Wäre Arafats Fatah nicht hochgradig korrupt gewesen und wäre die palästinensische Selbstverwaltung im Gazastreifen effizienter gewesen, hätte Hamas sehr wahrscheinlich nicht den Siegeszug angetreten, der sie schließlich in 2006 an die Macht brachte.
Es waren demokratische Wahlen in 2006. Darauf wird bei uns oft mit großem Tamtam verwiesen, zumindest im linken Spektrum. Wenn es demokratisch war, muss es auch richtig sein. So die Annahme. Was die Gültigkeit dieser Annahme betrifft, lässt sich nur eins mit Sicherheit sagen: Weil Hamas unerbittlich Stellung gegen Israel und die USA bezieht, muss sie aus der Sicht des linken Klientels irgendwie recht haben.
Dass die Palästinenser in Gaza mit ihrer Wahl möglicherweise Geister riefen, die sie nun nicht mehr los werden, will niemand so recht hören. Richtig ist zwar, dass Hamas sich Verdienste geschaffen hat mit der Bereitstellung vieler sozialer Dienste und Einrichtungen, angefangen von Kliniken, über Kindergärten und Schulen bis hin zur Unterstützung Bedürftiger. Das ist nicht wenig. Und doch kann man mit einiger Berechtigung sagen, dass diese Aktivitäten ebensosehr Mittel wie Zweck sind.
Das war in der Strategie des Hamas-Begründers Scheich Yassin von vornherein angelegt: Über die zivile Komponente Fuß in der Bevölkerung fassen, um auf Grundlage dieses Fundaments den eigenen Wirkungskreis auszubauen.
Auf der anderen Seite befand sich eine korrupte Fatah, die im Inneren ineffizient war und gegenüber Israel aus der Sicht Vieler zuviel Entgegenkommen zeigte.
Welche Alternative hätte die Bevölkerung in Gaza gehabt, wenn sie sich nicht an den Strohhalm Hamas geklammert hätte? Es gab weit und breit niemanden, der sich ähnlich umfassend um die Belange der einfachen Bürger gekümmert hätte, ohne jedesmal die Hand aufzuhalten.
Der Preis, den man in Gaza für die Machthaber inzwischen zu zahlen hat, ist hoch. Hamas setzt von Anfang an auf eine umfassende Islamisierung. Das ist nicht mehr und nicht weniger als ein gesellschaftlicher Gegenentwurf zu dem, wie die bislang säkular bis moderat religiös ausgerichteten Palästinenser lebten. Ob das gewollt ist von der Mehrheit, interessiert Hamas ebenso wenig wie sich die Taliban ihrerzeit dafür interessierten, ob die Mehrheit der Afghanen ein radikal-muslimisches Regime wollten oder nicht.
Mit dem unklugen und gescheiterten Versuch der Fatach in 2007, sich in Gaza mit Waffengewalt gegen die Hamas durchsetzen zu wollen – darin unterstützt von den USA und Israel – folgte die Vertreibung der Fatah aus Gaza und mit ihr erstmals die regionale Trennung der palästinensischen Bewegung in Gaza (Hamas) und der Westbank (Fatah).
Seitdem muss sich die Bevölkerung Gazas dem politischen Willen der Hamas fügen. Politischer Widerstand wird ebenso wenig geduldet wie allzu große Freiheiten in der Öffentklichkeit. Wie die Hamas mit Widerstand umgeht, hat sie eindrücklich gezeigt, als es gegen Ende des Bruderkampfes in Gaza zu einer Massendemonstration gegen Hamas kam, an der sich 200.000 Menschen beteiligten. Die Milizionäre der Hamas haben das Feuer eröffnet, um die Menge auseinander zu treiben. Sieben Menschen wurden erschossen, Dutzende verletzt. Seitdem herrscht trügerische Ruhe.
In der Westbank geht die Fatah jüngst verstärkt gegen Anhänger der Hamas vor. In denletzten Wochen und Monaten wurden offenbar mehrere Hundert Personen festgenommen. Dabei soll es auch zu Folter während der Haft gekommen sein.
Ob das Verhalten der Fatah richtig ist, ist schwer zu sagen.
Einserseits kann Hamas nur dann zu einer Gefahr für Ministerpräsident Abbas werden, wenn die Leistungen der Autonomiebehörde so gering sind, dass man nach Alternativen sucht. Abbas sollte daher noch stärker versuchen, die durchaus vorhandenen demokratisch-politischen Strukturen in der Westbank zu stärken. Das tut man nicht dadurch, indem man die seit Monaten fälligen Wahlen nicht stattfinden lässt. Dass es wirtschaftlich durchaus voran geht, zeigen jüngste Berichte aus Nablus.
Anderseits befindet sich Abbas insofern in der Klemme, als er einem starrsinnigen israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu keinerlei Fortschritte in Richtung dauerhafter Friedensregelung abringen kann. Das lässt den Ruf nach wirkungsvolleren Maßnahmen lauter werden. Darin ist die Hamas ganz in ihrem Metier.
Gewinnt die Hamas in der Westbank weiter an Einfluss, käme das den Interessen Netanjahus durchaus gelegen. Einmal mehr könnte er dauaf verweisen, “keinen Ansprechpartner” zu haben, da er direkte Verhandlungen mit der Hamas ausschließt und darin mehr Unterstützung im Westen findet als in seiner unflexiblen Haltung gegenüber der Autonomiebehörde in der Westbank.
Will die Fatah im Geschäft bleiben und irgendwann zu Gesprächen mit Jerusalem kommen – wohl nur mit Hilfe von anhaltendem Druck aus Washington auf Netanjahu – muss sie dafür sorgen, dass Hamas in der Westbank keinen Boden gewinnt. Dass dazu undemokratische Mittel eingesetzt werden müssen, entspricht nicht unseren Vorstellungen.
Doch die Alternative hiesse wohl, die Hamas auch in der Westbank mit an die Macht zu lassen und damit jeglichen Rest an Verhandlungsspielraum mit Israel einzubüssen.
— Schlesinger
Photo: Flickr CC Lizenz
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