Kratzen, beißen und spucken: Israel, mon amour

Großes Schauspiel zeigt das Theater Augsburg derzeit auf seiner Brechtbühne.

Schauspieldirektor Markus Trabusch zeigt das Monolog-Stück In Spuckweite von Taher Najib und Ulysses auf dem Flaschenfloß von Gilad Evron als Doppelaufführung an einem Abend.

TEIL I

Verachtung, Entfremdung und Entmenschlichung

Das sind die Themen von In Spuckweite.

Dabei könnte alles ganz anders sein, es könnte paradiesisch zugehen. Zu Beginn des Stücks regnet es Schaumstoff-Orangen auf die Bühne. Alles könnte süß und verführerisch sein. Wie die köstlichen Jaffa-Orangen.

Aber mit der Verführung fängt das Ungemach an, legt uns der Protagonist mit Jammern, Klagen und Fluchen dar und kickt die Orangen von sich weg. Was hat es nur mit diesem Land auf sich, dass es immerzu Eroberer und Unterdrücker anlockt? Was macht die Araber dieser Region so verführerisch, dass sich alle als ihre Herren aufspielen wollen?

Ramallah / Westbank. 2002. Inmitten der gewalttätigen Zweiten Intifada.

Ein Palästinenser – beeindruckend gespielt von Marcus Calvin – mit israelischem Pass schildert die Atmosphäre vor Ort. Auf einer belebten Straße in Ramallah treffen sich allabendlich Tausende, um auszuspucken. Jeder hat seine eigene Art zu spucken, wird einem ausführlich dargelegt. Während die Palästinenser spucken, spuck-schiessen die Israelis.

Natürlich ist die Straßenszene nicht der Wirklichkeit entnommen. Das Spucken ist die ästhetische Übersetzung des Autors für die Art, wie sich Palästinenser gegen ihre Besatzer wehren. Sie können sich nur auf eine irgendwie erbärmliche Art widersetzen. Eben nicht mit einer glänzenden Armee und High-Tech-Jagdbombern, die mit ihren lasergesteuerten Bombenabwürfen diese schillernden und beeindruckenden Fernsehbilder liefern. Nein, was sie machen ist von der Art böser Kinder, die beissen, kratzen und eben spucken. Ein durchaus gelungenes Stilmittel.

Demgegenüber haben die Besatzer mehr im Repertoire. Sie schiessen auch. Und sie scheissen. Zum Beispiel in die Theatersitze des Theaters in Ramallah. Oder sie strahlen  Pornofilme über den besetzten arabischen Sender Al Watan aus.

Aber das alles soll die Vorfreude auf Paris nicht trüben. Dort wartet die Freundin, die Seine, der Kaffee und unbeschwertes Fahrradfahren durch die Quartiers, kurz: das schöne Leben.

Von der Bühnendecke herabgelassen hängen drei große Platten und bilden einen zweiten Bühnenboden. Solange die Szene in Ramallah spielte, waren die an Drahtseilen hängenden Böden ungleichmässig in Bewegung und vermittelten damit eine Haltlosigkeit, eine beständige Gefahr den Boden unter den Füßen zu verlieren.

In Paris hingegen saß man an der Seine, schaute auf die Touristenboote und winkte ihnen zu. Der hängende Boden war dabei in gleichmäßig schaukelnder Bewegung und vermitteltete damit das beruhigende Gefühl eines spätsommerlichen Bootsausflugs.

Aber den elegant französisch parlierenden Palästinenser hält es dort nicht. In der Heimat wartet das Chaos, der Irrsinn, die Unvernunft, und er darf das alles nicht zu lange hinter sich lassen, weil er es sonst nicht mehr versteht, kein Teil mehr davon ist. Also muss er zurück.

Und steht am Flughafen Charles de Gaulle am Schalter vor dieser reizenden jungen Angestellten, die seinen Pass mustert, dann ihn, dann das Ticket und irgendwann feststellt, dass der hebräische Pass und der arabische Name auf dem Ticket wohl nicht passen würden und er auf der Stelle beweisen solle, das er er ist.

Die Präzision, mit der dabei die Psychologie derer entblößt wird, die Menschen nicht ohne Schablone sehen können, und in diesem Fall so weit gehen den Passagier zu erniedrigen auf die unausgesprochene Frage Soll das da fliegen dürfen? , brachte die vielleicht stärksten Momente des Stückes mit sich.

Schließlich landet der Mann in Tel Aviv, nicht ohne die übliche Prozedur der security checks durchlaufen zu müssen, die in seinem Fall selbstredend länger dauern als bei anderen Fluggästen.

Von seinem Freund abgeholt gehen sie in eine Bar. Die auf arabisch an den Freund gerichtete Frage, ob er ein Bier wolle, löst eine Art Massenflucht aus. Alle wollen zahlen, schnell, schnell, nur weg von hier, weg von diesem Araber, der sich vielleicht in die Luft sprengen will.

Man will eigentlich nur ich sein, aber die anderen lassen einen nicht. Man ist nur man, jemand anderes, eine Rolle, Statist in einem großen Spiel, das man nicht ganz versteht. Und es bereitet einem Übelkeit, und man möchte ausspucken.

Ganz ohne Katharsis, unerlöst und mit einer ersten leisen Ahnung, welche Verwerfungen das Leben unter Besatzung mit sich bringen kann, geht der Zuschauer aus diesem Teil des Abends.

— Schlesinger

Teil II finden Sie hier.

Aufführungen (mind.) bis 24. November

Übrigens: Von München HBF bis zum Theater Augsburg benötigen Sie mit dem ICE und einem kurzen Spaziergang 40 Minuten.

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