Sowohl McCains Vater als auch sein Grossvater waren Admirale. Wie andere Offiziersfamilien wohnten auch die McCains nie lange am selben Ort, und der junge John besuchte im Verlauf seiner Kindheit und Jugend an die zwanzig verschiedene Schulen. Ganz in den Fussstapfen seiner Vorfahren trat er 1954 in die Marineakademie von Annapolis ein. Es war eine Institution, die McCain bewunderte und zugleich verabscheute, wie er in seinem 1999 erschienenen Bestseller «Faith of My Fathers» schreibt. Er war ein schlechter Seekadett, und sein rebellischer Charakter machte sich schon damals bemerkbar. Aber er setzte seine Laufbahn in der Navy fort, wurde nach der Akademie zum Piloten ausgebildet und meldete sich 1966 freiwillig zum Kriegseinsatz in Vietnam. Im folgenden Jahr ereilte ihn bei einem Bombereinsatz über Hanoi das Schicksal. Er wurde abgeschossen und zog sich, als er mit dem Schleudersitz herauskatapultiert wurde, mehrere Arm- und Beinbrüche zu. Er landete in einem Teich und kam zu sich, als aufgebrachte Vietnamesen ihn an Land zerrten. Während seiner Kriegsgefangenschaft wurde McCain wiederholt gefoltert und trotz seinen Verletzungen medizinisch vernachlässigt. Bis heute ist er nicht in der Lage, seine Arme über den Kopf hinaus zu heben. Erst nach einigen Tagen merkten seine Peiniger, dass sie keinen gewöhnlichen Amerikaner, sondern den Sohn eines feindlichen Admirals vor sich hatten. Der Vater stieg 1968 zum Oberbefehlshaber der Truppen im Pazifik auf, was den Wert des Gefangenen noch erhöhte. McCain wurde eine Freilassung angeboten. Doch er lehnte sie ab, um den Nordvietnamesen keine Gelegenheit zu einem Propagandacoup zu geben. Er weigerte sich auch, im Tausch gegen eine Vorzugsbehandlung antiamerikanische Erklärungen zu unterschreiben. So kam er erst nach den Friedensverträgen von 1973 frei, zusammen mit den übrigen Kriegsgefangenen.
Bis heute gilt McCain in der Öffentlichkeit als Held, der Tugenden wie Ehrenhaftigkeit und Willensstärke verkörpert. Diese uneingeschränkte Bewunderung unterscheidet ihn von einem anderen Kriegshelden (und Freund McCains), dem früheren demokratischen Präsidentschaftskandidaten Kerry. Dieser hatte sich nach seiner Rückkehr aus Vietnam zum Kriegskritiker gewandelt und weckt mit diesem Hintergrund bei manchen Amerikanern eher gemischte Gefühle.
Wechsel in die Politik
Nach seiner Heimkehr blieb McCain zunächst bei der Navy. Von 1977 bis 1981 diente er als Verbindungsoffizier zum Senat, was seinen Appetit auf die Politik weckte. Auch sein Privatleben durchlief Veränderungen. Nach fünfzehn Jahren Ehe liess er sich scheiden und heiratete Cindy Hensley, die Tochter eines reichen Bierlieferanten aus Arizona. Wenig später quittierte er den Dienst, zog in die Heimat seiner Frau und bewarb sich schon 1982 erfolgreich für einen Sitz im Kongress. Den Vorwurf, er sei hier doch gar nicht verwurzelt, parierte er im Wahlkampf mit dem Ausspruch: «Der Ort, wo ich bisher am längsten gewohnt habe, war Hanoi.»
Nach vier Jahren im Repräsentantenhaus gelang McCain der Sprung in den Senat. Dort beging er jedoch gleich zu Beginn einen fatalen Fehler. Er willigte ein, an einem Treffen mit Vertretern einer Bankenaufsichtsbehörde teilzunehmen, bei dem es um Massnahmen gegen die Sparkasse des Unternehmers Charles Keating aus Arizona ging. Keating war ein persönlicher Freund McCains und Sponsor seiner Kampagnen, aber auch, wie sich herausstellte, ein Betrüger. Als die Sparkasse zusammenbrach, geriet McCain unter den Verdacht, er habe die Aufsichtsbehörde beeinflussen wollen. Nach monatelangen Hearings vor der Ethikkommission des Senats kam McCain mit einer milden Rüge davon. Seine Verbindung zu Keating bezeichnete er gleichwohl als grössten Fehler seines Lebens.
