Bashar Assad ist ein Schlächter.
Wer will daran zweifeln? Sein Vater ließ seinerzeit die aufständische Stadt Hama zusammen kartätschen, auf dass jeder im syrischen Reich verstehe, wie es Rebellen ergeht. Tom Friedman nannte das die “Regeln von Hama“:
In February 1982 the secular Syrian government of President Hafez al-Assad faced a mortal threat from Islamic extremists, who sought to topple the Assad regime.
How did it respond? President Assad identified the rebellion as emanating from Syria’s fourth-largest city — Hama — and he literally leveled it, pounding the fundamentalist neighborhoods with artillery for days.
Once the guns fell silent, he plowed up the rubble and bulldozed it flat, into vast parking lots.
Amnesty International estimated that 10,000 to 25,000 Syrians, mostly civilians, were killed in the merciless crackdown.
Sein Sohn Bashar war von klein auf fest eingebunden in das diktatorische Baath-Regime, stets umgeben von der alawitischen Führungsclique. Zwar wurde Assad jun. nachgesagt, er sei ein anderes Naturell – er praktizierte als Augenarzt in London, ist gebildet und sprachgewandt – doch dürfte das alles nachrangig sein angesichts des eisernen Korsetts bestehend aus Militär, Geheimdiensten und politischer Kaste, in das er eingezwängt ist.
Seit langen Monaten versucht Assad den ins Land geschwappten arabischen Frühling mit aller Gewalt zu unterdrücken.
Für all die Toten, Gefolterten, Gejagten und Unterdrückten gibt es keine Entschuldigung.
Assad ist ein Diktator mit allen Attributen.
Angesichts dieser Blutströme im syrischen Nachbarland fragt Carlo Strenger von der liberalen – und mit Kritik an israelischer Sicherheitspolitik nicht sparsamen – Tageszeitung Haaretz, ob die linken oder westlichen Kritiker Israels nicht mit zweierlei Maß messen würden.
Er selbst sei “abgestoßen” von der Besatzungspolitik seiner Regierung. Aber was bleibt als abwertende Bezeichnung für Syriens Assad, wo dessen Handlungen ungleich brutaler sind als die Repressalien von israelischen Soldaten gegenüber Palästinensern in der Westbank?
Zurecht würden sich viele Israelis fragen: Wenn Assad schon gegen sein eigenes Volk so brutal vorgeht, was würde er im Fall eines militärischen Sieges über Israel mit den Juden machen?
In dieser Fragestellung liegt eine grobe Fehlannahme. Für Diktatoren wie Assad und Konsorten gibt es so etwas wie “eigene Leute” nicht.
Das zeichnet Tyrannen von Stalin über Hitler über Pol Pot über Pinochet über Kim Yong-Il bis zu Ahmadinejad und Assad aus: Sie kennen ausschließlich ihre Macht. Dazu gruppieren sie eine Helfersclique um sich, die sie wie ein panzer gegen alles übrige schützt.
Wer auch immer diese Macht infrage stellt wird unbarmherzig bekämpft. Gleich, ob es sich um “eigene Leute” oder Fremde handelt. Hitler steckte mit Beginn der Machtübernahme alle Kommunisten und nicht wenige Sozialisten sofort in die Konzentrationslager. Als der Krieg verloren ging gab er das Motto “verbrannte Erde” für Feind und Freund heraus: Die Deutschen seien unfähig sich als Herrenrasse zu behaupten, also sollten sie ganz unter gehen. Stalin schickte Millionen “seiner Leute” in die GULAGs. Pol Pot ließ ein Drittel der eigenen Bevölkerung in den Killing Fields erdrosseln, verhungern oder sonst zu Tode kommen.
