Cheneys Erbe: Früchte des Zorns

VICE Dick Cheney
VICE Dick Cheney

Mit dem Kinostart von VICE mit Christian Bale in der Rolle des damaligen Vzepräsidenten Cheney so aktuell wie vor zehn Jahren:

Eine ungehaltene Replik auf den FAZ-Artikel “Ein Mann der großen Erwartungen”.

Bush jr. ist kein Demokrat

Dem Artikel von Matthias Rüb in der FAZ liegt ein grober Fehler zugrunde. Rüb nimmt an George W. Bush sei ein Demokrat. Das ist falsch. Vollkommen falsch.

Die FAZ lobt die Führungsqualitäten von  Bush jr.

Die Rede ist von “Führungsstil”, “Visionen” und “Agenda”.

Diese Begriffe verwendet Rüb in einem schwer zu akzeptierenden Wortsinn. Er tut so, als hätte man einen Konrad Adenauer vor sich, also einen Mann, der einen durchaus “harten” Führungsstil pflegte und nicht unbedingt als Freund großer Diskussionen angesehen werden kann.

Bush ist aber kein Adenauer. Adenauer war ein Konservativer und Demokrat reinster Prägung.

Adenauer meinte zu Beginn seiner Kanzlerschaft, er “traue seinen Deutschen” nicht. Darauf beruhte seine skeptische Grundhaltung, dem Volk, das kurz zuvor den Sündenfall seiner Geschichte zugelassen und mitverursacht hatte, die wesentlichen Entscheidungen auf dem Weg zur Demokratie nicht zu überlassen. Das könnte man als undemokratisch bezeichnen, war aber sicherlich ratsam in jenen Tagen.

Cheney setzt die Agenda

Bush hat keine Agenda. Dafür fehlt im die Erfahrung, die Kenntnisse und eine Art echter Überzeugung. Das kommt von einem anderen. Von Bushs Vize Dick Cheney.

George W. Bush und dessen graue Eminenz Dick Cheney waren zu keiner Sekunde ihrer Amtszeit Demokraten, und nur noch wenige gestehen ihnen heute zu, dass sie je Konservative im eigentlichen Sinn waren.

Cheney Bush Pelosi

Imperiale Präsidentschaft

Bush / Cheney beschäftigten in ihrem Office of Legal Counsel (Büro für rechtliche Beratung des Präsidenten, OLC) einen ganzen Stab von Verfassungsrechtlern.

Unter der eisernen Leitung des Juristen David Addington und der unermüdlichen Zuarbeit eines anderen ehrgeizigen Juristen namens John Yoo unternahmen sie nichts Geringeres, als der exekutiven Funktion des Präsidenten zu einer unanfechtbaren Vormachtstellung innerhalb des Dreigestirns Legislative – Exekutive – Judikative zu verhelfen.

Commander-in-chief als archimedischer Punkt

Das zentrale Werkzeug hierfür: Die Neu- und Um-Interpretation des in der Verfassung nur unzureichend definierten Begriffs “commander in chief” (Oberbefehlshaber in Kriegszeiten).

Darin bestand die Kernaufgabe von John Yoo.

Yoo hatte sollte prüfen, wie man den Begriff des Oberbefehlshabers juristisch so aufwerten konnte, damit Bush (und Ceney) mehr Macht bekamen, als ihnen die Verfassung von haus aus zustanden.

Yoo und Addington waren äußerst erfolgreich. Insbesondere darin, die zugehörigen Aktivitäten für die Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar zugunsten von Bush / Cheney zu steuern.

Walker vs. Cheney

Nur eines von unzähligen Beispielen: Vizepräsident Cheney hatte von Anfang großes Interesse an der Umsetzung seiner Vorstellungen für eine nationale Energiepolitik. Das hieß: Eine Industrie-freundliche, Öl-freundliche, und nicht zuletzt: Halliburton-freundliche Politik. Für Halliburton hatte Cheney als Vorstand gearbeitet. Und 13 Millionen US Dollar Abfindung bekommen. Das war damals eine unerhört große Summe. Für Halliburton war es nichts anders als eine risikolose Investition. Sie sollte sich auszahlen.

Dazu schuf Cheney eine Energy Task Force, an der mehrere führende Vertreter der großen Öl- und Kohlekonzerne vertreten waren. Die Beteiligten wurden nach dem Willen Cheneys geheim gehalten.

