und organisatorische Schwierigkeiten veranlassten die Wahlkommission, die Wahlen für nicht durchführbar zu erklären.
Auch bei den für Juli 2010 angesetzten Kommunalwahlen gab die Fatah kein gutes Bild ab. Obwohl Hamas erklärte, sich nicht an den Wahlen beteiligen zu wollen, zeichnete sich eine Niederlage der Fatah gegenüber unabhängigen Kandidaten ab. Präsident Abbas sagte die Wahlen kurzfristig ab.
Die von Präsident Abbas neu angekündigten Parlamentswahlen, die für Juli oder spätestens September diesen Jahres angesetzt sind, geben wenig Anlaß zur Hoffnung, da sich an den Rahmenbedingungen nichts geändert hat.
Hamas jedenfalls hat umgehend erklärt, sich nicht an den Wahlen zu beteiligen und das Wahlergebnis nicht anerkennen zu wollen:
these elections are as illegal as the government of Salam Fayyad. We say no to elections before ending the current Palestinian split, because holding it under such circumstances would reinforce the split.
Offenbar herrscht Katerstimmung bei beiden: Hamas und Fatah.
— Schlesinger