“Mit Besuchen von Holocaust-Gedenkstätten habt Ihr nichts zu tun, also lasst gefälligst die Finger davon!”
Nicht genau so, aber ähnlich rabiat hat sich Hamas aktuell gegenüber der Hilfsorganisation UNWRA geäußert.
Die UNWRA ist die UN-Organisation, die sich seit 1948 um die palästinensischen Flüchtlinge in Gaza, der Westbank, Syrien, dem Libanon und Jordanien kümmert.
Spätestens seit dem israelischen Gazakrieg von 2008/2009 (Operation Gegossenes Blei) kennt man vor allem den Namen John Ging, der die UNWRA in Gaza repräsentiert und sich als unermüdlicher Verfechter für die Menschen in Gaza zeigt.
Nun möchte die UNWRA einigen palästinensischen Schülern und Studenten eine Reise in die USA ermöglichen. Unter anderem ist der Besuch des Washingtoner Holocaust-Memorials vorgesehen.
Das gefällt Hamas nicht.
Wissen über den Holocaust ist vor allem unter radikalen islamistischen Gruppierungen verpönt.
In ihrem Kampf gegen Israel – der an erster Stelle ein ideologischer Weltanschauungskampf und erst an zweiter Stelle ein Kampf gegen einen Besatzer ist – ist kein Platz für Empathie für die Geschichte des Gegners. Wer sich einmal mit dem Völkermord der Deutschen an den Juden auseinandergesetzt hat, wird nicht mehr so leicht davon sprechen, die Israelis seien “schlimmer als Hitler” (ein nicht unübliches Urteil unter palästinensischen Arabern).
Selbstverständlich versucht Hamas ihre Ablehnung anders zu begründen:
The memory of the children of Gaza cannot withstand the suffering of all of the persecuted people around the world. The suffering caused by the Jewish occupiers is enough. Besides, the United States has no claim to human rights, as it violates them every day around the world and in its own territory.
Das Bewußtsein über das Leid der Kinder von Gaza darf nicht geschmälert werden angesichts der Leiden aller verfolgter Menschen auf der ganzen Welt. Das Leiden, das durch die israelischen Besatzer verusacht wird, ist genug. Im übrigen haben die Vereinigten Staaten kein Recht, die Menschenrechte für sich zu reklamieren, da sie sie jeden Tag auf der ganzen Welt und in ihrem eigenen Land missachten.
Die UNWRA hat mit Sicherheit kein Interesse daran, die Besatzung von Gaza in irgendeiner Weise zu relativieren. Wie sollte das aussehen? Dass man den Schülern aus Gaza sagt “Seht, Euch geht es gar nicht so schlecht im Vergleich zu den Kindern die nach Auschwitz gebracht wurden.” Das ist eine absurde Vorstellung.
Auch der Hinweis, die USA seien kein Vorbild in Sachen Menschenrechten ist nicht relevant: Die UNWRA als eine Teilorganisation der Vereinten Nationen ist der Einladende für die Schülerreise, nicht Washington.
Im übrigen hat weder die UNWRA noch sonst jemand für diese Reise in Aussicht gestellt, die USA als Vorbild in Sachen Menschenrechte darzustellen.
Das alles sind Scheinargumente seitens Hamas.
Seit längerem hat sich Hamas in die obskure Gesellschaft der Holocaust-Leugner begeben. Daher darf auch den Schulkindern nichts über den Holocaust beigebracht werden:
Wir lehnen es ab, dass unsere Kinder eine Lüge lernen sollen, die von den Zionisten erfunden wurde.
Hierzu hat Hamas unter anderem diese irrationale Begründung gegeben:
Wir lehnen ab, dass unseren Schulkindern solche Gedanken [an den Holocaust, Anm.] und eine solche befremdliche Kultur gelehrt werden, die palästinensischem Gedankengut widersprechen
Sollte Anerkennung historischer Tatsachen in Widerspruch zum “palästinensischen Gedankengut” stehen? Hoffentlich nicht. Denn dafür gibt es einen unschönen Begriff: Ideologie.
Wenn die Hamas die UNWRA nun affordert, sie solle sich nicht um das Leid anderer sondern um die Kinder von Gaza kümmern, kommt das einer Beleidigung gleich. Denn um die Kinder in Gaza kümmert sich die UNWRA mit einem bewundernswert hohen Einsatz. Wird das von Hamas nicht gebührend zur Kenntnis genommen? Doch. Genau darum geht es. Hamas ist stark geworden durch ihre sozialen Dienste und Hilfswerke. Auf genau diesem Gebiet ist die UNWRA aktiv. Daher steht die UNWRA in Konkurrenz zu Hamas.
Vielleicht geht es diejenigen in Hamas, die über die Genehmigung dieser Reise zu befinden haben gar nicht um den Holocaust. Vielleicht sind sie nur begriffsstutzig.
Für die Aus-und Einreise der Schüler benötigt die UNWRA die Bewilligung der israelischen Behörden. Mit einem Besuch einer Holocaust-Gedenkstätte auf dem Programm ist eine Bewilligung leichter zu bekommen.
Unlängst meinte John Ging in einem Interview:
Die Hälfte der Bevölkerung Gazas sind Kinder, deren Erfahrungen geprägt werden von Verzweiflung, Ungerechtigkeit und Eingesperrtsein – das ist extrem destruktiv.
Man braucht keinen Doktor in Psychologie, um zu verstehen, dass Feindseligkeit neue Feindseligkeit hervorbringt.
Mit der geplanten Reise würden ein paar Schüler und Studenten die kostbare Gelegenheit erhalten, für eine kurze Zeit aus dem Hochsicherheitsgefängnis namens Gaza zu gelangen.
Das wäre viel wert. Das sollte der UNWRA hoch angerechnet werden.
Aber das schiere Mißtrauen der Hamas überwiegt: Sie fürchtet nichts mehr als den Verlust ihrer Kontrolle.
Das ist ein wesentliches Merkmal totalitärer Regimes.
Diese totalitäre Härte bekommt auch das Jugend- und Bildungswerk Sharek in Gaza-City zu spüren.
Sharek wurde 1996 von der Swiss Agency for Development Cooperation und dem UN Development Programme gegründet und bietet für rund 65.000 Jugendliche Freizeit- und Bildungsdienste an.
Bei Sharek hält man wenig von der radikalen Hamas-Ideologie. Der Preis dafür: Die Einrichtungen des Zentrums wurden bereits mehrfach durchsucht.
Am 30. November diesen Jahres musste es auf Weisung der Hamas schliessen.
Sharek-Manager Muheib Shaath wurde fünfzehnmal von Hamas-Sicherheitsbehörden vernommen.
Vor zwei Wochen haben Studenten für Sharek demonstriert. Die Demonstration wurde von Hamas auseinander getrieben, 20 Studenten wurden verhaftet.
Im Mai diesen Jahres hat Sharek gemeinsam mit UNWRA ein Sommerbiwak organisiert. Es wurde von einem Hamas-Mob überfallen und beendet.
Es soll niemand glauben, Hamas ginge es alleine um den Kampf gegen Israel. Es geht ihr zunächst um eins:
Uneingeschränkte Herrschaft.
— Schlesinger
Grafik: UNWRA
Photo: Thephotostrand (Wikipedia CC Lizenz)
Photo: Sharek Youth Center
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