Nach dem Mordanschlag der Abu-Nidal-Gruppe auf den israelischen Gesandten in Großbritannien, Shlomo Argov (Juni 1982) marschierte Israel in den Libanon ein.
Endlich Krieg
Der Vorfall war ein geeigneter Vorwand, um endlich in massivem Stil gegen die PLO im Libanon vorgehen zu können. Abu Nidal hatte autark und nicht auf Weisung von Jassir Arafat gehandelt. Deshalb hatte sich die PLO von dem Anschlag distanziert. Aber die Würfel waren bereits zuvor gefallen. Der damalige israelische Verteidigungsminister Ariel Scharon machte in seinen Memoiren keinen Hehl daraus, dass das Londoner Attentat nicht Ursache, sondern nur Anlaß für den Krieg war.
Dennoch: Die PLO hatte vom Südlibanon aus Israel fortgesetzt mit einer Politik der Nadelstiche traktiert. Immer wieder wurden Katjuschas in das nördliche Israel angefeuert. Die öffentliche Meinung Israels wurde trotzdem irre geführt. In der Wahrnehmung – sicherlich befördert durch die Berichterstattung von Rundfunk und Fernsehen – wurden die Angriffe der PLO als mörderisch wahrgenommen. Tatsächlich kam in den ganzen zwölf Monaten vor dem Einmarsch Israels in den Libanon 1 Israeli zu Tode. In der Wahrnehmung war es ganz anders. Die Mehrheit der Israelis befürwortete daher den Einmarsch.
PLO als Krebsgeschwür im Libanon
Die libanesische Regierung verkam neben der immer machtvolleren PLO, die ihr Hauptquartier in Beirut bezogen hatte, zusehends zur Schattenregierung. Israel sah bereits das Schreckensszenario, dass sich die PLO mehr und mehr der Infrastruktur des Libanon bedienen würde. Das freilich hätte ihre Gefährlichkeit deutlich erhöht.
Am Tag nach dem Attentat auf den Botschafter griff die israelische Luftwaffe Munitionsdepots der PLO im Libanon an. Einen weiteren Tag später begann der Einmarsch der Bodentruppen.
Entgegen der ursprünglichen Planung meinte man die Gunst der Stunde nutzen zu müssen und marschierte durch bis Beirut. Damit würde man die PLO zerschlagen können, war die Annahme.
Ein verhängnisvoller Entschluß. Auf libanesischer Seite brachte der Krieg zahlreiche Tote und Verwundete unter der Zivilbevölkerung mit sich, dazu eine enorme Zerstörung der Infrastruktur. Die PLO wurde letztlich zur Aufgabe gezwungen. Sie konnte unter dem Schutz von UN Truppen abziehen. Den höchsten Preis des Kriegs sollten bald andere bezahlen.
Das Attentat
Nur zwei Tage nach dem Abzug der PLO, am 23. August 1982, wurde der Christ Bashir Gemayel, der zugleich eine führende Position bei den Phalangisten innehatte, zum Präsidenten gewählt. Bashir stand bei den Israelis in hohem Ansehen. Man ging in Jerusalem davon aus, dass es unter Gemayel bald zu einem Frieden kommen würde. Diese Art von Anbiederung an Israel war nicht nur den muslimischen Gruppen ein Dorn im Auge, sondern vor allem dem syrischen Präsidenten Hafez el-Assad.
Dessen Truppen standen seit 1976 als von der libanesischen Regierung offiziell gerufene und von der Arabischen Liga bestätigte Friedenstruppe im Land. De facto waren die Syrer eine Besatzungsarmee, um angesichts des schon seit 1975 tobenden Bürgerkriegs für Stabilität und dabei vor allem für die Sicherheit der Christen zu sorgen. Eine Stabilität freilich nach syrischer Definition, denn das ausbeuterische Gebahren der syrischen Kommandeure war bald unübersehbar. Die “Schutzmacht” aus Damaskus liess sich ihren Schutz fürstlich bezahlen.
Entgegen dem ursprünglichen Kalkül der libanesischen Regierung wechselte Assad die Fronten und verbündete sich mit der PLO. Mit der Niederlage der PLO gegen Israel und einem sich abzeichnenden Bündnis der libanesischen Regierung mit Israel wollte sich Assad nicht abgeben.
Nur drei Wochen nach der Wahl Bashir Gemayels zum Präsidenten wurde er am 14. September 1982 in einem gewaltigen Bombenattentat ums Leben gebracht.
Die christlichen Milizen schworen Rache und vollzogen sie sogleich. Die Milizen wußten zwar nicht, wer der Urheber des Anschlags war, aber meinten den Gegner zu kennen: Die PLO.
