Die Stille nach dem Sturm
Vereinigte Staaten von Amerika. Die Zeit: Kurz nach Ende des ersten Golfkrieg, genannt Desert Storm.
Ein angesehener Journalist schrieb:
“Die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten scheint es fast zu verbieten, von den schlimmen und gefährlichen Folgen des Krieges, zumal dieses siegreich beendeten Krieges zu reden;
um so williger werden aber die Journalisten gehört, welche keine wichtigere Meinung als jene öffentliche kennen und deshalb wetteifernd beflissen sind, den Krieg zu preisen und den mächtigen Phänomenen seiner Einwirkung auf die Moral, Kultur und Kunst jubilierend nachzugehen.
Ein großer Sieg ist eine große Gefahr
Trotzdem sei es gesagt: ein großer Sieg ist eine große Gefahr.
Die menschliche Natur erträgt ihn schwerer als eine Niederlage; ja es scheint selbst leichter zu sein, einen solchen Sieg zu erringen, als ihn so zu ertragen, dass daraus keine schwere Niederlage entsteht.
Von allen schlimmen Folgen aber, die der letzte gegen den Irak geführte Krieg hinter sich dreinzieht, ist vielleicht die schlimmste ein weit verbreiteter, ja allgemeiner Irrtum: der Irrtum der öffentlich Meinenden, dass auch die amerikanische Kultur in jenem Kampf gesiegt habe und deshalb jetzt mit den Kränzen geschmückt werden müsse, die so außerordentlichen Ereignissen und Erfolgen gemäß seien.
Dieser Wahn ist höchst verderblich: Nicht etwa weil er ein Wahn ist – denn es gibt die heilsamsten und segensreichsten Irrtümer – sondern weil er im Stande ist, unseren Sieg in eine völlige Niederlage zu verwandeln: in die Niederlage, ja Auslöschung des amerikanischen Geistes zu Gunsten des amerikanischen Imperiums.”
Die Ära Clinton: Libertinage statt Bürgerlichkeit
Nun war es nicht so, dass das Geistes- oder Kulturleben mit einem mal versiegte. Das ist bis heute nicht der Fall. Es geht vielmehr um eine Art Tönung, eine Färbung der geistigen Hemisphäre, die nach und nach wirksam wurde.
Oberflächlich betrachtet waren die dem Kriegs-Großereignis folgenden Jahre Clintons von großer Freizügigkeit des Denkens und Lebens geprägt.
Diese Freizügigkeit war allerdings schon die eines Philister-Geistes. Als Philister bezeichnete Thomas Mann in Abgrenzung zum Bürger diejenigen, die keine Kultur mehr schaffen würden und schon keine Kulturträger mehr seien, sondern nur noch libertinäre Staatsbürger.
Der libertinäre Philistergeist ist jedoch zu oberflächlich, zu schwach, um gegen eine selbstbewußte reaktionäre Strömung anzukommen.
Just diese reaktionäre Strömung war das Ergebnis der eingangs genannten Gefahr aus dem siegreich beendeten Krieg.
Das Phänomen wurde von Heinrich Mann im Professor Unrat beschrieben. Die Grundlagen des Staates bestünden darin: “eine einflussreichen Kirche, ein handfester Säbel, strikter Gehorsam und starre Sitten.”
Selten zuvor hatte der Einfluss der Klerikalen in den USA so zugenommen wie ab den späten Neunziger Jahren. Das starke amerikanische Militär hatte zuvor schon aller Welt seine Macht gezeigt, indem es den Irak im ersten Golfkrieg kurzerhand unterwarf, und die Sittlichkeit oder was man dafür hielt, gewann zunehmend an Boden.
Der Mann, der diese neue reaktionäre Bewegung aufgriff, war kein anderer als George W. Bush.
George W. Bush verkörperte sie nur dem äußeren Schein nach. Wohl kam sie seiner seinen eigenen vagen Weltanschauung entgegen. Dennoch blieb er nur Opportunist. Er war keiner, der diese Strömung formte oder lenkte. Er war Nutznießer.
Anders verhält es sich mit Dick Cheney. Im Vergleich zu Cheney muss George W. Bush als geradezu naiv bezeichnet werden. Man kann soweit gehen zu sagen, dass die Regierungszeit Bushs nicht zu dem geworden wäre, die sie geworden ist, hätte es nicht die Agenda-Treiber Dick Cheney und Donald Rumsfeld gegeben.
Während sich Bush junior ganz in Anlehnung an seine früheren Jahre wohl ganz gerne als laissez-faire Präsident dargestellt hätte, waren Cheney und Gefolge von vornherein mit einer klar strukturierten politischen Agenda ins Weisse Haus gekommen.
Cheneys imperial presidency
Diese Agenda trug die Überschrift: Rückkehr zur imperialen Präsidentschaft.
Das Ziel bestand darin, dem Präsidenten als dem exekutiven Zweig der drei demokratischen Säulen das Maß an Einfluss zu sichern, das ihm zustand.
Für Dick Cheney war es eine Art Katharsis, um die ureigenen unguten Erinnerungen an die Nixon- und Ford-Jahre zu verarbeiten. Cheney hatte in jenen Regierungen in hohen Positionen mitgewirkt (unter Gerald Ford war er Stabchef). Der Vietnamkrieg brachte die Präsidenten gegenüber dem Kongress in einem schädlichen Maß in die Defensive, so die Auffassung Cheneys. Das musste revidiert werden. Zum Wohl des Präsidenten – und seinem.
