Moshe Dayan wollte den Libanon
Im israelischen Unabhängigkeitskrieg von 1948/49 wurde Israel als der kleine David gesehen, der den arabischen Goliath überraschend leicht geschlagen hatte. Schon kurze Zeit nach dem Krieg fühlte sich die israelische Führung stark genug, über ehrgeizigere Ziele nachzudenken.
General Moshe Dayan (der spätere Verteidigungsminister während des Sechstagekriegs) wollte Mitte der Fünziger Jahre Ägypten angreifen, und meinte 1955 über den Libanon:
Alles was man braucht ist ein [libanesischer] Offizier.
Ein Hauptmann würde genügen, man muss ihn nur für uns gewinnen oder ihn mit Geld kaufen, um ihn dazu zu bringen sich als Retter der maronitisch-christlichen Bevölkerung auszurufen.
Dann marschiert die israelische Armee in den Libanon ein,
besetzt die nötigen Gebiete,
und setzt ein christliches Regime ein,
das sich mit Israel verbündet.Die Gebiete südlich des Litani-Flusses werden von Israel annektiert, und alles übrige wird sich in unserem Sinn ergeben.*
David Ben-Gurion, erster Premierminister Israels, förderte seinen Schützling Dayan nach Kräften. Auch Ben-Gurion war mit der relativ geringen Ausdehnung Israels nicht zufrieden.
Den UN Teilungsbeschluss zu Palästina aus dem Jahr 1947 hatte Ben-Gurion nie akzeptiert: Nur als Basis für ein Israel, das zu seinen wirklichen Grenzen erst noch gelangen müsse. Das hatte Ben-Gurion ausdrücklich gesagt.
Moshe Sharett, der unter Ben-Gurion Außenminister war und die kriegerische Politik Ben-Gurions und Moshe Dayans nicht unterstützte, vertraute seinem Tagebuch in Bezug auf die beiden an:
Ich habe klar gesehen wie diejenigen, die unsere Nation im Unabhängigkeitskrieg so heldenmütig und couragiert gerettet haben, in der Lage sind eine Katastrophe herbeizuführen, wenn sie in diesen normalen Zeiten eine Chance dazu bekommen.
Moshe Sharett konnte sich nicht gegen die Falken durchsetzen. Der Libanon wurde noch nicht angegriffen, aber es kam 1956 zum Suez-Krieg. Moshe Sharett trat zurück.
Der Libanon war damit nicht aus der Agenda verschwunden.
Ariel Scharon wollte den Libanon auch
Ariel Scharon, ein anderer israelischer Kriegsheld, versuchte 1982 als Verteidigungsminister die Vision Moshe Dayans umzusetzen.
Scharon und dessen Premierminister Menachem Begin ging es nicht nur um die Vernichtung der PLO im Libanon. Das war nur das offizielle Ziel.
Scharon ging es vielmehr um die Idee eines Groß-Israel: Das hätte einen unterwürfigen libanesischen Marionettenstaat im Norden Israels beinhaltet, die Annexion des besetzten Westjordanlands und ein Jordanien, das zum Palästinenserstaat umgekrempelt werden sollte.
Sie alle kamen zu ihren Kriegen:
Ben-Gurion als Gründervater Israels, der lange nicht mit Ausdehnung Israels zufrieden war und mit Unterstützung Dayans den Suez-Krieg einfädelte; Moshe Dayan, bis heute der große “Kriegsheld” Israels, der den Angriffskrieg von 1967 unbedingt wollte, und Ariel Scharon, der von einem Groß-Israel träumte und Israel in das Trauma des Libanonkriegs stürzte.
Die Bürger Israels zahlen bis heute einen hohen Preis für die Visionen seiner Generäle, die mit Verteidigung wenig zu tun haben.
Dank einer äußerst wirksamen Politik der Angst, die bis zum heutigen Tag gerade auch von Netanjahu betrieben wird, wird aber das Gegenteil angenommen:
“Zum Glück haben wir unsere Generäle!”
Wäre es nicht so tragisch möchte man fast sagen: Das ist beinahe wilheminisch-deutsch.
— Schlesinger
* Quelle / Source: The Iron Wall, Avi Shlaim, London 2000, p. 133 f.
Historian Avi Shlaim writes about this meeting of 1955-05-16 (attendants Ben-Gurion, Moshe Dayan et.al.) :
“As to the means by which the internal change in Lebanon could be brought about, it was Dayan who had a specific and characteristically cynical proposal to put forward:
All that is required is to find an officer, even a captain would do, to win his heart or buy him with money to get him to agree to declare himself the savior of the Maronite population.
The the Israeli army will enter Lebanon, occupy the neccessary territory, and create a Christian regime that will ally itself with Israel.
The territory from the Litani southward will be totally annexed to Israel, and everything will fall into place.
The only difference between Dayan and Ben-Gurion was that the former wanted to act immediately, whereas the latter was prepared to wait for the pretext of an Iraqi invasion of Syria.[…] Sharett reflected on the shocking lack of seriousness displayed by the military toward the neighboring countries […]”.
Annotation Schlesinger: Sharett refused this plan. Later, with Arik Sharon as minister of defense, Israel would find its way to massively attack Lebanon in 1982 and to try to establish the long envisaged puppet regime (Bashir Gemayel). Things would develop different, and Israel (and Lebanon) would pay a horrible price.
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** Übers. aus: The Iron Wall, s.o., S. 134
Photo Ben Gurion / Truman (Public Domain)
Zeichnung Moshe Dayan: Schlesinger / CafeTelAviv (c)
Photo: US Gov (CC Lizenz)
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