Die bewaffnete PLO war bereits abgezogen, nicht aber die Tausende Palästinenser in den Flüchtlingslagern. Also zogen die rachedürstigen Anhänger Gemayels zu den Lagern Sabra und Schatila, wo sie zwei Tage lang unter der Abschirmung der Israelis unzählige Zivilisten massakrierten, verstümmelten und vergewaltigten.
Das wurde zum Schandfleck auch für die israelische Armee, die mit dem Libanonfeldzug 1982 nicht nur ihren ersten “war of choice” führte, sondern sich damit auch tief in verbrecherische Vorgänge verwickelte.
Arafat – tragisch für die Palästinenser
Der Krieg war auch in anderer Hinsicht fatal. Israel verkannte, dass sich die Führung der PLO immer weiter von ihrer Basis entfernt hatte. Arafat und seine zahlenmässig große Führungsriege hatte sich in Beirut, dem “Paris des Mittleren Ostens” äußerst behaglich eingerichtet. Korruption und Eigennutz nahmen derart überhand, dass der Unmut zuhause im Gazastreifen und in der Westbank immer größer wurde.
Erschwerend kam hinzu, dass ein großer Teil der PLO-Basis die Flüchtlingslager von Jordanien, Syrien und dem Libanon bewohnte. Diesem Klientel ging es an erster Stelle um ein uneingeschränktes Rückkehrrecht in das Land, das sie vor dem Krieg von 1948 und der damit einhergegangenen Vertreibung bewohnt hatten. Daher hatte Arafat die längste Zeit das “ganze Palästina” für seine Landsleute gefordert.
Die anderen politischen Fraktionen im Gazastreifen und der Westbank waren sich indessen der Zwiespältigkeit dieser Forderung bewußt.
Israel, das war klar, würde sich freiwillig nicht auf ein Rückkehrrecht einlassen. Sollte Arafat diese Forderung allzu nachdrücklich erheben, würden die erreichbar scheinenden Ziele der Palästinenser von Gaza und der Westbank gefährdet: In diesen Gebieten eine Autonomie zu erhalten, solange man nur auf weitergehende Gebietsansprüche verzichtete.
Statt eine effektive politische Antwort auf diese für ihn zweifellos mißliche Lage zu geben, verwandte Arafat viel Energie darauf, alle beteiligten Kräfte so auszutarieren, dass seine eigene Position an der Spitze der PLO und das durchaus luxuriöse Leben in Beirut gesichert blieb.
Israel – Zorn statt Klugheit
Israel hätte diese Kluft klug ausnutzen können. Statt mit dem Florett zu fechten zog es die Axt vor, marschierte ein, und machte Arafat damit erneut zum palästinensischen Helden, nachdem sein Stern zuvor schon gesunken war.
Bevor es zu größeren Problemen kam, sah es für die israelische Armee sehr gut aus. Zu ihrer eigenen Überraschung wurden sie anfangs nicht als Besatzer wahrgenommen. Niemand nahm an, dass Israel lange bleiben würde. So war man in weiten Teilen der libanesischen Bevölkerung – und sicher auch der Regierung – erleichtert darüber, dass die PLO, die sich immer breiter gemacht hatte, in ihre Schranken gewiesen wurde.
Aber Israel – nicht unähnlich dem Vorgehen der USA im Zweiten Irakkrieg – konnte sich dieses Potential nicht zunutze machen.
Statt zu versuchen die christlichen und islamischen Gruppierungen im Land zu einer gemeinsamen Front gegen die letztlich fremde PLO zu bewegen, bezog man einseitig Position zugunsten der christlichen Milizen.
Das lag auch am israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin. Begin hatte seine Jugend im katholischen Polen verbracht. Wie viele andere Juden in jener Lage litt er unter der Zurücksetzung durch die Katholiken.
Mit einiger Befriedigung sah er sich nun als Retter der Christen in einem “eigentlich” christlichen Libanon, in dem aber zunehmend islamische Gruppen an Einfluss gewonnen hatten.
Der israelische Schriftsteller und Mitbegründer der Peace-Now-Bewegung Amos Oz beschrieb es so:
Man wies den korrupten christlichen Phalangisten, dieser faschistisch inspirierten Bewegung, die Rolle des süßen, unschuldigen Rotkäppchens zu. Begin übernahm die Rolle des edlen Försters, der Rotkäppchen aus dem Maul des islamischen Wolfs befreit […]
Die christlichen Maroniten und Phalangisten jedenfalls erkannten rasch diese gewissermassen sentimentale Schwäche Begins und wußten sie geschickt für sich auszunutzen.
Teil 2 : Die Amis kommen.
— Schlesinger
Hintergrundinfos:
Tom Friedman: From Beirut to Jerusalem
Robert Fisk: The Conquest of the Middle East
Amos Oz: The slopes of Lebanon (Die Hügel des Libanon)
(Photo: Bashir Gemayel)