Das Massaker von Sabra und Schatila in den gleichnamigen palästinensischen Flüchtlingslagern in Beirut war der grausame Höhepunkt eines grausamen Angriffskriegs, den Israel gegen den Libanon führte, um die PLO zu zerschlagen.
Wie kam es dazu?
1970/71: Die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO wird nach ihrem mißlungenen Versuch das jordanische Königshaus zu stürzen aus Jordanien gejagt.
PLO wird im Libanon zum Staat im Staat
Die PLO setzt sich daraufhin im Libanon fest.
1975 ff.: Während des libanesischen Bürgerkriegs stärkt die PLO ihre Position im Libanon und wird zum Staat im Staat.
Bis 1982: Vom Südlibanon aus startet die PLO immer wieder Übergriffe auf Israel.
Aber: Im letzten halben Jahr vor dem Angriff Israels auf den Libanon herrscht weitgehende Ruhe an Israels Nordgrenze.
4. Juni 1982. London: Die palästinensische Terrorgruppe um Abu Nidal verübt ein Attentat auf den israelischen Botschafter Shlomo Argov.
Israel weiß, dass das Attentat nicht von der PLO verübt wurde, sondern von der Abu-Nidal-Gruppe, die mit der PLO verfeindet ist.
Israel greift vorsätzlich den Falschen an
Das Attentat auf Shlomo Argov ist für Israel der Anlass zwei Tage später, am 06. Juni 1982, in den Libanon einzumarschieren.
23. August 1982. Während des israelischen Einmarsches wird Bashir Gemayel zum Präsidenten des Libanon gewählt.
Israels Ministerpräsident Menachem Begin und dessen Verteidigungsminister Ariel Scharon betrachten Gemayel als Verbündeten.
Israel belügt Präsident Reagan
Die israelische Armee marschiert sofort auf Beirut vor. Israel hatte US Präsident Reagan versichert man würde nur eine kleinere Strafaktion gegen die PLO durchführen.
Israels Armee kreist die PLO unter Jassir Arafat in Westbeirut ein.
Nach langem schweren Beschuss und Luftangriffen ist die PLO nicht mehr verteidigungsfähig.
Unter amerikanischer Vermittlung wird ein vollständiger Abzug der PLO aus Beirut vereinbart und durchgeführt (1. September).
Menachem Begin und Ariel Scharon hintergehen ihr Kabinett
Zwei Wochen später kommt Präsident Gemayel bei einem Bombenattentat ums Leben.
Menachem Begin und sein Verteidigungsminister Ariel Scharon beschliessen ohne Rücksprache mit dem Kabinett die vollständige Besetzung von Westbeirut.
Dazu gehören auch die beiden palästinensischen Flüchtlingslager Sabra und Schatila.
15. September: Um sich für die Ermordung ihres Präsidenten zu rächen dringen Milizen der christlichen Phalangisten nach Abstimmung mit Scharon und dem israelischen Generalstabschef Rafael Eitan in die beiden Flüchtlingslager ein.
Die eingeschlossenen Flüchtlinge waren dem Morden, den grausamen Verstümmelungen und Vergewaltigungen der rund 1500 Milizionäre wehrlos ausgeliefert.
Israel hilft beim Massaker
Die israelische Armee unterstützt die Phalangisten, indem sie das Lager während der ganzen Nacht mit Leuchtraketen erhellt.
Die Angaben zu den Opfern variieren stark. Geht man vom Roten Kreuz aus, belaufen sich die Toten auf 1000-1500.
Vergewaltigungen, Mißhandlungen, Folterungen oder Verstümmelungen werden nie offiziell erfasst.
Orianna Fallaci: Inschallah
Die inzwischen verstorbene italienische Journalistin und Kriegsbericht-Erstatterin Orianna Fallaci schrieb seinerzeit den schockierenden, überwältigenden Roman “Inschallah“. Darin beschreibt sie ihre Erlebnisse aus dem libanesischen Bürgerkrieg und dem Massaker von Sabra und Schatila.
Die Täter in der folgenden Schilderung sind die Christen der Phalangisten-Miliz, die vom israelischen Militär durch Ausleuchtung des Tatorts unterstützt wurden.
Textauszug:
Ein so schnelles und perfektes Manöver, daß nur wenige Zeit gefunden hatten, sich zu verstecken oder die Flucht zu versuchen.
Dann hatten sie, stolz auf ihren Glauben an Jesus Christus und an den Heiligen Maron und an die Jungfrau Maria und unter dem Schutz der Söhne Abrahams, die ihnen den Weg mit Scheinwerfern beleuchteten, die Häuser gestürmt.