Das Ärgernis: Der “allgemeine Untersuchungsausschuss” des Kongress (General Accountability Office / GAO), auch congressional watchdog genannt, verlangte die Bennenung der Teilnehmer, sowie Angaben zu den Inhalten der Treffen.

Cheney hat dieses grundsätzlich zulässige Ansinnen des Kongress durch sein Rechtsbüro abwehren lassen.

Der Untersuchungsausschuss hatte seinerzeit völlig zurecht geahnt, dass es ein verheerendes Signal sei, wenn es der Exekutive gelänge – also Bush oder Cheney -, die Kontrollfunktion des Kongress zu unterbinden.

Cheney setzte sich durch.

Für diese Art der klammheimlichen Anhäufung präsidentieller Macht hat sich der Begriff der imperialen Präsidentschaft (imperial presidency) etabliert.

Das entsprach dem von Anbeginn erklärten Willen Dick Cheneys: Der Präsidentschaft die Machtfülle zu geben, die ihr seiner Meinung nach zukommt. Cheney hat – das muss man sehen – wie kein anderer (Vize-) Präsident vor ihm die Macht-Strukturen Washingtons verändert.

Daher liegen Welten zwischen Adenauer und Bush / Cheney. Spricht man in Bezug auf Bush / Cheney nur von Führungsstilen oder Politiken, übersieht man den wesentliche Aspekt: Deren vorsätzliche, demokratiefeindliche Veränderung der Strukturen Washingtons.

Die FAZ zieht diesen Aspekt nicht in Betracht und sinniert über Bush wie über einen beliebigen Präsidenten.

Was immer der Präsident auch tut, es ist legal

Nixons legendärer Spruch “When the president does it, that means it is not illegal!” darf man als Motto für die Regierungspraxis Bush / Cheney in die Geschichtsbücher übernehmen.

Nixon war im Vergleich zu Cheney lediglich ein schwieriger Charakter, der letztlich über einen kleinkriminellen Vorgang namens Watergate stürzte.

Nixon hatte keine auf ihn zugeschnittene Umgestaltung des Präsidentenamtes im Sinn. (Übrigens: Dick Cheney begann seine politische Laufbahn als 28jähriger Absolvent der Politikwissenschaft unter keinem anderen als dem späteren Kollegen und Irakkriegs-Planer Donald Rumsfeld, als jener unter Nixon die Position eines Direktors des Amtes für wirtschaftliche Entwicklung innehatte).

Spricht man von Bush, muss man von einem Autokraten sprechen. Die FAZ allerdings möchte uns Bush als einen etwas außer der Norm liegenden Demokraten verkaufen. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.

Damit aber wird der gesamte Beitrag der FAZ zu reiner Fiktion.

Hätten wir es mit einem Schulaufsatz zu tun, würde man im weiteren von Folgefehlern sprechen.

Bushs Führungsqualitäten

Tony Blair wurde einst als “Bushs Pudel” beschimpft, weil er sich unmittelbar nach 9/11 als äußerst loyaler Verbündeter des amerikanischen Präsidenten zeigte. Ich habe das politische Auftreten der damaligen Hauptakteure noch gut in Erinnerung. Eine besondere Auffälligkeit bestand in der Führungsleistung von Tony Blair unmittelbar nach den Anschlägen.

Man darf sich nicht beirren lassen durch spätere Ereignisse, insbesondere die sogenannten Downing Street Papers,  die starke Zweifel an der US Darstellung über irakische Massenvernichtungswaffen äußerten.

Betrachtet man nur die Wochen und Monate nach 9/11, sah man einen angesichts der Dimension der Ereignisse überaus besonnenen Blair. Der betrien eine intensive Pendeldiplomatie, um die Gleichgesinnten um sich zu scharen. Die Suche Blairs nach Gleichgesinnten in dieser Phase hatte wenig gemein mit der späteren unsäglichen “Koalition der Willigen”, wie sie von Bush zusammengepfuscht, -erdichtet – und zum Teil auch erzwungen wurde.

Bush hingegen war in derselben Zeit, in der Blair die Fäden in der Hand hielt, völlig führungsunfähig. Grobe Rhetorik, Drohgebärden oder zur Schau gestellte Selbstsicherheit in Richtung des vermeintlichen Feindes mögen öffentlichkeitswirksam sein, haben aber mit Führungsqualitäten gar nichts zu tun.

Bush als “Mann vom Land”?