Die Schmach des Skandals war angeblich der Grund, weshalb McCain von da an die korrumpierende Rolle des Geldes in der Politik geisselte und sich mit heiligem Feuer einer Reform der Wahlkampffinanzierung verschrieb. Bis er damit Erfolg hatte, verging mehr als ein Jahrzehnt. Aber die nach McCain und seinem Senatskollegen Feingold benannte Reform verbietet den Parteien heute die Annahme von sogenanntem Soft Money, also von Geldern, die sie zuvor in unbeschränkter Höhe von Unternehmen und Gewerkschaften einstecken durften.
Symbiose mit den Medien
McCain machte sich auch einen Namen als Kritiker der Subventionen, die der Kongress an die Landwirtschaft und andere Interessengruppen verteilte. Mit seinem Reformeifer eckte er bei manchen Kollegen an, aber im Übrigen galt er als zuverlässiger Konservativer. Ende der neunziger Jahre war sein Ruf so weit repariert, dass er als Präsidentschaftskandidat ins Gespräch kam. Favorit der Parteielite war George Bush, der Gouverneur von Texas. Aber in der Primärwahl von New Hampshire im Jahr 2000 verblüffte McCain mit einem klaren Sieg. Damals wie heute verstand er es, mit einem kleinen Budget maximale Wirkung zu erzielen. In seinem Bus, dem «Straight Talk Express», unterhielt er die Journalisten stundenlang mit Anekdoten und Pressekonferenzen. Es war eine Art Symbiose: Den meisten Medien gefiel die Geschichte vom Underdog, der gegen das orthodoxe Denken in seiner Partei aufbegehrt, und sie berichteten wohlwollend über ihn. McCain war aber unfähig, einen Draht zu den Führern der religiösen Rechten zu finden. Schliesslich musste er sich gegen die politische Maschine Bushs geschlagen geben.
Er blieb im Senat, wo nach den Terroranschlägen vom September 2001 die Sicherheitspolitik alle anderen Debatten dominierte. Als Mitglied des Militärausschusses war McCain an vorderster Front beteiligt. Von Beginn weg war er ein Befürworter der Interventionen in Afghanistan und im Irak. Auch im Atomstreit mit Iran scheint er mit einem Militärschlag zu liebäugeln. Dabei wäre es falsch, in ihm einfach eine Kriegsgurgel zu sehen. Als junger Abgeordneter erregte McCain Aufsehen, indem er den Abzug der Marines aus Libanon forderte. Der Bombenanschlag des Hizbullah auf ihre Kaserne schien ihm wenig später recht zu geben. Auch nach der Besetzung Kuwaits durch den Irak hatte er die Idee eines Bodenkriegs zunächst abgelehnt. In den letzten Jahren trat er jedoch als Befürworter einer interventionistischen und notfalls unilateralen Sicherheitspolitik auf.
Wenig Rücksicht auf die Parteilinie
Gleichzeitig bewegte sich McCain nach 2000 in innenpolitischen Fragen zur Mitte hin. Die Wahlkampf-Finanzreform war nur einer von mehreren Fällen, in denen er mit den Demokraten ein überparteiliches Gesetzespaket schnürte. Mit John Edwards arbeitete er ein Gesetz über den Schutz der Patienten aus, mit Ted Kennedy eine Reform des Einwanderungswesens, mit Joe Lieberman einen Plan zur Senkung der Treibhausgasemissionen. Obwohl keine dieser Vorlagen Gesetzeskraft erlangte, zeigten sie seine Prioritäten. Nicht selten wettert McCain gegen die Grosskonzerne in einer Art, wie man sie sonst nur von Demokraten hört. 2001 stimmte er gegen Bushs Steuersenkungspaket mit dem Argument, es bevorzuge einseitig die Reichsten. Konservative Republikaner empfanden das als offenen Verrat an der Partei. Ihr Ärger nahm noch zu, als McCain auch in gesellschaftspolitischen Fragen auszuscheren begann und beispielsweise gegen das Verbot der Homosexuellen-Ehe stimmte.
