Etwas tendenziös titelt die israelische linksliberale Tageszeitung Haaretz über eine Umfrage in Gaza und der Westbank:
Hamas more popular after Gaza offensive
Einer aktuellen Umfrage des “Palestinian Center for Policy and Survey Research” zufolge hat die Hamas durch den Gazakrieg an Unterstützung gewonnen. Zur Erinnerung: Im Verlauf des israelischen Einmarsches wurden 1300 Palästinenser getötet. Auf israelischer Seite kamen 13 Menschen ums Leben. Rund 5000 arabische Wohnungen wurden ebenso wie ein erheblicher Teil der Infrastruktur des Gazastreifens zerstört.
Würden heute Präsidentschaftswahlen stattfinden und Machmoud Abbas gegen Ismael Hanija antreten, so die Umfrage, würde Hamas-Chef Hanija mit 47 Prozent gegen 45 Prozent vor dem Führer der Fatah liegen. Noch vor drei Monaten, also vor dem Krieg, hätte Abbas deutlich mit 48 gegen 38 Prozent gewonnen.
Interessanterweise ergibt sich aber ein völlig anderes Bild, würde Hanija gegen den lebenslänglich inhaftierten Palästinenserführer Marwan Barghouti von der Gruppierung al-Mustaqbal antreten.* Dann würde Barghouti erstaunliche 61 Prozent gegenüber 34 Prozent für Hanija erhalten.
Allerdings konnte sich die Hamas als Gruppierung um glatte fünf Prozentpunkte von 28 auf 33 % verbessern. Demgegenüber sank die Zustimmung zur Fatah von 42 auf 40 Prozent.
Rund zwei Drittel gaben an, dass die israelische Blockade von Gaza fortbestehen würde, sollte die Hamas nach den nächsten Wahlen wieder die Regierung stellen.
Insofern ergibt sich ein zwiespältiges Bild.
Je nach personeller Konstellation steht oder fällt die Perspektive für die Hamas. Obwohl sie in der Gunst der Palästinenser gewonnen hat, scheinen sich viele vor den Konsequenzen ihrer Regierungsausübung zu fürchten. Und Barghouti, dessen Begnadigung immer wieder zur Debatte steht, muss weiterhin als nicht zu unterschätzende Größe im innerpalästinensischen Machtgefüge angesehen werden.
CLOSED ZONE
Die israelische Menschenrechtsgruppe Gisha hat in Zusammenarbeit mit dem künstlerischen Leiter des oscar-nominierten Animationsfilms Waltz with Bashir, Yoni Goodman, einen kurzen Anima produziert.
Darin wird das Schicksal der in Gaza wohnenden Bevölkerung anhand eines kleinen Jungen dargestellt, der versucht, seine Freiheit zu gewinnen…
Sie können sich den gut gemachten Film auf www.closedzone.com ansehen. Besuchen Sie auch die Seite von Gisha und unterstützen Sie diese äußerst engagierte Bewegung mit Spenden, Berichten oder Links.
— Schlesinger
* Marwan Barghouti
machte sich bereits während der Ersten Intifada (1987 ff.) einen Namen und wurde zu einem der bekanntesten Gesichter im Zuge des Zweiten Palästinenseraufstandes (2000). Die Zweite Intifada wurde durch die unerwünschte und unter massivem Polizeiaufgebot erfolgte Visite von Ariel Scharon auf dem arabischen Teil des Tempelbergs ausgelöst.
(Photo: freebarghouti.org)
(Bild: courtesy Itamar Shachar / Gisha.org)
Barghouti leitete Protestmärsche und Aktionen, stand aber auch unter der Anschuldigung, für Tötungen von Israelis verantwortlich zu sein.
Er wurde ins palästinensische Parlament gewählt und war Generalsekretär der Fatah. Barghouti geriet mit dem damaligen Führer der Fatah, Yassir Arafat, immer öfter in Konflikt, weil er dessen Führung der Korruption bezichtigte.
Am 15. April 2002 wurde er von Einheiten der israelischen Armee verhaftet, in Tel Aviv vor Gericht gestellt und wegen Mordes und versuchten Mordes zu 5 mal lebenslänglich verurteilt.
Im Dezember 2005 – während seiner Haft – begründete er die Gruppierung Al-Mustaqbal (“Zukunft”). Die Korruption blieb auch unter dem Arafat-Nachfolger Mahmoud Abbas ein Problem, so dass sich Barghouti vor den Wahlen im Januar 2006 aus dem Gefängnis heraus bei seinen Landsleuten für diese Fehler entschuldigte und sie um weiteres Vertrauen bat, um eine starke Alternative zur Hamas bilden zu können.
Obwohl sich Barghouti seinerzeit als Konkurrent zur Hamas sah, setzt sich die Hamas für die Freilassung Barghoutis ein. Das versucht sie u.a. durch einen Gefangenenaustausch gegen den seit Juni 2006 entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit.
Shimon Peres hatte vor den israelischen Präsidentschaftswahlen angekündet, Barghouti begnadigen zu wollen, wenn er Präsident würde. Dem ist er nicht nachgekommen.
Der israelische Friedensaktivist und früheres Mitglied der Knesset, Uri Avnery, traut Barghouti gar zu, das gespaltene Palästinenserlager wieder einen zu können. Lesen Sie den Beitrag Avnerys auf dem Freitag.