Die FAZ schreibt, Bush habe sich nie “gemein gemacht” mit Washington, sei immer ein “Mann vom Land” geblieben. Das ist unzutreffend. Er hatte sich deshalb nie ins Washingtoner Gefüge eingepasst, weil er es sich aufgrund seiner extremen Agenda gar nicht hätte erlauben können.

Eine Grundkenntnis der Politilogie besagt zurecht, dass die Verwaltung eines demokratischen Landes eine eigene Stabilität und Kontinuität mit sich bringt, die in aller Regel dahin wirkt, allzu große Neuerungen einer neuen Regierung zu mildern.

Das wissen selbstredend auch Bush / Cheney. Aus diesem Grund haben sie so gut wie möglich versucht, sich der “Verwaltungsbasis” fern zu halten. Ihre Entscheidungen wurden oktroyiert und nicht auf demokratischem weg in die Verwaltung eingeschleust. Anzunehmen, Bush sei ein Naturbursche, der sich aus Romatik dem schnöden Washington ferngehalten habe, kann nur Verklärung bezeichnet werden.

Hat Bush eine arrogante Art?

Es soll wohl wie Kritik klingen, wenn die FAZ eine “arrogante Faser” an Bush entdeckt. Diese Spur Arroganz rühre von der Patrizierfamilie Bush, seinem Erweckungserlebnis als Christ sowie seiner Befreiung vom Alkoholismus.

Das mag alles mit hineinspielen. Und es ist doch nur die getreuliche Wiederholung der Variante, die von Bush höchstpersönlich unters Volk gebracht wurde. Der Vorzug dieser Version: Die Integrität bleibt aufs Beste gewahrt. Wer geläutert ist, wer Christ ist und trotz “hoher Abstammung” so burschikos geblieben, ist ein vorbildlicher, waschechter Amerikaner.

Sozusagen ein “Joe the plumber” – wie Senator McCains beliebter Slogan derzeit lautet. Also “John der Installateur”, soll heißen “Einer von Euch”.

Das ist Unfug. Bush ist nicht arrogant, sondern praktizierender politischer Autist. Von unzähligen Seiten wurde ihm Beratungsresistenz beschieden. Bush hatte keine politischen Visionen, die er mit seinem besonderen Führungsstil umsetzt. Er hatte Ideologien, die er autokratisch durchpeitschte.

Das mit einer “Faser Arroganz” zu benennen, ist gefährlich verharmlosend.

Aber das macht Hr. Rüb und bereitet dem Präsidenten eine mit frischen Blumen dekorierte Bühne, indem er vollkommen kritiklos die Selbstdarstellung (!) Bushs aus dessen Autobiografie wieder gibt:

“Ich kann nicht gut warten. Ich setze die Agenda, artikuliere eine Vision und führe. Mich interessieren nicht die Mittel, sondern die Ergebnisse. Mein Glaube aber befreit mich. Er befreit mich, Entscheidungen zu treffen, die andere nicht gutheißen mögen. Er befreit mich, das Gebotene zu tun, auch wenn sich das negativ in Umfragen niederschlagen mag.”

Wir haben es in Gestalt Rübs wirklich mit einem liebedienerischen Journalisten, also mit einem Pudel Bushs zu tun, da wir weiterhin Folgendes zu hören bekommen:

Die großen Visionen Bushs lassen sich mit zwei Schlagworten umschreiben: In der Außen- und Sicherheitspolitik ist es die Freiheitsagenda, in der Innen- und Sozialpolitik die Idee von der „ownership society“, der „Gesellschaft der Eigentümer“.

Will man irgend jemandem gegenüber allen Ernstes vertreten, Bush habe eine Freiheitsagenda gehabt, die über den schnöden Wortmißbrauch hinaus ginge?

Was soll man davon halten, wenn ein Journalist unreflektiert von der “Gesellschaft der Eigentümer” redet und damit nahe legt, das wäre tatsächlich ein Ziel Bushs gewesen?

Zur Gesellschaft der Eigentümer der Spielart Bushs gehören allenfalls illustre Unternehmen wie EXXON, die in 2007 den Rekordgewinn (Gewinn, nicht Umsatz) von sage und schreibe 40,6 Milliarden Dollar einfuhren, und dabei jahrelang mit immensen, milliardenschweren Steuererleichterungen (!) bedacht wurden.

