Der Oberbürgermeister von Kabul, wie man den schwachen afghanischen Präsidenten Hamid Karzai mitunter bezeichnet, hat von Dezember 2001, als er zum Übergangspräsidenten bestimmt, und seit 2004, als er zum Präsidenten gwählt wurde, wahrhaft viel Zeit gehabt, die Verhältnisse in seinem Land zum Positiven zu verändern.
Natürlich herrscht noch immer Krieg, floriert der Opiumanbau, und konkurrieren die Stammes- und Regionalfürsten unerbittlich um Einfluss und Macht.
Doch all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Karzai viel mehr Teil des Problems als Teil der Lösung des Problems ist.
Wäre es ihm von Anbeginn um das Wohl seines Landes gegangen, hätte er größere politische Risiken in Kauf nehmen müssen, um neue politische und infrastrukturelle Strukturen im Land zu schaffen.
Stattdessen ist er ein Karrierist in eigener Sache, der seine Energie vorrangig darauf verwendet, die Balance seiner Position mühsam zu erhalten.
Dazu bedient er seine “Klientel” nach dem Gießkannenprinzip. Hier ein bisschen Zustimmung gegenüber dem Westen, dort Postengeschachere an lokale Größen, Patronage gegenüber zwielichten Geschäften seines eigenen Clans, Wegsehen beim Drogenanbau.
Kritk am Westen als Pflicht
Nun hat er einmal mehr hart Stellung gegen den Westen und insbesondere Präsident Obama bezogen. Die jüngsten Truppenerhöhungen von 32.000 US Truppen auf 68.000 noch innerhalb diesen Jahres würden eher nicht zur Befriedung beitragen. Man müsse auch andere, zivile Strategien verfolgen, so Karzai.
Dass er damit exakt das in Kritik fasst, was Obama längst formuliert hat und derzeit umzusetzen versucht, nämlich die Doppelstragie von erhöhtem militärischen Druck und verstärktem zivilen Engagement, ficht den paschtunischen Wendehals offenbar gar nicht.
Karzai geht noch einen Schritt weiter und fordert dazu auf, mit den Taliban ins Gespräch zu kommen, aber nicht mit gemäßigten Kräften, wie es der US Regierung vorschwebt, sondern mit den Taliban schlechterdings, wobei er deren Anführer Mullah Omar namentlich genannt hat.
Damit aber geht Karzai kein politisches Risiko ein, wie eingangs bemängelt, sondern zeigt sich als Hasardeur, ja als ein zum politischen Selbstmord Gewillter. Ginge es nur um ihn, könnte man darüber hinwegsehen. Doch es geht um Afghanistan.
Taliban nicht Hamas
Die Aufforderung, die Taliban in den politischen Prozess einzubeziehen, hat eine gänzlich andere Bedeutung als etwa die Erwartung von Teilen des Westens gegenüber Israel, auch mit der Hamas ins Gespräch zu kommen.
Die Hamas wurde 2006 in einer insgesamt durchaus demokratischen Wahl an die Regierung gewählt. Die Taliban wurden nie frei gewählt. Sie haben sich als aggressivste und brutalste Gruppierung innerhalb der anti-sowjetischen Widerstandsbewegungen in der Zeit nach 1979 durchgesetzt und bis 2001 an der Macht gehalten.Die “Reformen” im Land verdienen diesen Namen nicht, da es fast ausschließlich um den radikalen Umbau der Gesellschaft zu einem islamistischen Gottesstaat ging.
Die Hamas hat sowohl vor, als auch nach ihrem Wahlsieg gezeigt, dass sie sich in nicht unerheblichem Maß auch um die Wohlfahrt ihrer Bürger gekümmert hat. Von den Taliban kann man das schwerlich behaupten. In den Jahren ihrer Herrschaft haben sie einen unerbittlichen, steinzeitlichen Islam eingeführt, der das afghanische Volk systematisch unterdrückte.
Selbst die nicht für Milde bekannte iranische Regierung verurteilte das inhumane talibanische Regime. In 1998 wäre es infolge der Ermordung von sieben iranischen Diplomaten und Tausender schiitischer Muslime in Masar-I-Scharif fast zum Krieg zwischen dem Iran und dem Taliban-regierten Afghanistan gekommen.
Mullah Omar hatte das Schicksal seines Landes 2001 in der Hand. Er hätte nur Osama Bin Laden an die USA ausliefern müssen, der aus seiner Tat zum 11. September nie einen Hehl machte und auch zuvor mehrere Anschläge gegen die USA verantwortete. Doch Mullah verweigerte die Aufforderung mehrfach.
Berühmt-berüchtigt wurde Omar weniger durch seine harsche Politik im Lande, als durch den barbarischen Befehl, die Buddha-Statuen von Bamiyan zu sprengen. Doch das war eine vergleichsweise lässliche Sünde.
So kann der Annäherungsversuch Hamid Karzais an Mullah Omar nur als Versuch eines Kindes angesehen werden, eine Blindschleiche fassen zu wollen, während es sich tatsächlich um eine Klapperschlange handelt.
Wann endlich läßt der Westen Karzai fallen?
— Schlesinger