Unfassbar weit scheint der Weg, den Amerika gegangen ist seit Beginn der Ära Clinton bis zum Ende der Orwell’schen Jahre des George W. Bush.
Bill Clinton verdrängte einen George H.W. Bush aus dem Amt, der noch kurz zuvor einen populären, da als gerecht empfunden Krieg im Golf erfolgreich geführt hatte. Die Zustimmungsraten zu Bush senior waren beachtlich. Damals gab es noch “echte Kriegshelden”, und sie trugen die Namen Schwarzkopf und Powell. Die USA standen allem Anschein nach fest und genossen hohes Ansehen nicht nur in der westlichen Welt.
Man hatte es eigentlich gut. Es eigentlich gut haben war aber schon immer der Beginn einer Krise, im privaten Kleinen wie im staatlichen Großen.
Die aus heutiger Sicht nahezu harmlos anmutenden ökonomischen Probleme genügten, um Clinton unter anderem mit dessen griffigen Slogan „it’s the economy, stupid!“ ins Weisse Haus zu befördern.
Die Wirtschaft erholte sich rasch. Angesichts der letzten Regungen des vollends kollabierenden ehemaligen Sowjetimperiums schien festzustehen: Amerika hat unanfechtbar die Führung der Welt übernommen.
Die Intellektuellen sprachen im positiven Sinn vom Ende der Geschichte. Das demokratische Modell, so Francis Fukuyama, würde vom Rest der Welt gewissermaßen von alleine übernommen.
Dennoch kam die Leere.
Der Übergang vom jahrzehntelangen Kalten Krieg in die Zeit der Friedensdividende kam zu abrupt.
Gorbatschows Berater Arbatow sah es voraus, als er 1987 in Richtung Washington prophezeite: „Wir tun Euch einen schrecklichen Gefallen. Wir berauben Euch Eures Feindes.“
Als Rom im Jahre 87 v.Chr. mit Mithridades seinen letzten ernstzunehmenden Gegner besiegte, fragte Sulla: „Nun, da das Universum keine Feinde mehr für uns bereit hält, wie mag das Schicksal der Republik aussehen?“
Wenige Jahrzehnte später endete die Republik und die Kaiserzeit begann.
Und tatsächlich: Amerika schien als Riese alleine auf der Weltbühne zurück geblieben, der sich langsam seiner Größe unerwartet zu schämen begann.
Gewiß, Betätigungsfelder gab es zuhauf: Da war der Hunger in Afrika, AIDS in der Welt, ein Krieg im kleinen Kosovo oder ein ungelöster Nahostkonflikt.
Das alles aber gab es in gewissem Sinn schon immer und war – aus dem Blickwinkel nationaler Identität betrachtet – gar nichts im Vergleich zu der noch kurz zuvor gültigen Option der amerikanisch-sowjetischen mutual assured destruction, der gegenüber man sich behaupten mußte.
Das große Land versuchte sich mit sich selbst zu beschäftigen. Das kommt dem workoholic gleich, der sich unvermittelt im Ruhestand sieht und wenig mit dem neuen Müßiggang anzufangen weiß.
Da die bisweilen übermächtig anmutenden Bedrohungen der früheren Jahre nicht mehr vorhanden waren, mussten neue Gegner und mussten neue Ängste die Identitätsstiftung übernehmen.
Das war zum einen die Zeit Samuel Huntingtons, der den Zusammenprall der Zivilisationen beschwörte.
Das war zum anderen das Aufkommen einer neuen inbrünstigen Moralität, die sich am vermeintlich allzu leichtlebigen Bill Clinton abzuarbeiten begann.
So begann ein Jahrzehnt nach dem Ende des großen kommunistischen Gegners eine harte Kaiserzeit unter George W. Bush, der dem amerikanischen Volk angesichts der Verderbnis des Bill Clinton versprach, wieder Anstand ins Weisse Haus zu bringen, und dafür gewählt wurde.
— Schlesinger
(Photo: Lietmotiv) (Grafik: SouthBankSteve) (Photo: Flickr)
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