Die Einkommensschere hat sich unter den Regierungen Bush senior und junior nach Angaben der OECD jeweils deutlich vergrößert. Dabei ist der Anstieg der Ungerechtigkeit unter Bush jr. deutlich höher ausgefallen als unter Bush sen. Nur die Regierung Clinton hat ab der Mitte ihrer Regierungszeit eine echte Trendwende erreicht:

Eimkommensschere USA

Irakkrieg

“So falsch es von Bush war, schon Anfang Mai 2003 faktisch den Sieg im Irak-Krieg zu erklären”, kritisiert der Verfasser des FAZ-Beitrags und hat damit seine Vorbehalte gegenüber dem von Bush von Beginn an eingefädeltem Irakkrieg auch schon ausgeschöpft.

Kein Wort zu den erfundenen irakischen Massenvernichtungswaffen oder zu den erdichteten Beziehungen Saddam Husseins zu Al Quaida.

Man muss es positiv sehen, legt uns der Autor zum Thema Irakkrieg nahe: “Der Ausgang ist offen”.

Vielleicht hat Bush recht

liest man zum Schluß des Artikels mit längst ungläubigem Staunen, und: Die Geschichte könnte ihn in 50 Jahren rehabilitieren.

Vielleicht wollte die FAZ oder genauer genommen Hr. Rüb mit diesem Artikel gar keinen Journalismus betreiben, sondern Heiligenverehrung. Das für sich genommen ist etwas sehr Schönes.

Wenn man über Heilige spricht, scheint sich die FAZ zu sagen, kann man unmöglich über so unfeine Dinge Abu Ghraib, Guantanamo oder den rendition camps sprechen.

Die Wahrheit, die sich die FAZ verwehrt auch nur am Rande zu erwähnen ist die: So, wie die strukturelle Aushöhlung der demokratischen Grundpfeiler die politische Erbsünde der Regierung Bush ist, sind Guantanamo und Abu Ghraib deren moralischer Sündenfall.

Bildempfehlung für Hr. Rüb, wie ein “verschärftes Verhör” aussieht (und das ist ein vergleichsweise harmloses Bild)

Über die Amtszeit Bushs zu urteilen, ohne Abu Ghraib oder Baghram einzubeziehen ist wie über Hitlerdeutschland zu befinden und den Holocaust zu ignorieren.

Für den Journalisten einer großen Zeitung kommt dies ebenfalls einem schweren Sündenfall gleich.

— Schlesinger

Und das Geld, das für die Löhne hätte verwendet werden können, wurde für Gas [= Öl], für Gewehre [= KBR, Blackwater, Army], für Agenten und Spitzel [= CIA], für schwarze Listen [= axis of evil, Guantanamo] fürs Exerzieren ausgegeben.

Und die Empörung begann zu gären.

Er hat nichts gegen das Gesetz gemacht, Mutter. Ich habe verdammt viel nachgedacht, über unsere leute, wo wie die Schweine leben., und das gute Land, wo brachliegt. Und über die Großen mit ‘ner Million Hektar und die tausend kleinen Farmer, wo verhungern. Und ich hab mir gedacht, wenn alle unsere leute sich zusammentun und schreien, wie sie draussen vor der Hooper-Ranch geschrien haben…”

Mutter sagte: “Tom, dann jagen sie dich und machen dich kaputt, wie den kleinen Floyd.”

John Steinbeck, Früchte des Zorns

Fürs erste wurden weder George W. Bush noch Dick Cheney rehabilitiert.

Die besnders verwerfliche Rolle von Dick Cheney ist nun auch im Kino zu sehen. VICE zeigt in beeindruckender Detailtreue den Werdegang des ehemaligen Säufers Dick Cheney zu  mächtigsten Mann Amerikas, wenn nich der Welt. Niemand hätte die Rolle besser übernehmen können als Christian Bale. Nicht minder beeindrucken an seiner Seite Amy Adams, die die Frau und den eigentlichen Antrieb von Cheney spielt. Großes Kino. Lehhrreiches Kino. Tagesaktuell in Zeiten von Donald Trump.

— Schlesinger

Photo Bush & Cheney: Wikimedia Gemeinfrei

Leseempfehlung Boston Globe

Bush widersetzt sich 750 Gesetzen, weil sie nicht seiner Interpretation der Verfassung entsprechen:

“President Bush has quietly claimed the authority to disobey more than 750 laws enacted since he took office, asserting that he has the power to set aside any statute passed by Congress when it conflicts with his interpretation of the Constitution.”

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