Sie begannen die Unglückseligen, die zu dieser Stunde zu abend aßen oder das Fernsehprogramm sahen oder schliefen, umzubringen.
Die ganze Nacht hindurch machten sie weiter. Und den ganzen folgenden Tag. Und die ganze folgende Nacht, bis Freitagmorgen. Sechsunddreißig Stunden an einem Stück. Ohne müde zu werden, ohne zu verschnaufen, ohne daß einer ihnen gesagt hätte: Schluß. Niemand. Weder die Israelis, selbstverständlich, noch die Schiiten, die in den angrenzenden Häusern wohnten und von ihren Fenstern aus dieses Wüten gern mit ansahen.
Und glücklich die Männer, die auf der Stelle unter dem Maschinengewehrfeuer oder durch Bajonettstiche starben; glücklich die Alten, denen in ihren Betten die Kehle durchgeschnitten wurde, um Munition zu sparen.
Die Frauen hatten sie, bevor sie sie erschossen oder abschlachteten, vergewaltigt. Sodomisiert.
Ihre Körper: Stampfbottiche für zehn, zwanzig Vergewaltiger auf einmal. Ihre Säuglinge: Zielscheiben für blanke Klingen oder Feuerwaffen — ein unverwüstlicher Sport, bei dem die Menschen, die sich den Tieren überlegen glauben, schon immer brilliert haben und der seit einigen Jahrhunderten als Bethlehemitischer Kindermord bezeichnet wird.
Einem verwundeten Jungen war es gelungen zu fliehen, obwohl die Straßen aus den Vierteln versperrt waren, und sich in das kleine Krankenhaus durchzuschlagen, das drei schwedische Ärzte auf der anderen Seite von Chatila leiteten. Doch die Soldaten des Herodes erwischten und erledigten ihn, während er auf dem Operationstisch lag. Der Chirurg, der die Kugel entfernte, wurde beiseite gestoßen, Revolverschuß in die Schläfe der palästinensischen Operationsschwester, die versuchte, die Soldaten abzuwehren, und fertig.
Freitag, bei Morgengrauen, als sie es müde waren, ihnen noch weiter nachzustellen und jeden einzeln umzubringen, verminten sie die Häuser, in deren Kellern sich Überlebende versteckt hatten.
Nahezu sämtliche Häuser von Chatila. Dann zogen sie unter frechen Kriegsliedern aus dem Viertel ab und ließen einen Leichenberg wie aus einem Horrorfilm zurück. Zwei bis drei Jahre alte Kinder, die, wie gerupfte Hühner an einem Fleischerhaken, an den Deckenbalken gesprengter Häuser baumelten.
Säuglinge, zerquetscht oder gezweiteilt, Mütter, erstarrt im vergeblichen Bemühen, sie zu beschützen. Halbnackte Leichen von Frauen mit gefesselten Handgelenken und Hinterbacken voller Sperma und Kot.
Berge von Leichen erschossener Männer, von Ratten übersät, die die Nasen, Augen und Ohren auffraßen. Ganze Familien, die über gedeckten Tischen lagen; abgeschlachtete Alte in Betten, die rot waren von geronnenem Blut; und ein unerträglicher Gestank. Der Gestank einer durch die schwere Septemberhitze beschleunigten Verwesung.
Fünfhundert Tote hatte man anfangs behauptet. Doch bald schon waren aus den fünfhundert sechshundert geworden, aus den sechshundert waren siebenhundert geworden, aus den siebenhundert achthundert, neunhundert, tausend.
Zwei Bulldozer waren nötig, um ein Massengrab zu schaufeln, fast einen Tag dauerte es, die Leichen dort hineinzuwerfen. Und in ihrer Panik hatte die Regierung die UN-Friedenstruppen wieder zurückgerufen.
«Hilfe, kommt und bringt uns etwas Frieden, Hilfe.»*
Die UN Truppen kamen wieder und wurden dafür furchtbar bestraft.
Erst Jahre später stellt die israelische Kahane – Untersuchungskommission die indirekte Mittäterschaft des Militärs bis hin zum Verteidigungsminister fest.
Das führt zum Rücktritt von Verteidigungsminister Ariel Scharon.
Bekanntlich verhindert das nicht, dass Ariel Scharon Jahre später Ministerpräsident wird.
George W. Bush nannte Scharon in einer Rede vor der Knesset einen “Mann des Friedens“:
He is a warrior for the ages, a man of peace, a friend.
Bush und Scharon: Freunde des Friedens, ganz unter sich.
— Schlesinger
Dieser Beitrag gehört zur Serie Kriegsverbrechen Israels.
* Zit. aus Fallaci: Inschallah, dtv Taschenbuch, 1994, S. 57/58;