Dieses Vorhaben spielte sich – im Gegensatz zu zahlreichen anderen Aktionen Cheneys – nicht in dunklen Hinterzimmern ab, sondern wurde vor den Augen der Öffentlichkeit, des Kongress und der Medien vollzogen.
Die Hauptaufgabe des Rechtsbüros des Präsidenten (Office for Legal Counsel – OLC) bestand in wenig mehr als dem Präsidenten über neue Verfassungsinterpretationen den Weg zu mehr Einfluss zu bereiten. Der Haupthebel war eine Neuinterpretation des Begriffs commander-in-chief.
Da sich die USA seit dem 11.September im Kriegszustand befanden, standen dem commander-in-chief mehr Befugnisse zu, als sie dem Präsidentenamt in Friedenszeiten zustehen würden. So die Haltung Cheneys und so die juristischen Gutachten, die dem Präsidenten aus dem OLC dazu geliefert wurden.
Krieg als ultimative Demonstration eigener Macht
Die Vereinigten Staaten führten den Willen von Dick Cheney, Donald Rumsfeld und George W. Bush aus und zogen in zwei Kriege.
Den Krieg, den die USA führten, fand an zwei Fronten statt. Die eine verlief im Mittleren Osten, die andere in der Heimat. Schlachtenlärm und gleißendes Licht der ersten Front führte dazu, dass die amerikanische Nation lange, sehr lange taub und blind blieb für die zahlreichen kleinen Kriege zuhause.
Der Krieg gegen den Terror war von Anbeginn ein Krieg gegen amerikanische Prinzipien, so wie sie von den Verfassungsvätern verstanden wurden. Die Amerikaner ließen sich verführen, weil sie den Parolen und Beteuerungen des Präsidenten in einer Zeit höchster Gefahr Vertrauen entgegen brachten. Dick Cheney wußte das.
Dem äußeren Anschein nach könnte man die Zeit Bushs mit der Lyndon B. Johnsons oder Richard Nixons vergleichen, da unter allen dreien höchst fragwürdige Kriege geführt wurden. Dick Cheney war es aber, der seine Landsleute durch einen für amerikanische Verhältnisse ungeahnt massiven, gezielten und systematischen Einsatz manipulativer Mittel korrumpierte.
Die Kriege im Irak und in Afghanistan sind keine klassischen imperialen Kriege. Es ging nicht um die Eroberung von Ländern. Gewiß: Es ging um Öl, wenigstens zu einem gehörigen Teil. Für beides, Eroberung und Öl, hätte man unter einem Vorwand etwa Hugo Chavez aus dem Amt bomben und mit Venezuela eines der ölreichsten Länder knebeln können. Nein, während der Afghanistankrieg einer war, den Bush, Cheney und Rumsfeld eigentlich wider Willen begannen – berühmt wurde Rumsfeld Äußerung, da gäbe es keine lohnenden Ziele -, war der Irakkrieg ein kalt inszenierter Weltanschauungskrieg zwischen zwei sich nicht wenig ähnelnden Gegnern.
Daher kann man die weltberühmte Karikatur des Evening Standard zu Hitler und Stalin mühelos auf Bush und Hussein übertragen:*
(Links Hitler “Der Abschaum der Menscheit?”, rechts Stalin: “Der blutige Mörder der Arbeiter?”; man ersetze Hitler gegen Bush und Stalin gegen Hussein.)
Wer die Augen offen hielt, konnte all dies schon frühzeitig registrieren. So urteilte der republikanische Abgeordnete des Repräsentantenhauses Dan Burton im Dezember 2001, inmitten des fiebrigen nationalen Schulterschlusses nach den unmittelbar zuvor erfolgten Terroranschlägen:
“We’ve got a dictatorial president.” He is “acting like he’s king.”
— Schlesinger
P.S.: Der eingangs erwähnte “angesehene Journalist” war kein Journalist, sondern Friedrich Nietzsche. Demnach wurde dieser Kommentar auch nich nach dem Golfkrieg, sondern nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1871 verfasst. Man ersetze demnach “Vereinigte Staaten” durch “Deutschland” und den Golfkrieg durch den Deutsch-Französischen Krieg. Fazit: Geschichte kehrt in Variationen wieder.
Zitiert aus: Unzeitgemäße Betrachtungen, Bd. I, Ausgabe Schlechta.
Kommentar Dan Burton zitiert aus: Charlie Savage, The Return of the Imperial Presidency, S.98
PS 2: Please visit the page of Michael Yon. Phantastic pics from Iraq et.al.
PS 3: * (a) Mit der Karikatur soll nicht Bush mit Hitler gleichgesetzt werden. Das käme einer enormen Verharmlosung Hitlers gleich. (b) Der Krieg Hitlers gegen Rußland war aber ein klassischer Weltanschauungskrieg und ein imperialer Eroberungskrieg. Daher passt die Karikatur wenigstens zum ersten Aspekt.
PS 4: Nächste und voraussichtlich abschliessende Folge: “Von shock and awe zu hope“.
PS 5: Teil 1 des Essays finden Sie hier.
(Photo: hookbrother)
(Photo: Army.mil)
(Photo: Six Steps)
(Grafik: TLAXCALA)
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