UPDATE 29.08.08: McCain profitiert vom Krieg in Georgien.
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In einem Interview mit National Public Radio (NPR) äußerte sich Präsidentschaftskandidat John McCain kühl-reserviert gegenüber der russischen Aktion im Kaukasus. Kurzfristig habe man wenig Optionen, aber auf weitere Sicht müssen man befreundeten demokratischen Staaten – gemeint ist Georgien – Beistand leisten. Einen neuen Kalten Krieg bzw. ein neues Nukleares Wettrüsten werde es nicht geben, aber man müsse die Haltung gegenüber Rußland überdenken. Seit Putin habe sich das Verhältnis verändert:
Well, I think, in the short term, there is limited options, certainly, that we have.
Long term, I think we may be in a period of relations with Russia where we have to make sure that we help our friends, that we do what we can to protect democracies and freedom, and make sure that we understand that there is a new era that obviously began when President Putin took over, and so we will adjust our relations accordingly.
And I don’t think that there’s going to be a re-ignition of the Cold War; don’t get me wrong.
I don’t think there’s going to be nuclear-weapons buildups, et cetera, but I think that Russian behavior is not acceptable.
And we will do what we can to maintain our alliances and our friends and make the Russians understand that this kind of behavior is not a part of what we view as the 21st century.
Gestern sprach der im Kaukasus vor Ort befindliche deutsche ARD-Korrespondent von der Diskrepanz zwischen der ausdrücklichen Versicherung Moskaus, man werde sich jeglicher Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung enthalten, und den eigenen Beobachtungen vor Ort. Der Korrespondent urteilte, wenn es überall so zuginge wie in den in Augenschein genommenen Regionen müsse man von ethnischen Säuberungen sprechen.
Das korrespondiert mit der Meldung der russischen RIA Novosti, Georgien habe in Den Haag Klage gegen Rußland wegen ethnischen Säuberungen eingereicht.
Der frühere russische Präsident Michail Gorbatschow lastet die Schuld am Krieg sowohl Georgien, als auch dem Westen an. Georgien habe die Autonomie Südossetiens in 1991 zu stark beschnitten, so dass es nur eine Frage der Zeit gewesen sei, bis die Situation eskalierte:
The roots of this tragedy lie in the decision of Georgia’s separatist leaders in 1991 to abolish South Ossetian autonomy. This turned out to be a time bomb for Georgia’s territorial integrity.
Der Westen habe sich im fernen Georgien über Gebühr engagiert und damit Präsident Saakaschwili in der Idee bestärkt, er sei in einer machtvolleren Position als er es in Wirklichkeit ist:
Georgian armed forces were trained by hundreds of U.S. instructors, and its sophisticated military equipment was bought in a number of countries.
This, coupled with the promise of NATO membership, emboldened Georgian leaders into thinking that they could get away with a “blitzkrieg” in South Ossetia.
By declaring the Caucasus, a region that is thousands of miles from the American continent, a sphere of its “national interest,” the United States made a serious blunder.
In diesem Punkt wird man Gorbatschow Recht geben müssen. Georgien liegt sicherheitspolitisch definitiv im Interessenbereich Rußlands. Der politische Schritt Washingtons und der NATO in diese Region war ein Schritt zu weit.
Eine begrenzte militärische Strafaktion Rußlands gegen Georgien erscheint aus rein geostrategischen Gesichtspunkten verständlich.
Insofern ist George W. Bush und John McCain anzuraten, vorsichtig zu taktieren und nicht in alte Muster zu verfallen.
Übergriffe auf die Zivilbevölkerung oder gar Handlungen in Richtung ethnischer Säuberungen wären hingegen durch gar nichts zu rechtfertigen und würden nur das “häßliche Gesicht” des alten Rußland zeigen, wie der Kommentar von gestern lautete.
Vor diesem Hintergund scheint wiederum die ebenfalls gestrige Stellungnahme von Außenminister Steinmeier, die Europäer müssten nun Einigkeit zeigen und dürften nicht in Jammerei verfallen, einigermaßen verfehlt.
Für einen Schmusekurs mit Rußland gab es weder vor, noch nach dem Georgienkonflikt irgendeinen Grund. Mit seiner “Männerfreundschaft” zu Putin ging Schröder schon damals, als Moskau Tschetschenien ausbluten ließ, deutlich zu weit.
Daher: Rationale, pragmatische Politik mit dem Kreml Ja, aber so tun als wäre Moskau eine alles in allem zahme Demokratie unseres Zuschnitts bitte Nein.
— Schlesinger
(Photo: Henning(i))