Für Peter Münch von der Süddeutschen Zeitung ist angesichts der neuen Welle der Gewalt zwischen Israel und dem Gazastreifen noch immer alles klar. Leider ist seiner jüngsten Darstellung nach
die Regierung in Jerusalem [ ] in die Defensive geraten, als bei der Jagd auf palästinensische Terroristen versehentlich auch mehrere ägyptische Grenzpolizisten erschossen worden waren
aber immerhin sollen in Gaza
mindestens 14 Menschen getötet und einige Tunnel, Trainingseinrichtungen und Waffenfabriken der militanten Organisationen zerstört
worden sein.*
Peter Münch hat weder in diesem Beitrag, noch in seinen letzten Beiträgen die in diesem Fall angemessene Frage aufgeworfen, ob die Vergeltungsmaßnahmen die Richtigen getroffen haben.
Vergangene Woche wurden an drei Orten im Süden Israels brutale Anschläge auf Zivilisten durchgeführt, bei denen mehrere Menschen ums Leben kamen und viele verletzt wurden:
Sisters Flora Gez and Shula Kralinsky and their husbands Moshe Gez and Dov Kralinsky, four of the victims of last Thursday’s terror attack near Eilat, were laid to rest in Kfar Saba on Sunday.
The four were killed when terrorists opened fire at their car as they were traveling along Route 12 in southern Israel.
Dass die Anschläge von palästinensischen Attentätern durchgeführt wurden, wird seitens Israels zwar mit Nachdruck behauptet, wurde aber bisher nicht belegt. Dennoch kam es sofort zu massiven israelischen Luftschlägen gegen den Gazastreifen, worauf wiederum massiver Raketenbeschuss von militanten palästinensischen Gruppierungen erfolgte. Dabei kamen erneut Menschen ums Leben.
Hier bleiben viele Fragen offen.
Zunächst hat es sich bei den sechs getöteten Ägyptern um Angehörige eines regulären Grenzpostens gehandelt, der von Armee und Grenzpolizei besetzt war.
Im Gegensatz zum üblichen Verfahren hat Israel keine namentliche Liste oder Photos der getöteten Attentäter vorgelegt und sich gegenüber der Presse geweigert, das zu tun.
Die Armeesprecherin Oberstleutnant Avital Leibowitz widersprach in ersten Anfragen den Behauptungen von Premierminister Netanjahu, bei den Attentätern handele es sich um Angehörige des palästinensischen Popular Resistance Committee (PRC) , behauptete aber die Attentäter seien aus dem Gazastreifen gekommen. Begründung: Sie hätten Kalashnikow-Sturmgewehre benutzt (die weltweit am meisten verbreitete Waffe, Anm.).
Üblicherweise brüsten sich Extremistengruppen nach einem durchgeführten Anschlag mit ihrer Tat. Die PRC hat aber jede Beteiligung abgestritten, ebenso die Hamas. Ahmad Yousef, einer der führenden Köpf von Hamas, hat die immer wieder menschenverachtende Gesinnung von Hamas offengelegt, indem er die Anschläge gepriesen hat.
Wenn es im Zuge von Anschlägen Tote auf palästinensischer Seite gibt, werden normalerweise öffentlich zelebrierte Trauer- und Heldenfeiern im Gedenken an die Märtyrer durchgeführt. In Gaza hat es keine solche Veranstaltung gegeben.
Die große Menschenrechtsorganisation B’Tselem hat in Gaza – wo sie gute Quellen hat – versucht etwas über mögliche Attentäter in Erfahrung zu bringen. Ohne Erfolg.
Richtig ist, dass der Sinai in den letzten Jahren immer mehr zu einem Nährboden für Extremisten und Waffenschmuggler geworden ist, auch unter Mubaraks Zeiten. Daher wäre es für ägyptische Terroristen wesentlich einfacher einen Anschlag Nähe Eilat zu verüben, als dies für Personen aus Gaza der Fall ist.
Zutreffend ist, dass in Reaktion auf den sofortigen israelischen Luftschlag palästinensische Gruppierungen einschließlich der PRC und Hamas als Vergeltung begonnen haben, mit Katjuscha- und Grad-Raketen auf Israel zu feuern, wobei in Ashdod und Beer Sheva ein Mensch ums Leben kam und mehrere verletzt wurden. Die israelische Luftwaffe hat daraufhin ihre Einsätze verstärkt.
Es spricht einiges dafür, dass man auf israelischer Seite zwar nach wie vor nicht weiß, wer hinter den Anschlägen steckt, aber man durch eine wie üblich harte militärische Reaktion seiner Öffentlichkeit zeigen wollte, dass man Herr der Lage ist.
Währenddessen hat die israelische Armee eine groß angelegte Razzia in Hebron durchgeführt (Westbank), um Dutzende von Hamas-Aktivisten festzunehmen.
Die Angehörigen der Opfer der Anschläge im Süden Israels und die Bevölkerung Israels haben angesichts der brutalen Terror-Akte von Eilat jedes Recht, dass die Urheber zur Rechenschaft gezogen werden. Sollten aus einem Reflex heraus irgendwelche – gewissermaßen “übliche” – Verdächtige getroffen und Unschuldige getötet worden sein, wäre niemandem gedient. Man hätte nur Öl ins Feuer gegossen.
Bei diesen großen kriegerischen Vorgängen kann man auch leicht übersehen, wie einmal mehr jüdische Siedler zur selben Zeit 80 von palästinensischen Bauern neugepflanzte Olivenbäume in der Nähe von Nablus ausgerissen haben und damit die ansässige Bevölkerung um ihre Lebensgrundlage bringen.
In der Nähe von Jenin haben Siedler erneut große landwirtschaftliche Flächen niedergebrannt.
— Schlesinger
PS.: Schockierende Bilder zu den Resultaten der jüngsten israelischen Angriffe, bei den u.a. Kleinkinder zerfetzt und bis zur Unkenntlichkeit verbrannt sind finden Sie hier. Sollte es so sein, dass Israel in einem Akt der Staatsräson – also seinen Luftangriffen – so etwas billigend in Kauf nimmt? Worin liegt dann der Unterschied zwischen Israel und den Terroristen von Eilat, die unterschiedslos töten? Es sind schon viel zu viele Unschuldige im Rahmen von “chirurgischen Luftangriffen” ums Leben gekommen oder verstümmelt worden, als dass man den im nachinein regelmäßig erfolgenden Mitleidsbekundungen Glauben schenken könnte.
Photo: Israel Defense Ministry, übernommen von IsraelNationalNews
* SZ v. 23.08.11, S. 7 “Die Waffen sollen schweigen”
Leseempfehlungen: Tikun Olam, 972mag, Idan Landau, HuffingtonPost, Schmok
Wenn es um das Thema Israel & Nahostkonflikt geht, ist der österreichische Standard vielleicht weniger geschliffen als die Süddeutsche, aber deutlich ausgeglichener und ohne Scheu Fragen zu stellen: Ab jetzt wird alles schlimmer