Christian Wernicke von der Süddeutschen Zeitung liefert in der aktuellen Osterausgabe unter dem Titel “Das Märchen vom Wandel” einen veritablen Verriss Obamas.
Dem Leser wird klar gemacht, in welchen Kategorien “der Verkünder von Amerikas Erneuerung” namens Obama handelt: Märchen, Tricks, tollkühne Kuhhandel, geträllerte Wahllügen.
Wernicke beginnt mit einem perfiden Auftakt: “Es ist des Präsidenten liebster Trick. Wann immer Barack Obama seinem Volk Ideen anbietet, für die sich niemand erwärmen mag, verkauft er seinen Vorschlag als Common Sense […]”
Trickser Obama
Das heißt im Klartext: Obama trickst grundsätzlich. Aha. Offenbar haben wir es bei dem SZ-Artikel nur zufällig mit dem Thema Klimapolitik zu tun. Es geht viel mehr mehr um den Trickser Obama.
Da sich Negativ-Vorwürfe nicht beliebig steigern lassen, frägt man sich schon, wo noch Luft bleibt in der Abgrenzung zu, sagen wir, George W. Bush oder Richard Nixon. Apropos Nixon. Der trug den Spitznamen “Tricky Dick”.
Im folgenden skizziert Wernicke den Vorgang. Obama sei in seinen Versuchen eine neue Ökopolitik umzusetzen, “keinen Schritt vorangekommen”.
Nun wolle Obama Erdöl-und Gas-Bohrungen vor der Ostküste Amerikas zulassen. Das stosse auf viel Skepsis und politischen Widerstand.
Obama gehe dabei ein hohes politisches und technisches Risiko ein, da er nicht wissen könne, wie beides ausgehe. Politisch wolle Obama bei den Republikanern punkten, um nötige Stimmen zu ergattern für die anstehende Klimaschutz-Reform. Ob das gelingt, könne niemand wissen, so Wernicke. Gelinge es nicht, drohe der Klima-Plan Obamas “schnöde” zu scheitern. Technisch berge das Vorhaben Risiken, weil es bislang keine saubere Ölförderung gebe.
Soweit so gut. Doch worauf genau fusst nun die harsche Kritik? Der Autor selbst stellt fest, dass Obama mit enormem Widerstand zu kämpfen hat.
Hätte Obama aufgrund echter (und nicht theoretischer) Mehrheitsverhältnisse mehr Handlungsfreiheit, wäre er nicht gezwungen, politische Geschäfte abzuschliessen. Dem ist aber nicht so. Dass er dabei keine Garantien vom Gegner erhält, ist das denkbar normalste in der politischen Sphäre.
Dass sich die zahlenmässige Mehrheit im Kongress angesichts konkreter Fragen rasch relativiert, hat sich mehr als schmerzhaft in der Gesundheitsreform gezeigt. Viele Demokraten verweigerten sich der ursprünglichen Fassung, weil zu viele Wähler in ihren Wahlkreisen gegen die mutmaßliche Sozialisierung protestierten. Obama zeigte gerade in der Frage der Gesundheitsreform, dass er bereit ist, sein politisches Schicksal zu riskieren. Das machen die Wenigsten. Und: Das kann man nicht oft machen. Daher ist er gut beraten, für die nächsten Vorhaben den Kompomiss zu suchen.
So drängt sich der Eindruck auf, Wernicke wollte Obama lediglich abwatschen.
Nun mag jedermann seine politischen Ansichten haben und sie in Beiträgen darlegen. Von einem Journalisten der Süddeutschen Zeitung allerdings darf erwartet werden, die zugehörigen Hausaufgaben zu machen. Das hat Wernicke in wesentlichen Punkten nicht getan.
Obama lässt Öl- und Gasbohrung wieder zu
[Durch] “Obamas Ankündigung, vor weiten Teilen von Amerikas Küsten wieder Bohrungen nach Öl und Gas zuzulassen” […] ” darf demnächst wieder nach dem schwarzen Gold geschürft werden.”
Für den Leser stellt sich die Lage so dar, als würde Obama ein bislang bestehendes Verbot erstmals aufheben. Das ist eine irreführende Darstellung. Denn ohne die Zustimmung des Kongress kann Obama das seit den Achtzigern bestehende Bohrverbot nicht aufheben. Sodann sollte die Vorgeschichte nicht unterschlagen werden.
Präsident George W. Bush hatte im August 2008 die präsidentielle Order seines Vaters George Bush sr. aus dem Jahr 1990 aufgehoben, mit der das Bohrverbot ausgesprochen worden war. Damit wollte er den Kongress zum Handeln zwingen. Das hatte jedoch keine unmittelbare Wirkung, da es neben dieser präsidentiellen Exekutiv-Order von Bush sr. eine eigenständige Gesetzgebung gab, die nur der Kongress aufheben bzw. ändern konnte.
Dies wurde in der Folgezeit ausgelotet. Im September 2008 sollte ein Gesetz verabschiedet werden, den 26 Jahre lang bestehenden Bann aufzuheben. Die Führerin der Demokraten im Haus Nancy Pelosi brachte das Gesetz mit auf den Weg, weil sie sah, dass die Republikaner im Wahlkampf stark damit punkteten, die Bevölkerung dafür war (eine Gallup-Umfrage zeigte 56% “pro wilderness and off-shore drilling”), und sie zu berücksichtigen hatte, dass sich Obama die Option offen hielt. Die Gesetzesvorlage scheiterte.