Aber Parteidisziplin ist für McCain ein Fremdwort, vor allem, wenn sie dazu dient, Unsauberes zu verstecken. Im Militärausschuss deckte er einen Beschaffungsskandal auf, der dem Chef der Luftwaffe die Karriere kostete und mehrere Beteiligte ins Gefängnis brachte. Seine Hearings zur Affäre um den betrügerischen Lobbyisten Abramoff bewirkten ebenfalls ein Köpferollen; die Opfer waren allesamt Republikaner. Früh erkannte McCain, dass die Zahl der amerikanischen Truppen im Irak nicht ausreichte, um die Guerilla zu besiegen. Er forderte Truppenverstärkungen zu einem Zeitpunkt, als das in der Partei noch als illoyal galt, und konnte später triumphieren, als sich Bush seiner Meinung anschloss und mit der «Surge»-Taktik Erfolg hatte.
Berüchtigte Wutanfälle
McCains trotzige Unabhängigkeit hat die Kehrseite, dass er manchmal in Selbstgerechtigkeit verfällt. Mit Andersdenkenden hat er keine Geduld, sein Jähzorn ist legendär. Über die Jahre hinweg hat er sich diverse Politiker zu Feinden gemacht, indem er ihnen Obszönitäten ins Gesicht schrie. Der republikanische Senator Thad Cochran erklärte kürzlich in einem Zeitungsinterview, dass ihm der Gedanke an eine Präsidentschaft McCains einen kalten Schauer über den Rücken jage. «Er ist sprunghaft, er ist hitzköpfig, er verliert seine Beherrschung, und er macht mir Sorge», lautete Cochrans Fazit. Im Wahlkampf hat McCain dieses Image bisher nicht geschadet. Aber auf seine Rededuelle mit dem voraussichtlichen Kandidaten der Demokraten, Obama, kann man gespannt sein. Namentlich in der Irak-Frage werden dabei höchst unterschiedliche Vorstellungen aufeinanderprallen.
Nach mehreren Vorwahlsiegen steht er als Präsidentschaftskandidat der Republikaner fest. Es ist nicht das erste Mal, dass John Sidney McCain III. all jene widerlegt hat, die ihn vorzeitig abgeschrieben hatten. Als Militärpilot überlebte McCain drei Flugzeugabstürze, entkam wie durch ein Wunder einem Inferno auf einem Flugzeugträger und hielt fünf Jahre als Gefangener in Nordvietnam durch. Als Senator überlebte er den Absturz in einen peinlichen Finanzskandal und machte Karriere trotz mächtigen Feinden in der eigenen Partei. Nicht einmal seine gescheiterte Präsidentschaftskandidatur vor acht Jahren brach ihm das Genick, obwohl er damals selber nicht erwartete, dass sich nochmals eine zweite Chance bieten würde. Überstanden hat er auch den Kampf mit dem Hautkrebs, von dem eine lange Narbe in seinem Gesicht zeugt. Die Demokraten werden sich hüten, die Zähheit dieses Politikers zu unterschätzen.
McCain wird im August 72 Jahre alt. Im Falle einer Wahl wäre er somit älter, als je zuvor ein amerikanischer Präsident beim Amtsantritt gewesen ist. Der bisherige «Rekordhalter», Ronald Reagan, schaffte den Sprung ins Weisse Haus mit 69 Jahren, regierte dann aber bis zum 78. Lebensjahr. Um zu zeigen, aus welchem langlebigen Holz er geschnitzt ist, nimmt McCain manchmal seine Mutter auf seine Wahlkampftouren mit. Sie ist 96-jährig und verfügt über dieselbe Fähigkeit wie er, politischen Klartext zu sprechen. Noch in einer anderen Hinsicht würde eine Präsidentschaft McCains ein Novum bedeuten. Er wäre der erste Amtsinhaber, der ausserhalb der Vereinigten Staaten zur Welt kam. Geboren wurde er 1936 auf dem Gebiet der damals noch amerikanisch verwalteten Panamakanalzone, wo seine Eltern auf einem Militärstützpunkt lebten.