Kaum wurde über die zehn toten französischen Soldaten berichtet, die beim jüngsten Taliban-Hinterhalt in Afghanistan ums Leben kamen, war der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy auch schon vor Ort, um seinen Soldaten Mut zuzusprechen:
“Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen, dass Ihre Arbeit hier unerlässlich ist.
Damit meine ich nicht nur euch französische Soldaten, sondern die Soldaten aus allen Teilen Europas.
Denn, warum ist ganz Europa hier, warum haben sich die großen demokratischen Staaten mit uns verbündet? Ganz einfach, weil es hier um die Freiheit in der Welt geht, weil hier der Kampf gegen den Terrorismus geführt wird – gegen Menschen, für die das Leben und die Menschenwürde keinen Wert haben.
Wir kämpfen nicht gegen die Afghanen, sondern an ihrer Seite; um ihnen zu helfen und sie angesichts der Barbarei nicht allein zu lassen.”
Mit diesen auf die Lage in Afghanistan bezogenen Worten, auch wenn sie akustisch den Bush-Phrasen zum Irakkrieg ähneln, hat Sarkozy schlicht recht.
Im übrigen gehört der Truppenbesuch Sarkozys zur französischen Tradition der Grande Nation, wie sie Deutschland schon lange nicht mehr kennt.
Berlin und die Bundeswehr:
Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass
Die deutsche Regierung tut sich längst schwer, zu ihrer Armee zu stehen. Die Welt scheint ihr ein friedvoller Platz geworden zu sein.
Die Berliner Haltung zum Bundeswehreinsatz am Hindukusch hat etwas vom “Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!”.
Seit der Petersberg-Konferenz ist die deutsche Unterstützung für Afghanistan – auch militärisch – ausgemachte Sache, aber doch eine Mission, über die man zumindest hinsichtlich der Bundeswehr am liebsten stillschweigen möchte.
Viele haben dabei längst vergessen oder verdrängt, um was es eigentlich geht in Afghanistan. Bevor man weiter lamentiert über den stets schlechten Krieg, sollte man sich noch einmal die Vorgeschichte vor Augen führen. Sie unterscheidet sich scharf vom erlogenen Hintergrund, der zum tatsächlich falschen und schlechten Irakkrieg führte.
Über Jahre hatten die USA (vor 9/11) auf vielen Wegen versucht, die Taliban dazu zu bewegen Osama Bin Laden wegen dessen terroristischen Akten an ein anderes Land auszuliefern:
“From the spring of 1997 to September 2001, the US government tried to persuade the Taliban to expel [ausliefern] Bin Laden to a country where he could face justice.
The efforts employed inducements, warnings and sanctions. All these efforts failed.”
Das ist nicht gelungen. Die Taliban haben die aktive terroristische Politik Bin Ladens unterstützt, die schließlich in 9/11 mündete. Dafür hatten sie ihren Preis zu bezahlen, und zurecht.
Die Taliban, die damals wie heute ohne jegliches Verleugnen Unterstützer und Waffenbrüder der Al-Quaida waren und sind, wissen präzise um die westlichen Unsicherheiten. Sie selbst selbst kennen keine Verluste – weder beim Freund noch beim Feind. Ihr Nachwuchs an opferwilligen Kriegern scheint unerschöpflich. Aufgrund des rücksichtslosen Umgangs mit Menschenleben können sie fortfahren, Druck auf die “Besatzungsmächte” auszuüben und auf die in dieser Hinsicht empfindlich reagierenden Bevölkerungen der Westmächte zu bauen: Jeder tote Europäer oder Amerikaner wird zuhause tendentiell als unnützes Opfer wahrgenommen. Zu unrecht.
Spricht hier ein Zyniker, der sich kalt über tote Soldaten hinwegsetzt? Keinesfalls.
Falsche Prägung durch Scholl-Latour
Ich meine lediglich, dass wir in der Beurteilung der Lage durch die – zumindest in der Öffentlichkeit – viel beachteten Analysen von Peter Scholl-Latour abgelenkt wurden.
Gewiß, kaum einer kennt sich vor Ort so gut aus wie der deutsche Altmeister der Kriegsberichterstattung. Seine Bücher, angefangen vom Tod im Reisfeld bis hin zur Weltmacht im Treibsand sind nicht nur äußerst flüssig geschrieben, sondern bieten eine Fülle von Informationen, über die auch der fleissige Zeitungsleser eher selten verfügt.
Und dennoch. Während Scholl-Latour richtig liegt in seiner äußerst skeptischen Beurteilung des Irakkriegs, meine ich ihn und mit ihm eine Vielzahl der Deutschen falsch liegen zu sehen im Falle des Afghanistan-Kriegs.
In Afghanistan kämpfen die Westmächte nicht hauptsächlich deshalb, um das Land vor einem erwiesenermaßen grausamen und steinzeitlichen Taliban-Regime zu bewahren. Dieser Aspekt kommt nur hinzu. Wäre dies der einzige oder wichtigste Grund, hätte der Westen viel zu tun (was leider über die längste Zeit die Weltanschauung des George W. Bush war und noch heute die des John McCain ist).
Die Westmächte kämpfen dort, weil die inzwischen wieder bis vor die Tore Kabuls gedrungenen Taliban für uns im Westen eine unmittelbare Bedrohung darstellen. Die Taliban würden nicht nur das Karsai-Regime hinwegfegen (was kein allzu großer Verlust wäre), sondern sich mit allergrößter Sicherheit wie schon vor 2001 als Hort des militanten Islamismus und Hafen der Al Quaida etablieren.
Welche Aktionen würden von einem Staat aus initiiert, der als Ganzes Unterschlupf bietet für radikale Gruppierungen? Gruppierungen, die in keiner Weise Aussicht auf Kompromisse bieten?
Darin liegt der wesentliche Unterscheid: Ein “Schurkenregime” Mugabe hat den Vorzug, dass es nur Schurkenstaat im Innern ist. Das gilt für die meisten der anderen heutigen diktatorischen Regimes. Schlimmstenfalls kommt es zu Konflikten oder Kriegen mit einem Nachbarn.
Der Interessenverbund Taliban / Al-Quaida hingegen zielt kraft Überzeugung gegen die westliche Lebenswelt an sich und schlägt zu, wo immer es ihm opportun erscheint.
Ein Afghanistan unter den Taliban wäre die Basisstation für den weltweit operierenden Al Quaida Terror. Daran kann niemand im Westen interessiert sein.
Vorsichtshalber sei gesagt, dass dies alles mit der Frage “Haltung des Westens gegenüber dem Islam” rein gar nichts zu tun hat. Darin liegt die taktische Raffinesse Bin Ladens. Er möchte seinen Kampf zum Symbol der Reibflächen zwischen Islam und Christentum stilisieren. Das ist ihm hüben und drüben zum Teil gelungen.
Niemand auf Seiten der Afghanistan-Kriegsgegner gibt bislang eine befriedigende Antwort auf die Frage, was nach einem Rückzug des Westens aus Afghanistan eigentlich kommen soll.
Weil es darauf keine für uns befriedigende Antwort gibt. Wir werden, sollten wir uns zurückziehen, jedenfalls nicht überrascht werden von der Milde, Güte und Einsicht dieser besonderen Spezies von Gotteskriegern. Die heutigen Taliban haben längst nichts mehr gemein mit den Freiheitskämpfern von 1979.
— Schlesinger