Assad sen. ließ wie geschildert “seine” Stadt Hama in Schutt und Asche legen, während seine Armee während der achtziger Jahre als Besatzungsmacht im Libanon stand und sich nicht an der Bevölkerung vergriff (im Gegensatz zum israelischen Einmarsch 1982 oder dem Libanon-Krieg von 2006, der die Zivilbevölkerung durchaus gezielt schädigte). Assad sen. wollte aller Wahrscheinlichkeit nach nur eins: Das alte Groß-Syrien wiederherstellen.
Der von Carlo Strenger vorgelegte Hinweis auf die besondere Verwerflichkeit, gegen die “eigenen” vorzugehen enthält eine weitere Schwäche: Gerade wenn ein Herrscher zur Auffassung kommt, die eigenen Leute würden ihn hintergehen, fällt der Antrieb zu schwerer Rache besonders groß aus. Von den “nicht-eigenen” nimmt ein Tyrann am ehesten an, dass sie gegen ihn eingestellt sind. Erstere müssen daher bestraft werden, letztere genügt es zu töten.
Trotz all dem lässt sich natürlich nie eine Prognose erstellen, welcher Tyrann sich in welcher Lage welchen Gruppen gegenüber wie verhält. Stalin ließ auch in Polen massiv gegen die Bevölkerung vorgehen, und Rußlands Aktionen in Tschetschenien treffen keinesfalls nur die Aufständischen.
Aus moralischer Perspektive kaum weniger befriedigend wird die Sache, sobald man einen Blick darauf wirft wie “demokratische” Regierungen sich im Kampf gegen ihre Feinde verhalten.
Großbritanniens Winston Churchill und sein Luftwaffengeneral Harris waren ohne Zögern große Befürworter des flächendeckenden Bombenkriegs gegen deutsche Städte. Amerikas Harry Truman hatte keine Bedenken die Atombombe – statt sie den Japanern zu demonstrieren – gleich auf zwei Millionenstädte werfen zu lassen.
Im Krieg – das beschrieb der Dramtiker Rolf Hochhuth trefflich – gleichen die Kontrahenten ihre Methoden einander an.
Hier sind wir nun bei Israel, das man aus der Sicht von Carlo Strenger zurückhaltender beurteilen soll, nachdem man einen Blick auf die Aktionen des Bashar Assad geworfen hat.
Sollte man das? Eigentlich nur, wenn man dem Gefühl folgt. Das mag einem sagen, dass ein Netanjahu nicht dasselbe sein könne wie ein Assad. Also könne Israel unmöglich so schlecht beurteilt werden wie Syrien.
Wirft man einen Blick auf die konkreten Aktionen, schwindet der Unterschied dahin. Man muss nur zurück denken an die mit äußerster Brutalität durchgeführte Bombardierung von Gaza in der Jahreswende 2008/09 (Operation “Gegossenes Blei”). Richtig: Es war ein Vergeltungsakt gegen den Raketenbeschuss von Hamas und Islamischem Jihad. Doch getroffen wurde vor allem die Zivilbevölkerung, und man hat so viel öffentliche Infrastruktur wie möglich mit zerstört. Jener Krieg wurde nicht gegen Hamas geführt, sondern gegen die Palästinenser.
Ähnlich der 36-Tage-Krieg von 2006, als Israel nach der Entführung von zwei ihrer Soldaten an der Grenze zu Libanon den halben Libanon zerschlug (“Wir werden ihre Uhren um 20 Jahre zurückdrehen”).
Offiziell galt der Krieg der Hisbollah, war de facto aber eine blindwütige Bombardierung des Libanon.
In der Westbank schließlich wird die palästinensische Bevölkerung seit Jahrzehnten drangsaliert.
Den militanten Siedlern ist längst freie Hand gegeben, die Palästinenser nach Belieben zu schikanieren.
Dazu werden Olivenhaine verbrannt, Wasserquellen enteignet oder zerstört, Moscheen verbrannt und dergleichen mehr.
Soll der Umstand, dass Israel nicht auf die “eigenen” schiesst, diese Vorgänge in ein mildes Licht rücken?
— Schlesinger