Als Obama ins Amt kam, hat er die Order von Bush jr. wieder aufgehoben.
Drill, Baby, drill
Obama würde mit seiner Ankündigung just das Wahlversprechen der Republikaner einlösen, “mit dem alleine die Republikaner auf Stimmenfang gegangen waren”, und nun “dieselbe Melodie trällern”, so Wernicke. Kurzum: Obama ist ein Wahllügner.
Richtig ist, dass die Forderung nach zusätzlicher Öl- und Gas-Bohrung sowohl von John McCain wie auch von Sarah Palin nachdrücklich erhoben worden war.
Falsch ist, dass Obama – und die Demokraten, siehe oben – eine entgegen gesetzte haltung hatten. Obama war zwar ursprünglich gegen eine Aufhebung des Banns, wollte sich aber angesichts der Stimmung im Wahlkampf nicht länger dagegen verschliessen und meinte im August 08:
I made a general point about the fact that we need to provide the American people some relief and that there has been constructive conversations between Republicans and Democrats in the Senate on this [drilling] issue
Dabei verwies er auf die Notwendigkeit von Kompromissen:
“If we’ve got a plan on the table that I think meets the goals that America has to set and there are some things in there that I don’t like, then obviously that’s something that I would consider because that’s the nature of how we govern in a democracy.”
Also “trällert” Obama nicht das Lied seiner Wahlgegner, sondern greift auf, was er im August 2008 sagte.
Man mag, ja man muss enttäuscht sein, dass in der amerikanischen Umweltpolitik weit weniger voran geht, als man sich wünscht. Die vorhandenen Beschränkungen und Zwänge lassen sich jedoch nicht mit bissigen Kommentaren aus der Redaktionsstube beseitigen.
Die Taktik hinter der Ankündigung
Wernicke hat leider auch jeden Versuch unterlassen, eine mögliche Taktik Obamas zu analysieren.
Mit der Ankündigung wird funktional folgendes erreicht: Die Konservativen, Progressiven haben mit Blick auf die Wähler – die midterm elections stehen an – nun weitaus weniger Angriffsmöglichkeiten.
Da Obama Bohrungen in beschränktem Umfang zulassen will, müssen die politischen Gegner deutlich mehr verlangen, um sich ihm gegenüber abzugrenzen. So hat der repubikanische Mehrheitsführer Boehner im Repräsentantenhaus auch gleich reagiert: Das sei alles viel zu wenig.
Damit aber nehmen die Republikaner umweltpolitisch extreme Positionen ein, die naturgemäß von einem wesentlich kleineren Teil der Wählerschaft mitgetragen werden dürften. Denn die Offerte Obamas nimmt die Bristol Bay und die gesamte Pazifikküste aus. Bohrungen sollen nur jenseits 80 bzw. 300 km vor der Küste stattfinden dürfen.
Um die aufgebrachte Kritik der Gouverneuere in den Küstenregionen abzuschwächen, soll eine entsprechende Gesetzgebung ein opt-out ermöglichen: Betroffene Staaten sollen ein Veto einlegen können.
Dabei stellt sich die nächste Frage. Wie weit wird Big Oil das Angebot überhaupt nutzen wollen? Explorationen und Aufbau von Plattformen auf hoher See sind ungleich teurer als küstennahe Vorrichtungen. Schon heute gibt es zahlreiche freigegebene Gebiete im Golf von Mexiko, die nicht genutzt werden, weil es den Ölfirmen als zu kostspielig erscheint. Ein Angebot also, das ausgesprochen wird im Wissen darum, dass es höchst begrenzt angenommen wird? Das sich aber für den Wähler gut anhört?
Derzeit liegt der Entwurf eines neuen Klimaschutz- und Energiegesetzes im Senatsausschuss. Die Republikaner werden von Lindsay Graham vertreten. Graham befürwortet neue Bohrrechte. Er hat sich im Gegensatz zu Boehner sehr moderat gegenüber der Ankündigung Obamas geäußert. Ein bisschen Bohrrechte gegen republikanische Unterstützung beim Klimaschutzgesetz? Das könnte ein guter deal sein.
Zugegeben: Das alles ist eine Art politischer Wette, die Obama eingeht. Aber wenn einem die Mehrheiten nicht sicher sind, bleibt wenig übrig, als mit Finesse vorzugehen.
Obama macht nichts
So lässt Wernicke seinen weit oben trabenden Beitrag sinngemäß ausklingen.
Die amerikanische Umweltschutzbehörde EPA hat just vor vier Tagen neue, wesentlich strengere Auflagen für den Kraftstoffverbrauch von Automobilen erlassen. Die Regeln gelten ab 2012. Bis 2016 soll der durchschnittliche Verbrauch bei 35,5 Meilen pro Gallone Benzin liegen, das sind ca. 6,5 ltr/100km. Derzeit liegt der Verbrauch im Durchschnitt bei etwa 9,4 Liter. Hochgerechnet ins Jahr 2030 wirken die CO2-Einsparungen so, als würden im Vergleich zu heute 50 Millionen Fahrzeuge von den Straßen genommen. Aber das ist nichts. Nur Trickserei.
— Schlesinger
Photo: mikebeard, Flickr CC