Barracuda – so wurde die soeben zur Vizepräsidentschafts-Kandidatin John McCains berufene Sarah Palin in ihrer High-School-Zeit genannt.
Weil sie so kämpferisch und gefährlich war wie der gleichnamige Raubfisch. Daran dürfte sich nichts geändert haben. Denn genau der kämpferische Aspekt war es, der sie ins Amt der Gouverneurin von Alaska befördert hat, nachdem sie zuvor lediglich Stadträtin und anschliessend Bürgermeisterin der alaskischen Kleinstadt Wasilla war.
Kampfgeist alleine war es natürlich nicht, der sie so weit brachte.
Hinzu kommen: Attraktivität, Jugend, Intelligenz, Charme und rhetorische Gewandtheit (Abschluss in Journalismus der University of Idaho).
Wirft man einen Blick auf ihre politischen Positionen und persönlichen Merkmale, so stellt sie die weitgehend perfekte Ergänzung zu John McCain dar. Sie ist
- energische Abtreibungsgegnerin
- Mitglied der National Rifle Association
- streitet im Gegensatz zu John Mccain den menschengemachten Klimawandel ab und ist damit guter Bezugspunkt für gleichgesinnte Republikaner
- starke Befürworterin von Ölbohrungen in Küsten- und Naturschutzgebieten (und verstärkt damit die Positionen McCains)
- aktiv und populär in ihrem Kampf gegen Korruption
- Mutter von 2 Söhnen und 3 Töchtern
- tief religiös
- sportlich (lief einen Marathon)
- Anglerin (Angeln ist amerikanischer Volkssport)
Das ist viel.
Man kann wohl sagen, Sarah Palin ist für ihre Zielgruppe die Verkörperung des American Dream Girls und in Betrachtung aller politischen und persönlichen Aspekte in gewisser Weise die zu Barack Obama komplementäre republikanische Besetzung.
Vor allem hinsichtlich der konservativen Kernpunkte ist sie “linientreuer” als John McCain und damit eine Wohltat für die McCain bislang skeptisch gegenüberstehenden Republikaner.
Das Argument, das meist zuerst genannt wird, wenn es um die Schwächen Palins geht, ist die fehlende Erfahrung insbesondere auf dem Gebiet der Außenpolitik. Das stimmt objektiv, wird aber von den republikanischen Wählern mutmaßlich nicht angekreidet werden. Dafür haben sie den in Sachen Außenpolitik vermeintlich versierten John McCain.
Für John McCain hat sich die Benennung Sarah Palins sogleich ausgezahlt – im wahrsten Sinn des Wortes. Am Tag nach der Bekanntgabe flossen 6,8 Mio. Dollar an Spendengeldern – mehr als im gesamten vierten Quartal 2007.
Das Obama-Team wird sich etwas einfallen lassen müssen, um die Pluspunkte Palins abzuschwächen.
Die Schwierigkeit sie anzugreifen dürfte darin liegen, dass Palin auf ihrer besonders starken Seite, der emotionalen Ebene – einvernehmendes Wesen, verbindliches Auftreten, guter Ausdruck- , schwer angreifbar ist.
Bleibt demnach nur die rationale Ebene. Ihr mit rationalen Argumenten wie der Unverträglichkeit von Ölbohrungen mit Umweltschutz (die von sehr vielen Amerikanern gewollt sind) zu kommen, wird schwer werden, da der Bauch im Zweifelsfall noch immer das Hirn besiegt hat.
Sie versteht es im übrigen gut, mit populären Maßnahmen Pluspunkte zu sammeln. So hat sie unlängst ein Gesetz unterzeichnet, das einem bestimmten Personenkreis finazielle Unterstützungsleistungen als Ausgleich für die gestiegenen Energiepreise zubilligt.
Nicht umsonst hat sie exorbitant hohe Zustimmungsraten in ihrem Staat – bisweilen liegen sie bei 90 Prozent.
Die Huffington Post als liberales Flaggschiff urteilte unmittelbar nach der Ernennung Palins, damit sei die Kandidatur McCains obsolet geworden. Palin sei nunmal keine Hillary Clinton der Republikaner. Das allzu spontane Präsentieren einer Frau an der Seite McCains sei ein Affront für alle Frauen, denen man zumute, sie sollten sich gefälligst mit irgendeiner Frau als Vizepräsidentin zufrieden geben.
Die Sache ist: Palin dürfte nicht irgendeine Frau sein, soweit man das fürs erste beruteilen kann. Zumindest nicht in punkto Öffentlichkeitswirksamkeit, und nur darauf kommt es an bei Wahlen.
Daher teile ich die Einschätzung der HP vorläufig nicht. Die Personalentscheidung Palin jedenfalls dürfte im Wahlkampf ungleich spannender werden als zum Beispiel der lange zur Diskussion gestandene Mitt Romney.
Palin ist zwar keine Angstgegnerin, aber sie hat soviel Potential in punkto Wählergunst, dass man sie keinesfalls auf die leichte Schulter nehmen darf.
Eine Kostprobe ihres sicheren und charmanten Auftretens sehen Sie hier, als Gast des notorischen Rednecks Glenn Beck, vor einigen Wochen:
— Schlesinger
(Photo: asecondhandconjecture)